Extremsport: Surfen

Die Bestie, die dich töten will

Von einer, die auszog, die Welle das Fürchten zu lehren. Extremsportarten im Selbstversuch: Surfen.

Ich dachte, das sei eine einfache Aufgabe: ein bisschen Sport treiben und darüber schreiben. Ein großer Spaß. Je weniger es klappt, je mehr ich mich zum Horst mache, umso lustiger wird der Text. Eine kleine Vorrecherche ergibt: Portugal ist das Hawaii Europas. Baleal ist die Waimea Bay von Portugal. Ein Spot, an dem die Wellen laufen, ist immer dabei.
Wir versuchen, uns telefonisch für einen Kurs anzumelden, doch unter der im Internet an­gegebenen Nummer meldet sich niemand. War vielleicht eine Schnapsidee. Man ruft ja auch nicht in Las Vegas an, um sich fürs Roulette anzumelden. Je näher die Abfahrt rückt, desto mehr kleine Bedenken äußern die angehenden Extremsportler. Die Saison könne vorbei und das Wasser zu kalt sein. Vielleicht seien die Haie hungrig. Aber niemand kneift. Die Bucht nördlich von Peniche ist traumhaft schön. Doch wir haben nur Augen für das Wesentliche. Gruppen von menschlichen Pinguinen mit einheitlichen Leibchen marschieren diszipliniert den Strand entlang, machen Frei- und Dehnübungen. Sie legen sich auf Bretter, schaufeln wie die Maulwürfe im Sand und versuchen, sich möglichst elegant aus der Bauchlage in den Stand zu befördern. Entwürdigend. Andere Grüppchen von Pinguinen schaukeln mit ihren Brettern im Wasser. Der Profi nimmt nicht jede Welle.
Die Jungs im Surfcenter, einem Verschlag in der »Bar do Bruno«, sind jung, lässig, gutaus­sehend und braungebrannt. Wer hätte das gedacht? Unser Surflehrer heißt Joao und sagt freundlich: »Bis später.« Sofort anfangen ist nicht, wir haben noch zwei Stunden Zeit, bis der Kurs beginnt.
Wir lagern am Strand, sonnen uns, machen ein kleines Nickerchen. Wir denken immer noch, wir seien zum Spaß hier.
Schließlich begeben wir uns auf die Terrasse des Surfcenters, wo ein paar Leute sitzen, bestellen Galao. Doch die Leute sitzen nicht einfach bloß da. Sie hängen ab. Aber nicht irgendwie. Die Sonnenbrillen sitzen perfekt, die Bodys sind gut geröstet. Man lümmelt breitbeinig he­rum, mindestens einen Arm ausgestreckt auf der Stuhllehne des Nachbarn. Wir haben es hier mit der Entdeckung der Langsamkeit zu tun.
Man blinzelt aufs Meer hinaus, ignoriert die schwarzen Figürchen auf den Brettern. Die Blicke sind auf die Wellen gerichtet. Man plaudert bisweilen, mit vielen Pausen. Die Wellen seien ganz okay heute. Vielleicht aber doch nicht hoch genug. Oder zu langsam. Oder zu schlapp. »Sie brechen früh heute.« Die einen glauben, dass die Wellen stärker werden, die anderen behaupten, der Wind lege sich. Die einen sehen dies, die anderen das. Offensichtlich gibt es solche und solche Wellen. Und andere Wellen. »Wie viele Wellen hast du gemacht?«, fragt eine Frau ihren Freund. Er überlegt und sagt mit leichtem, lässigem Schulterzucken: »15.« Profis können das nicht sein.
Auch wir rutschen automatisch auf den Stühlen ein bisschen nach vorn, strecken die Beine aus. Die Nervosität steigt dennoch. Unsere hektischen Blicke auf die Uhr verraten uns.
Schließlich geht es los. Das Einkleiden beginnt. Wir bekommen Stullentütchen in die Hand gedrückt und blicken fragend drein. Ach so, wenn man die über Füße und Hände zieht, schafft man es geringfügig leichter in die Wurstpellen hinein. Nein, nicht mit dem Reißverschluss nach vorn. Angespanntes Kichern. Eng sind die Dinger und noch ein bisschen feucht. Sie fühlen sich nicht unangenehm an, vielmehr wie eine zweite Haut, bloß am Hals schnüren sie einem ein wenig die Luft ab. Wir halten es für einen Witz, als wir ungefähr drei Meter lange Bretter in die Hand gedrückt bekommen. Es scheinen aber tatsächlich unsere zu sein. Zwei mit pinken Streifen für die Frauen, drei mit blauen Streifen für die Jungs. Wir sehen aus wie die Besatzung der Enterprise. Beim Schleppen der Bretter machen wir noch Faxen. Dann beginnt der Kurs.
