Laufzeit gegen Bares
Für Bundeskanzlerin Angela Merkel ist es eine »Revolution«. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat sich mit den Konzernen über den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke geeinigt, im Schnitt sollen diese nun zwölf Jahre länger laufen als bisher geplant. Dafür beteiligt die Atomindustrie den Staat an den dadurch entstehenden Profiten in Form einer zu entrichtenden Brennelementesteuer sowie mit Zahlungen in einen Fonds, aus dem angeblich die Förderung erneuerbarer Energien finanziert werden soll. Die verlängerten Laufzeiten sorgen jedoch dafür, dass Investitionen in erneuerbare Energien obsolet werden. Die Entwicklung dieser energie- und klimapolitisch wichtigen Technologien dürfte deutlich verlangsamt werden. Laufzeitverlängerung gegen Bares – das ist also die Abmachung. Ihr gingen monatelange Verhandlungen unter beinahe vollständigem Ausschluss der Öffentlichkeit voraus. In der vergangenen Woche berichteten die Medien erstmals über einen »Geheimvertrag« zwischen Konzernen und Regierung, weitere Details über die Abmachungen dürften in nächster Zeit folgen. Mit dem zunächst unter Verschluss gehaltenen Vertrag versuchen die schwarz-gelbe Koalition und die AKW-Betreiber, auch künftige Regierungen an den verlängerten Weiterbetrieb der Anlagen zu binden. Werden in der Zukunft die Laufzeiten geändert oder wird die Brennelementesteuer erhöht, verringern sich die Zahlungen in den Fonds.
Die existentielle Frage nach der Sicherheit der Atomkraftwerke taucht in der derzeitigen öffentlichen Debatte dagegen selten auf. Gesprochen wurde über die Laufzeiten, über erneuerbare Energien, Terrorangriffe oder über die Rolle von Umweltminister Norbert Röttgen (CDU), doch über die weiter schwindende Sicherheit alternder Reaktoren wurde meist geschwiegen. Aber auch in diesem Punkt haben sich die Konzerne abgesichert: Wenn »gestellte Nachrüstungs- oder Sicherheitsanforderungen einen Gesamtbetrag von 500 Millionen Euro für das betreffende Kraftwerk überschreiten«, müssen die Firmen geringere Abgaben zahlen. In Zukunft werden notwendige Anpassungen an den Stand der Technik also die Einnahmen der Regierung mindern oder aber erneut verschoben.
Dass es bislang keine Möglichkeit gibt, Atommüll sicher zu lagern, wurde in der Berichterstattung ebenfalls kaum erwähnt. Insgesamt werden bis 2040 in Deutschland 21 600 Tonnen hoch radioaktiven Mülls aus Atomkraftwerken anfallen, allein infolge der Verlängerung der Laufzeiten entstehen 4 400 Tonnen. Auch müssen die Atomkonzerne weiterhin keinen finanziellen Beitrag zur Absicherung und Sanierung des maroden Versuchsendlagers Asse leisten, obwohl sie dort ihren Müll zu Dumpingpreisen loswerden konnten. Zudem werden Regierung und Konzerne im geänderten Atomgesetz höchstwahrscheinlich am Standort Gorleben als einem zukünftigen Endlager festhalten.
Entgegen dem vollmundigen Lob der Koalition für die Absprachen beinhalten diese einige rechtlich heikle Punkte. Neben der Frage der Zustimmungspflicht des Bundesrats betrifft dies auch den jahrelangen Verzicht auf die Anpassung der Hochrisikotechnologien an den Stand von Wissenschaft und Technik sowie den Versuch, zukünftige Regierungen finanziell an den Vertrag zu binden. Jeder dieser Punkte macht den Vertrag juristisch angreifbar. Sowohl die SPD als auch die Grünen haben bereits angekündigt, eine Klage beim Bundesverfassungsgericht einzureichen. Wie das Vorgehen der Regierung bei der Anti-Atom-Bewegung ankommt, wird sich spätestens im November zeigen. Dann soll wieder ein Zug mit Castor-Behältern nach Gorleben fahren. Eine Initiative ruft schon jetzt dazu auf, »massenhaft den Schotter aus dem Gleisbett zu entfernen, also die Gleise zu unterhöhlen«. Sollten die von der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg erwarteten 20 000 Demonstranten dem Aufruf folgen, dürfte es der Staatsmacht schwerfallen, den Transport routiniert an sein Ziel zu prügeln.