Besuchte das berüchtigte Migrantenviertel Cova da Moura

Immer der Arbeit nach

Am härtesten trifft die Krise die Migranten. Sie verlieren als erste ihre Jobs, die rassis­tische Diskriminierung nimmt zu. Zugleich emigrieren auch viele Portugiesen. In den ehemaligen Kolonien Portugals erwarten sie bessere Arbeitsbedingungen.

Hezbollah steht in einem kleinen Restaurant in Cova da Moura und versucht einen Fernseher zum Laufen zu bringen. Es kommen die Nachrichten, aber der Empfang ist gestört. »Die reden die ganze Zeit von der Krise«, sagt der Rapper und lacht, »bei uns ist schon lange Krise.« Draußen auf den Straßen des kleinen Viertels, das Migranten aus den ehemaligen afrikanischen Kolonien in den siebziger Jahren ohne Baugenehmigungen in der Peripherie Lissabons errichtet haben, stehen junge Männer mit verschränkten Armen vor einem Laden und hören Musik, Hezbollah wechselt mit ihnen ein paar Worte auf Kreol. Einer sonnt sich auf der Ladefläche eines kleinen Schuttlasters. Der wird heute nicht gebraucht, die Männer haben keine Arbeit, denn auf dem Bau, wo die meisten männlichen Bewohner des Viertels arbeiten, tut sich kaum etwas.
Im Büro des »Amtes zur beruflichen Eingliederung« von Cova da Moura sitzt eine junge Belgierin. »Ich mache gerade die Statistiken über das letzte halbe Jahr fertig«, sagt sie und zeigt auf eine Tabelle auf ihrem Bildschirm. Der zufolge kamen rund 400 Arbeitssuchende hier in den vergangenen sechs Monaten vorbei. In den Spalten für die verschiedenen Arbeitsangebote stehen viele Nullen, ab und zu auch eine Vier oder eine Fünf. »Haben Sie sich Gedanken über Ihre Interessen und Erwartungen gemacht?« ist auf dem Flyer der Behörde zu lesen. Erwarten können die meisten hier nicht viel. Glaubt man den Tabellen des Amtes, verfügt rund die Hälfte der Arbeitssuchenden nur über wenige Jahre Schulbildung, und unqualifizierte Jobs sind rar. »Und wenn man Arbeit findet, wollen die Unternehmer eine Aufenthaltserlaubnis sehen«, sagt Hezbollah. »Wer aber keinen Arbeitsvertrag hat, bekommt keine Aufenthaltsgenehmigung.« Das übliche Problem.
Weil die planlos entstandenen Straßen Cova da Mouras nicht die saubersten sind und alte Frauen vor den Häusern Maiskolben grillen, wird das Viertel in Reportagen gern als die »europäische Insel der Kapverden« verkitscht – oder als Hort der Kriminalität geschmäht. Weiße fallen hier auf wie Afrikaner in einem deutschen Dorf, Journalisten sind hier nicht gern gesehen. »Sie schreiben immer, dass hier nur Verbrecher leben«, sagt Hezbollah. Um dem etwas entgegenzusetzen, druckt er mit anderen zusammen eine Zeitschrift namens Jornal Gueto, in er es etwa um den Fall von McSnake geht, einen Rapper, der Anfang des Jahres in Lissabon durch Polizeikugeln starb. »Die Polizei ist extrem rassistisch«, sagt Hezbollah. Die Zeitschrift zeigt Fotos von schwerbewaffneten Polizisten, die durch Einwandererviertel patrouillieren, ein kleines Heft gibt Auskunft, welche Rechte man hat, wenn man verhaftet wird.
Im Jornal Gueto geht es unter anderem auch um neun von israelischen Soldaten erschossene Palästinenser. Ob sich der Rapper Hezbollah nennt, weil er Israel und die Juden hasst? Hezbollah lacht. Nein, sein Bruder habe ihn wegen seiner radikalen Ansichten einmal »Hezbollah« genannt, seitdem werde er in Cova da Moura eben so gerufen. Aber damit, was die Medien über Israel und den Gaza-Streifen berichten, können sich Ghetto-Kids wie er identifizieren: die Bewohner des Viertels auf der einen Seite, die Polizei als Agressor auf der anderen. »Hier ist es eigentlich friedlich«, sagt Hezbollah, »die Polizei ist das Problem.«

