Claude Chabrol ist tot. Ein Nachruf

Intrigen, Gift und Elternmord

Claude Chabrol wird Frankreich fehlen. Ein Nachruf

Dass er das nicht mehr erleben darf! Claude Chabrol hätte an den neuesten Affären in Frankreich seine helle Freude gehabt. Liebte er es doch, bei der Bourgeoisie unter das Sofa zu gucken, dunklen Geheimnissen und verborgenen Familienangelegenheiten auf die Schliche zu kommen. Chabrol war jemand, der sich nicht vom Glanz des Silberbestecks der Familienclans blenden ließ.
Die jüngsten Enthüllungen über Carla Bruni hätten ihn entzückt. Und der unter dem Namen »Bettencourt-Affäre« bekannt gewordene Korruptionsskandal hätte dem Filmemacher wohl besonders gut gefallen. Eine Tochter, die sich mit ihrer milliardenschweren Mutter bis aufs Messer bekriegt und sie entmündigen lassen möchte! Hausangestellte, die in den Familienstreit hineingezogen werden und die werten Herrschaften in ihrem eigenen Haushalt abhören! Tonbandaufnahmen, die an die Öffentlichkeit geraten und Presse sowie Justiz auf gigantische Steuerhinterziehungsmanöver aufmerksam machen. Und das Ganze vor einem historischen Hintergrund von familiärer Verstrickung in die Nazi-Kollaboration.
Diesen Skandal wird Chabrol nicht mehr verfilmen können: Er starb im Alter von 80 Jahren.
Die letzte große Affäre in Frankreich, der Skandal um riesige Geldverschiebungen des Ölkonzerns Elf-Aquitaine, der vor nunmehr 15 Jahren an die Öffentlichkeit drang, hatte Chabrol inspiriert, den Film L’ivresse du pouvoir (Die Trunkenheit der Macht) zu drehen. Der Film kam 2006, etwa drei Jahre nach dem Urteil, in die Kinos. Darin spielt Isabelle Huppert eine Untersuchungsrichterin, die ekligen Geheimnissen in Wirtschaft und Politik auf die Schliche kommt und selbst vom Kitzel des Größenwahns gepackt wird. Insgesamt ist sie jedoch eine positive Figur. Ihr Vorbild in der Wirklichkeit ist die ehemalige Untersuchungsrichterin Eva Joly, die voraussichtlich bei der Präsidentschaftswahl in einem Jahr für die französischen Grünen kandidieren und ein linksliberales Bündnis anstreben wird.
Chabrol hat 57 Kino- und 25 Fernsehfilme geschaffen, darunter viele Meisterwerke, aber natürlich gehören auch ein paar Filme zu seinem Werk, die beim Publikum als gründlich misslungen gelten. Oder ebenso gründlich missverstanden wurden, wie beispielsweise »Bonnes femmes« in den frühen sechziger Jahren. Inmitten der Kritik an der Konsumgesellschaft des Nachkriegskapitalismus zeigte Chabrol damals vier junge Frauen, die zwischen Shopping und Konsumangeboten der Kulturindustrie immer dümmer zu werden scheinen. Die zeitgenössische Kritik war der Auffassung, Claude Chabrol habe einen frauenfeindlichen Film gedreht. Er selbst, in dessen Filmen weibliche Schauspielerinnen häufig eine zentrale Charakterrolle spielen, verwahrte sich entschieden gegen eine solche Interpretation. Vergeblich, der Film erntete nur Verrisse.
Begonnen hat die Karriere von Chabrol, der als Kind eines Apothekers in einem Pariser Kleine-Leute-Viertel aufwuchs, mit dem Film »Le Beau Serge« (Der schöne Serge) im Jahr 1958. Das Werk trägt teilweise stark autobiographische Züge: Es handelt von einem lungenkranken jungen Mann aus Paris, der in ein französisches Dorf kommt, wo er einstmals seinen Urlaub verbracht hat. Anders als der Tourist sieht er nun aber in die Hinter- und manchmal auch Abgründe der bürgerlichen Existenzen im Ort hinein – und wird versuchen, einen dort lebenden Freund vor dem Absturz in den Alkoholismus zu retten. Chabrol drehte diesen Film in einem Dorf im Département Creuse, wo er einen Teil seiner Jugend im Haus seiner Großmutter verbrachte, während sein Vater in der Résistance gegen die Nazibesatzung kämpfte.
