Die Fußball-WM in Südafrika. Eine ökonomische Bilanz

Verdunstete Tropfen

Ein Bericht des Schweizerischen Arbeiterhilfswerks zeigt: Die WM hat für Südafrika fast nur Kosten gebracht.

Die Bilanz der Fußballweltmeisterschaft, die in diesem Jahr in Südafrika ausgetragen wurde, ist ebenso erschütternd wie beschämend. Gleichzeitig ist sie aber auch ein Lehrstück, wie das Fußballimperium Fifa die interessierte Weltöffentlichkeit und vor allem den Gastgeber aus Südafrika mit falschen und teilweise irrwitzigen ökonomischen Versprechen an der Nase herumführte. Das jedenfalls geht aus der Studie »Vorläufige Evaluation der Auswirkungen der Fifa Weltmeisterschaft auf Südafrika« hervor, die im Auftrag des Schweizerischen Arbeiterhilfswerks (SAH) erstellt und in der vergangenen Woche in Zürich präsentiert wurde. In der Schweizer Stadt also, wo eben dieses globale Wirtschaftsunternehmen Fifa mit seinem Präsidenten Josef Blatter an der Spitze residiert.
Für die Fifa hat sich der rund einmonatige WM-Trip nach Südafrika zumindest ausgezahlt. Mit einem geschätzten Gewinn von rund drei Milliarden Franken, umgerechnet 2,27 Milliarden Euro, ist der Verbandstross aus Südafrika in die beschauliche Schweiz zurückgekehrt. Auch wenn der Weltfußballverband diesen unglaublichen Betrag nicht offiziell bestätigen will, dementiert hat er ihn nicht.
Doch wie hat sich das Großereignis auf die 50 Millionen Südafrikaner ausgewirkt? Fest steht: Ihre WM-Hoffnungen wurden nicht erfüllt. 50 Prozent der Südafrikaner hofften schon lange vor dem Anpfiff auf ein durch die WM hervorgerufenes wirtschaftliches Wachstum für ihr Land. Ein Drittel versprach sich von dem Fußballereignis sogar einen ganz persönlichen Vorteil, nämlich einen neuen Job. Diese Erwartungen sind sicher auch einer perfekten und perfiden PR-Strategie der Fifa, der Sponsoren und der Regierung des Gastgeberlandes geschuldet. Schließlich mussten »die immensen Ausgaben für einen Luxus-Event im Kontext steigender Armut und Ungleichheit gerechtfertigt werden«, wie in dem Bericht des Schweizerischen Arbeiterhilfswerks festgestellt wird. Und da machen sich Versprechungen an die Bevölkerung immer gut.
Die Gesamtkosten der WM sind nun auch bekannt. Statt der ursprünglich prognostizierten 1,75 Milliarden Euro hat das Ereignis wohl mindestens 4,2 Milliarden gekostet. Nichts blieb mehr übrig von dem einst von der Fifa versprochenen Gewinn von 700 Millionen Franken bzw. mehr als 500 Millionen Euro, den die WM dem südafrikanischen Staat einbringen sollte. Vielmehr kamen die Gastgeber mit einem Netto-Verlust von 2,1 Milliarden Euro aus dieser WM heraus – »bei optimistischen Schätzungen«, wie der Bericht ausdrücklich betont. Das Fazit lautet: Für die Fifa und ihre Partner, die Sponsoren und vor allem die Baufirmen war die WM höchst profitabel – und für den südafrikanischen Staat brachte sie in erster Linie hohe Verluste. Auf Druck des Fußball-Weltverbands hatte die südafrikanische Regierung die Fifa-Gewinne sogar steuerfrei belassen. Adrian Lackay, Sprecher der Südafrikanischen Steuerbehörde SARS (South African Revenue Service), erklärte dazu: »Die Privilegien und Konzessionen, welche wir der Fifa zugestehen mussten, waren schlicht zu hoch und zu erdrückend, als dass für uns monetärer Nutzen hätte entstehen können.« Von den versprochenen dauerhaften Arbeitsplätzen für die Südafrikaner fehlt bis heute auch jede Spur. Schon Ende Juli nahm die Beschäftigungsquote gegenüber dem Vorjahr in Südafrika wieder um 4,7 Prozent ab. Im Baugewerbe gingen zwischen Juni 2009 und Juni 2010 gut 110 000 Jobs verloren, insgesamt in allen Branchen sogar 627 000. Das sind fast so viele, wie dem Gastgeber einstmals als Zuwachs durch die WM versprochen wurden.