Das betont auch Mamadou Ba, der sich bei der Initiative »SOS Racismo« engagiert. »Die Einwanderer werden stets als gewalttätig dargestellt, aber in Wirklichkeit sind sie oft Opfer rassistischer Polizeigewalt«, sagt er im Gebäude des Stadtrats von Lissabon, wo er als Referent für Soziales und Migrationsfragen die Stadtratsfraktion des linken »Bloco de Esquerda« berät. Allgemein sei der Rassimus in Portugal im Vergleich zu anderen europäischen Ländern eher subtil, sagt er, »aber es gibt ihn«.
Rund vier Millionen Portugiesen leben selbst im Ausland. Denn bis Mitte der siebziger Jahre war Portugal ein Auswanderungsland. Könnte man angesichts dessen nicht vermuten, dass die Portugiesen die Probleme von Migranten aus eigener Erfahrung kennen? Mamadou Ba lacht. »Ja, nach der Revolution von 1974 hat man noch die Gleichheit und die Toleranz hochgehalten«, sagt er, man habe propagiert, die Portugiesen und die von ihnen Kolonialisierten seien alle verbunden durch die sie einende Sprache. »Das ist Folklore«, meint er, »aber immerhin hat es in Portugal lange keine organisierte rechte Bewegung gegeben.«
Heute gibt es sie. SOS Rasicmo zufolge ist der politische Diskurs seit Beginn der Krise rassistischer geworden. Wie fast überall in Europa propagieren Rechtspopulisten auch hier, Migranten seien ein Sicherheitsproblem und lebten parasitär von Staatsgeld. »Diese Vorstellung wird in der Gesellschaft zunehmend akzeptiert, selbst bei Linken«, sagt Mamadou Ba. »Der Bloco de Esquerda hat sich früher vehementer für die Rechte von Einwanderern eingesetzt, aber seit der Krise senkt man lieber die Stimme, wenn es um Migration geht«, kritisiert er seine Partei. »Das ist schade, man überlässt das Thema den Rechten.« Auf einem Plakat, das derzeit überall in Lissabon hängt, verspricht die Kommunistische Partei Portugals (PCP) eine »patriotische und linke Politik«. Immer mehr Menschen glaubten, die Migranten würden unglaublich viel geld vom Staat bekommen, sagt Mamadou Ba, »in Wirklichkeit kriegen sie nur ein paar Krümel ab«.
Als die Wirtschaft Portugals von Mitte der achtziger bis Anfang der neunziger Jahre wuchs, wandelte sich Portugal vom Auswanderungs- zum Einwanderungsland. Viele der Migranten kamen aus den ehemaligen afrikanischen Kolonien Portugals, den sogenannten Palop-Staaten. In Portugal wurde die Infrastruktur modernisiert, auf den Baustellen gab es Arbeit. »Die Migranten haben dieses Land aufgebaut«, sagt Mamadou Ba. »Zum Dank dafür werden sie und ihre Kinder heute stigmatisiert. Das ist das Resultat der Krise.« Schon seit der Expo 1998 gibt es kaum mehr große Baustellen. Die Migranten, die früher auf ihnen arbeiteten, sind heute größtenteils arbeitslos. Und die, die damals irregulär arbeiteten, bekommen heute keine Arbeitslosenunterstützung. Wer noch Arbeit auf dem Bau, in der Gastronomie oder als Haushaltshilfe oder irgendeinen Job in der informellen Ökonomie findet, bekommt meist Verträge, die auf wenige Monate befristet sind, nicht wenige arbeiten ohne Vertrag. »Der Staat ermutigt jetzt die Migranten, sich selbständig zu machen«, sagt Mamadou Ba, und dabei gehe es nicht darum, dass sie selbst ein Unternehmen gründen sollen. »Nein, sie sollen einfach selbständige Arbeiter sein. Damit versucht der Staat, sich der Verantwortung für diese Leute komplett zu entledigen.«

