Ein Kongress über die Zukunft des freien Journalismus

Macht es nicht selbst!

Freischreiber, der Verband freier Journalisten, lädt zum »Zukunftskongress« und will mehr unternehmerisches Denken fördern.

Barbara Ehrenreich, so darf man vermuten, würde die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, bekäme sie die Werbung für den Freischreiber-Kongress in Hamburg zu Gesicht. Die amerikanische Publizistin hat kürzlich unter dem Titel »Smile or Die« ein Buch über die Folgen positiven Denkens veröffentlicht, das sich in den USA ausgerechnet seit der ersten Rezession der achtziger Jahre immer mehr ausgebreitet habe. Dies sei inzwischen so sehr fester Bestandteil der amerikanischen Alltagskultur, dass selbst Ehrenreichs Freunde ihr eine Brustkrebs-Erkrankung und deren Behandlung als großartiges Erlebnis verkaufen wollten: »Hey, du verlierst deine Haare? Wie aufregend! Du hast so eine schöne Kopfform, jetzt sieht man die endlich mal.«
Freischreiber, der erste bundesweite Zusammenschluss freier Journalisten, diskutiert am 18. September unter dem Motto »Mach’s dir selbst« über die Zukunft des freien Journalismus. Eingeladen sind neben der Branchenprominenz wie Jakob Augstein, Henryk M. Broder und Jens Weinreich auch Christoph Zeuch und Bernhard Pörksen. Beide werben auf der Homepage des Verbandes für den Kongress: Zeuch, Gründer der lokalen Webzeitung altona.info, freut sich dort über die Chancen als Selbständiger (»Unternehmertum bedeutet immer Wettbewerb. Das geht mit Optimismus, Erfahrung und Vertrauen in das eigene Können«).
Der Tübinger Professor Bernhard Pörksen antwortet im Interview mit Freischreiber auf die Frage, welche Botschaft er an die freien Journalisten richten möchte, mit einem Zitat seines akademischen Lehrers Heinz von Foerster: »Handele stets so, dass die Anzahl der Möglichkeiten wächst!« Pörksen schwärmt von der Karriere des Kybernetikers Foerster, an dem sich freie Journalisten ein Beispiel nehmen sollen. »Er kam mit 49 Jahren – mittellos, mit einem schrecklichen Englisch – in die USA und hat einfach noch einmal von vorne angefangen und eine gewaltige Karriere hingelegt, angstfrei, vibrierend vor Kreativität.« Pörksen wird eine der beiden Key­note-Reden zur Eröffnung des Kongresses halten. Subjektive Erregungszustände als entscheidender Erfolgsfaktor – das ist eine Aufstiegs-Esoterik, von der man eigentlich dachte, dass sie sich mit dem Absturz der New Economy und ihren Motivationsgurus erledigt habe. Pörksen empfiehlt immerhin noch »eine Erdung in der ersten Wirklichkeit des Marktes«. Aber jammern gilt nicht: Die Freischreiber sieht er als »intelligente Optimisten«. Selbstgewisser Untertitel des Kongresses: »Wie freie Journalisten in Zukunft arbeiten und Geld verdienen werden.«
Ist das Autosuggestion? Oder eine Trotzreaktion gegenüber den großen Verlagen? Ist es die Flucht nach vorne? Als Freischreiber 2008 in Abgrenzung zu den beiden Journalistengewerkschaften DJU (als Teil von Verdi) und DJV, die den immer zahlreicher werdenden Freien eher ratlos gegenüberstehen, gegründet wurde, war Optimismus nicht gerade angesagt. Die freie Journalistin Gabriele Bärtels hatte im Jahr zuvor ihre Situation in der Zeit öffentlich gemacht: ein Jahreseinkommen unter 10 000 Euro, die Angst vor dem leeren Konto, fehlendes Geld für U-Bahn-Fahrten, die Praxisgebühr beim Zahnarzt und die Miete, schließlich der Gang zum Jobcenter, um ergänzend Hartz IV zu beantragen. Die Ursache sind die extrem niedrigen Honorare im Printjournalismus. »Ein Text, der mich alles in allem drei bis vier Tage Arbeit gekostet hat und in der Zeitung eine Seite einnimmt, bringt ungefähr 250 Euro ein«, rechnete Bärtels vor. Der ehemalige Spiegel-Redakteur Tom Schimmeck kritisierte auf dem Freischreiber-Gründungskongress, die Honorare einiger Tageszeitungen grenzten an Körperverletzung.