Was Südafrika vom WM-Desaster wohl für ewig bleibt, sind sogenannte white elephants: Luxusstadien ohne Nachnutzung, Symbole einer gigantischen und wissentlichen Fehlplanung. Mindestens vier der zehn neu gebauten Arenen, nämlich die Stadien in Polokwane, Nelspruit, Kapstadt und Durban, sind für die nationalen Fußballclubs viel zu groß und vor allem im Unterhalt zu teuer, so dass sie in Zukunft nicht mehr kostendeckend genutzt werden können. Sie stehen leer und verfallen. Ein Rückbau wäre für den südafrikanischen Staat billiger, als die Betreiber der Stadien finanziell zu unterstützen.
Der südafrikanische Fußballverband (Safa) wies die Fifa schon lange vor der WM auf dieses drohende Problem hin, musste sich aber dem massiven Druck des internationalen Verbands und der Regierung beugen.
Seit der Vergabe der Fußballweltmeisterschaft nach Südafrika hat sich die soziale Ungleichheit im Land weiter verschärft. Mittlerweile leben dort 20 Millionen Menschen in Armut. Das heißt, sie haben nicht mehr als umgerechnet knapp zwei Euro am Tag zur Verfügung. Diese Armen versuchten, auf unterschiedlichste Arten von der WM zu profitieren. Die einen suchten sich einen Job als Bauarbeiter in den Stadien, Trainingsstätten und Hotels oder waren mit dem Bau der zahllosen Straßen beschäftigt, die das Land bis zur WM zersiedelten. Die Fifa beließ es bei der Ankündigung, den meist ungelernten Bauarbeitern faire Löhne zu bezahlen, wenngleich unter miserablen Sicherheitsstandards. Sie bewies damit wieder einmal: Dauerhaft und rechtlich bindend setzt sich der Fußballkonzern für Fair Play allenfalls auf dem Fußballplatz ein.
Die Arbeiter waren, auch wegen ihres niedrigen gewerkschaftlichen Organisationsgrads, auf sich allein gestellt. In für Südafrika ungewohnt lebhaften Arbeitskämpfen und Streiks erstritten sich die Bauarbeiter immerhin einen Lohn von umgerechnet mindestens 1,90 Euro pro Stunde. Diejenigen, die keinen Job auf dem Bau fanden, versprachen sich ein WM-Auskommen über den Kleinhandel, der zumeist als eine Art lokaler Schwarzmarkt rund um die Stadien betrieben werden wollte. Aber auch da hatten die Südafrikaner die Rechnung ohne die Fifa und ihre exklusiven kommerziellen Vermarktungspartner gemacht. Informelle einheimische Händler wurden regelrecht vertrieben. In Durban versuchte die Stadtverwaltung sogar einen fast 100 Jahre alten Markt aufzulösen, der rund 10 000 Menschen Arbeit bot. Erst ein Gerichtsurteil verhinderte das.
Berufen hat man sich bei diesen Vertreibungen auf »Fifa-Gesetze«, obwohl die Verbands­anordnungen für einen souveränen Staat rechtlich keinesfalls bindend sind. In Kapstadt wurde eine von der Fifa als offizielle Fanmeile ausgewiesene Straße (»Grand Parade«) von mehreren hundert Straßenhändlern »gesäubert«. Die Uno nennt eine Zahl von 20 000 Menschen, die an die Stadtränder in Hüttendörfer – man kann es nicht anders nennen – abgeschoben wurden.
Dem von der Fifa ohne Unterlass propagierten Mythos von der »Nachhaltigkeit« der WM in Südafrika ist spätestens seit dem Bericht des Schweizerischen Arbeiterhilfswerks der Boden entzogen. Man muss den Bericht nur lesen. »Der wirtschaftliche Effekt verdunstete, noch ehe der erste Tropfen gelandet war«, heißt es in der Evaluation. Mit dem Erbe dieser WM muss sich nun Südafrikas Bevölkerung herumschlagen. Die Fifa-Karawane und ihre Profiteure sind längst weitergezogen. Sie befinden sich auf dem Weg nach Brasilien, wo im Jahr 2014 die nächste WM stattfinden wird.