Eben warst du noch mit Freunden unterwegs. Schon bei den Trockenübungen geht es nur noch um dich. Du fühlst plötzlich das Board. Du ahnst: Das ist kein Spaß. Freunde? Wer braucht schon Freunde? »Your board is your boyfriend«, sagt Joao. »You’ll never, never leave it alone.« Die Übungen machst du automatisch, wie ein Roboter. Du schwitzt bei den demütigenden Übungen in der Sonne, bedauerst, dass du dich nicht vorher mit regelmäßigen Liegestützen ordentlich getrimmt hast. Du denkst keine Sekunde daran, dass du jetzt aus der Ferne aussiehst wie die anderen gedemütigten Pinguine. Dein Ziel ist das tosende und brausende Element.
Der Weg zur Welle ist weit und beschwerlich, gepflastert mit Niederlagen. Das Wasser läuft dir kalt den Rücken hinunter, das Board zerrt an der Leine. Schwimmen ist nicht möglich, weil du es festhalten musst. Es geht drei Schritte vor, zwei zurück. Je weiter du eindringst, desto kräf­tiger spürst du den Widerstand. Wellen sind nicht gleich Wellen. Die einen nimmst du schon gar nicht mehr wahr. Die sind was für Luftmatratzenplanscher. Die anderen wollen nur spielen, klatschen dir lustig fässerweise Wasser ins Gesicht, drängen dich zurück zum Strand. Die Schaumkronen türmen sich vor dir auf, sie posen, versuchen, dir Respekt einzuflößen. Hast du Angst und versuchst, dich hinter dem Brett zu verstecken, hauen sie dich um und gewinnen. Dann fängst du wieder ganz von vorn an. Die richtige Welle musst du dir erarbeiten.
Kommst du ihr schräg, zerlegt sie dich. Und doch kommst du ihr immer wieder verdammt schräg. Stimmt die Richtung, wirst du leicht hektisch, weil dich die Geschwindigkeit überwältigt. Unzählige Male gibt die Welle es dir, lässt dir Hören und Sehen vergehen, nimmt dir Oben und Unten, Links und Rechts, schleudert dich herum, raubt dir den Atem, lässt dich Wasser schlucken und keuchen. Sie wirft dich um Meilen zurück, Richtung Strand, weit weg von der nächsten Welle. Du gibst nicht auf, rappelst dich immer wieder hoch.
Du und dein Board, ihr seid eins. Die Fußfessel und die Leine daran, über die du ständig stolperst, das sind Äußerlichkeiten. Auf das Gefühl kommt es an. Du bist nicht mehr »ich« – du bist »wir«. Ihr, du und dein Board, geht zusammen hinein, du schubst es über die ersten Wellen, es trägt dich über die nächsten. Ihr seid ein Team. Ihr macht es zusammen oder gar nicht. Fasst du es nicht richtig an, serviert es dich ab. Es zeigt dir, ob du es draufhast oder nicht.
Die Welle spürst du. Du siehst die stahlblaue Bestie, die dich unter sich begraben will, auf dich zurasen. Du tust so, als wolltest du ihr entkommen, paddelst um dein Leben, damit sie glaubt, sie habe ein leichtes Spiel mit dir. Dann springst du auf, lässt dich mitnehmen, benutzt sie. Du spürst ihre Kraft, die Macht, die sie hat. Und dass du sie beherrschst. Dass ihr sie beherrscht, du und dein Board. Die Richtung stimmt, die Bewegungen stimmen, der swell läuft, du bist berauscht, aber glasklar im Kopf. Die Geschwindigkeit gibt dir den Kick. Du könntest einfach auf dem Board liegen bleiben, das wäre Spaß. Aber du stemmst dich hoch, bringst dich in Stellung, kommst zum Stehen, lässt das Board los, und weil du loslassen kannst, seid ihr erst recht eins und erlebt schier unfassbare dionysische Wonnen.
Dein Brett und du, ihr geht hinterher zusammen duschen, damit es schön sauber wieder in die Hütte gestellt werden kann. Beim Bier danach fehlt dir etwas, obwohl es schmeckt wie keins zuvor. Du fühlst dich weichgespült, keuchst und hustest noch. Alle Gliedmaßen zittern. Du triffst deine Freunde wieder. Ihr redet gelegentlich, mit Pausen, erwähnt die kleinen Blessuren, die ihr davongetragen habt aus den überstandenen Gefechten. Aber eure Blicke sind auf die Wellen gerichtet. Jeder von euch spürt es. Ihr seid nicht gesurft, ihr seid Surfer geworden, habt die andere Sphäre des Seins erfahren. Après-Surf gibt es nicht. Surfen, das ist eine eigene Sprache. Es ist eine eigene Philosophie. Und es ist eine eigene Welt: du, das Board, die Welle. Du wirst immer nach der einen suchen, die dich töten will. Und dann machst du sie.