Seitdem ist Freischreiber auf rund 350 Mitglieder angewachsen. Der Verband hat Regionalgruppen in den großen Städten gegründet, gegen das von den Verlagen geforderte Leistungsschutzrecht und gegen die von DJV und DJU mit ausgehandelten neuen Vergütungsregeln für freie Journalisten an Tageszeitungen protestiert und einige Lesungen freier Autoren organisiert. Das ist für einen neuen Verband mit ausschließlich ehrenamtlichen Mitarbeitern nicht wenig. Sollte man jedoch die Erwartung gehabt haben, nach den Streiks von Spartengewerkschaften wie der GDL und dem Marburger Bund und den an NGO-Praktiken geschulten Aktionen der Langzeitpraktikanten hier einem dritten interessanten Experiment im Bereich von Arbeitskämpfen jenseits der DGB-Gewerkschaften beizuwohnen, wird man enttäuscht.
Freischreiber hatte, so der Vorsitzende Kai Schächtele, zunächst »auf ein kooperatives und konstruktives Verhältnis« zu den Verlagen gesetzt. Eine Strategie, die nicht aufgegangen ist: »Nach zwei Jahren kann man festhalten, dass dies mitunter in den Verlagen nicht so ähnlich gesehen wird«, sagt Schächtele. Nachdem der Kuschelkurs gescheitert ist, wirkt der Freischreiberkongress, entgegen allen optimistischen Bekundungen, nun eher wie ein Rückzugsgefecht: eine Selbstoptimierung freier Journalisten, um in einer Krisenbranche zu überleben. »Es wird für jeden notwendig sein, darüber nachzudenken, was er so gut kann, dass er damit sein eigenes Profil schärft. Und wenn sich jemand am Ende des Kongresses selbst sagen muss, es gibt gar nichts, was bei mir dazu ausreicht, ein eigenes Profil zu erarbeiten, mit dem ich dann auch mein Verhältnis zu den Verlagen neu definieren kann, dann ist es womöglich gerade jetzt an der Zeit, darüber nachzudenken, ob der Beruf noch der richtige ist«, sagt Schächtele.
Dazu dienen Workshops wie »Die Marke Ich«, in denen freie Journalisten lernen sollen, »ein unverwechselbares Produkt« zu bieten. Oder eine Podiumsdiskussion über Bloggen und E-Books. Das, so erhofft sich Schächtele, erschließe freien Journalisten möglicherweise neue Märkte. Nicht, weil ein Blog selbst genug Geld abwerfen wird, sondern weil dadurch der Bekanntheitsgrad von Autoren steigen könnte und so Verlage auf Au­toren zukommen könnten. Bedeutet das möglicherweise einen immer größeren Werbeaufwand beim Buhlen um die Aufträge, ohne dass die Einnahmen steigen? »Wenn man sich entschieden hat, frei zu arbeiten, dann hat man sich auch entschieden, wenigstens ein bestimmtes Maß an Unternehmertum anzunehmen«, sagt Schächtele. »Und zum unternehmerischen Denken gehört, dass man Zeit und Energie, womöglich auch Geld, investiert.« Das könne dazu führen, »dass man zu einem bestimmten Zeitpunkt sagen muss, ich habe in das Falsche investiert«.
Auch die Diskussionen um neue Projekte jenseits der großen Verlage, die in Hamburg auf der Agenda stehen, etwa neue Produkte wie das Wirtschaftsmagazin Enorm, bieten keinen grundsätzlichen Ausweg. Freie Journalisten werden auch in Zukunft auf die großen Verlage angewiesen sein, räumt Schächtele ein. Debatten um politische Strategien oder ums Medienprekariat fehlen dennoch auf dem Kongress.
Die Autorin Hilal Sezgin hat bereits vor einem Jahr in der taz nicht nur darauf verwiesen, dass viele Freie schon heute hoch spezialisiert sind (und dennoch nur knapp oberhalb der Armutsgrenze verdienen), sondern auch »verbindliche, quasigewerkschaftliche Verhandlungen und Preislisten, die den Abwärtstaumel der Honorare stoppen«, gefordert. Passiert ist seitdem nicht viel. Noch sieht es so aus, als könnten DJV und DJU mit ihrer Einschätzung Recht behalten, dass freie Journalisten kaum zu Auseinandersetzungen um bessere Bedingungen zu bewegen sind.