Um ein Haar wäre der Film des damals knapp 28jährigen auf dem Festival von Cannes preisgekrönt worden. Aber eben nur um ein Haar – weil ein amtierender Minister hinter den Kulissen intervenierte: Ein anderer Film musste den Vorzug bekommen, weil er von dem damaligen Staatsunternehmen EDF gesponsert worden war. Chabrol schwor sich daraufhin, nie im Leben einen Fuß nach Cannes zu setzen. Er brach diesen Eid dann aber im Jahr 1978, denn hätte er das Filmfestival weiterhin boykottiert, hätte »seine« Schauspielerin Isabelle Huppert nicht den Preis – für ihre Rolle als Giftmörderin in »Violette Nozière« – entgegen nehmen können. Chabrol beschloss, wie er später einmal erklärte, »nicht auszupacken mit dem, was ich alles weiß« über Intrigen und Einflussspielchen hinter den Kulissen.
Intrigen, Gift und Elternmord, verborgene Familiendramen, die Doppelbödigkeit der »soliden« bourgeoisen Existenz: Dies hat Chabrol zeitlebens fasziniert. Dabei hielt er sich stets an den ehernen Grundsatz: »Mein Publikum nicht langweilen.« Spannung, Pathos, manchmal auch Groteske waren ihm stets wichtig. Alfred Hitchcock zählte er zu seinen wichtigsten Vorbildern im Kino. Vielleicht auch deswegen hat Chabrol, der sich stets als ein Mann der Linken verstand und der im Mai 1968 auf den Barrikaden stand und Ordnerdienste bei den Demons­trationen organisierte, auch nie einen ausdrücklich poli­tischen Film gemacht. Dennoch gilt zumindest einer seiner Filme Kritikern als »marxistisch«: In »La Cérémonie« (Biester, 1995) ermorden eine Hausangestellte und eine Postbedienstete zusammen ihre Herrschaften. Chabrol hat dazu erklärt, in jenen Jahren nach dem Fall der Berliner Mauer hätten allzu viele Leute an das Ende der Geschichte und den definitiven Triumph des Kapitalismus geglaubt, er habe mit seinem Film an die Existenz eines Prekariats – wie man es heute ausdrücken würde – erinnern wollen.
Claude Chabrol liebte an der Bourgeoisie zumindest eine ihrer Errungenschaften, das gute Essen und den Wein. Bis zuletzt ergötzte er sich an Delikatessen wie eingelegten Ziegenfüßen – und war bekümmert, als er auf ärztlichen Rat hin keine Innereien mehr essen durfte. Er kochte auch selbst und verfasste ein eigenes Rezeptbuch. Aber er hatte einen feinen Seismographen für soziale Ungerechtigkeiten, die er – »ohne das Publikum anzuöden« – aufzeigen wollte: Man müsse sie denunzieren, während man, so seine Auffassung, sie »in Amerika für Schicksal hält«.
Trotz seiner Cinéphilie verachtete Chabrol – anders als manche seiner Kollegen – das Fern­sehen nicht, sondern schaute täglich bis zwei Uhr nachts fern. Er ergötzte sich an trivialen Shows, an denen er gerade »das Schräge, das Pathetische, die schlechte Inszenierung« liebte, um sie mit dem Seziermesser zu analysieren. Ähnlich war sein Verhältnis zur politischen Klasse, die er aus der Nähe hatte studieren können, weil er kurzzeitig an der Elitehochschule Science Po – die viele Berufspolitiker hervorbrachte – eingeschrieben war, wo er aber sehr schnell hinschmiss. An seine ätzende Kritik hinsichtlich ihrer »Show« erinnern sich so manche, unter ihnen Jacques Chirac und Nicolas Sarkozy, nur extrem ungern zurück.