Für die meisten Migranten sind nicht nur die Arbeitsbedingungen prekär. Der Staat vergibt Arbeitsvisa für ein Jahr, für zwei Jahre, für fünf Jahre, manche haben das Glück, eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung zu haben. Mamadou Ba, der aus dem Senegal nach Portugal kam, lebt seit 14 Jahren hier. »Alle zwei Jahre muss ich meine Aufenthaltsgenehmigung verlängern«, sagt er und lacht. »Das System ist absurd. Die meisten Leute, die in den sogenannten Problemvierteln wohnen, sind hier geboren.« Für sie sei es besonders schwer, die benötigten Dokumente aus ihren Herkunftsländern zu bekommen. »Mit diesen Ländern haben sie doch nichts mehr zu tun.«
Nach Angaben von Mamadou Ba gibt es in Portugal etwa zwischen 80 000 und 100 000 illegalisierte Migranten. Die Schätzung begründet er mit dem Ergebnis der vorläufig letzten Legalisierungskampagne des portugiesischen Staats im Jahr 2001. »Die Legalisierung war ein großer Misserfolg«, sagt er. Rund 130 000 Arbeitsmigranten bekamen damals eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltserlaubnis. Die Bedingungen für die Verlängerung seien aber so bürokratisch gewesen, dass nur ein kleiner Teil der Legalisierten sie bewältigen konnte. »Es gibt also nicht deshalb so viele Illegale, weil die Legalisierung so viele neue Migranten angelockt hätte, sondern schlicht, weil die allermeisten Legalisierten nach einem Jahr in die Illegalität zurückgefallen sind.«
Eine erneute Legalisierungskampagne schließt das im Jahr 2003 verschärfte Ausländerrecht Portugals aus. Die meisten Illegalisierten haben deshalb schlechte Chancen, einen Aufenthaltsstatus zu erhalten. Auch wenn in Portugal kaum abgeschoben wird, weil das dem Staat zu teuer ist, haben sie keine Ansprüche auf staatliche Hilfen, sie bekommen kaum Arbeit, und wenn doch, sind sie oft Opfer besonders extremer Ausbeutung. Und viele der Migranten, die über einen legalen Aufenthaltsstatus in Portugal verfügen, arbeiten mittlerweile illegal in Spanien, Deutschland, Frankreich oder Holland, denn dort sind die Löhne höher. »Wenn sie Pech haben, werden sie nach Portugal zurückgeschoben, das ist für sie kein allzu großes Risiko«, sagt Mamadou Ba. »Trotzdem ist es verrückt: Für die mobilen, wirklich flexiblen Arbeitskräfte, die sich den Bedingungen der Globalisierung angepasst haben, gilt die Freizügigkeit der Europäischen Union nicht.«

»Viele glauben, Migranten würde in ein Land kommen und dann für immer bleiben«, sagt Gustavo Behr, der die brasilianische Migrantenverei­nigung »Casa do Brasil« leitet. »Aber das stimmt eben nicht. Migranten gehen dorthin, wo es Arbeit gibt.« Und da es in Portugal immer weniger Arbeit gibt, kommen immer mehr brasilianische Migranten zu Casa do Brasil, um sich nach Rückkehrhilfen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zu erkundigen. Dieses Jahr wächst Brasiliens Wirtschaft Schätzungen zufolge um 7,53 Prozent. »Das weckt Hoffnungen auf ein besseres Leben«, sagt Gustavo Behr. Nach Angaben der IOM hat sich die Zahl der brasilianischen Migranten, die Rückkehrhilfen beantragen, seit 2006 vervierfacht. Die brasilianischen Einwanderer, die die größte Einwanderergruppe in Portugal bilden, kamen größtenteils während der brasilianischen Wirtschaftkise der späten achtziger Jahre nach Portugal. Jetzt treibt sie die portugiesische Krise zurück nach Brasilien.
Aber auch Portugiesen fliehen vor der Krise in die ehemaligen Kolonien, vor allem nach Angola. Die dortige Wirtschaft wächst, und während die Arbeitslosenrate Portugals über zehn Prozent liegt, werden in Angola Ingenieure, Bankangestellte, Elektriker oder IT-Fachleute gesucht. Nach dem Bürgerkrieg, der erst 2002 endete, fehlen dort qualifizierte Arbeitskräfte. Wer eine entsprechende Ausbildung hat, kann in Angola auf höhere Löhne hoffen als in Portugal. Rund 100 000 Portugiesen leben mittlerweile in Angola, in den vergangenen drei Jahren kamen dort jährlich rund 25 000 portugiesische Wirtschaftsflüchtlinge an.
Im Vergleich mit Migranten wie etwa dem Rapper Hezbollah, der als kleines Kind mit seinen Eltern von den Kapverden nach Portugal kam und dort in Cova da Moura aufwuchs, erwarten die portugiesischen Migranten in der ehemaligen Kolonie Angola aber vergleichsweise gute Lebens­bedingungen. Insofern ist die Migration der Portugiesen nach Angola mit der Migration der ehemals Kolonialisierten nach Portugal dann doch nicht ganz vergleichbar. Obwohl in den Kolonialkriegen Portugals rund 50 000 Angolaner starben, gibt es aus Angola keine Berichte von rassistisch motivierter Polizeigewalt gegen Portugiesen. Einem Bericht der Online-Nachrichtenagentur Global Post zufolge vermissen portugiesische Migranten in Angola vor allem Kinos und Theater.