Valerie Solanas: »Scum«

Von Lurchen und Parasiten

»Scum«, Valerie Solanas’ radikalfeministisches »Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer«, ist neu aufgelegt worden.

Das Schöne an Manifesten ist, dass sie immer im Imperativ geschrieben werden. Da gibt es kein Abwägen, kein Einerseits-Andererseits, jeder Satz hat ein Schlag ins Gesicht zu sein. Egal, ob Marinetti in seinem futuristischen Manifest zur totalen kulturellen Erneuerung und zur Zerstörung des Alten aufruft oder jüngst der Filmemacher Klaus Lemke ein Ende der Filmförderung verlangt mit dem griffigen Slogan: »Ich fordere Innovation statt Subvention.« In Manifesten wird mit klaren Worten gefordert, verlangt, befohlen und weit übers Ziel hinausgeschossen.
Auch der radikalfeministische Klassiker »Scum« von Valerie Solanas, der jetzt neu herausgegeben wird, braucht nicht viele Seiten, um nachdrücklich die Maximalforderung zu stellen: die Abschaffung der Männer. Eigentlich ist gleich im ersten Satz alles gesagt, und der Satz ist so gut, dass er zur Gänze zitiert werden soll: »Das Leben in dieser Gesellschaft ist ein einziger Stumpfsinn, kein Aspekt der Gesellschaft vermag die Frau zu interessieren, daher bleibt den aufgeklärten, verantwortungsbewussten und sensationsgierigen Frauen nichts anderes übrig, als die Regierung zu stürzen, das Geldsystem abzuschaffen, die umfassende Automation einzuführen und das männliche Geschlecht zu vernichten.« Im Rest des Manifests wird eigentlich nur noch etwas genauer ausgeführt, warum genau und wie diese Auslöschung der einen Hälfte der Menschheit bewerkstelligt werden soll.
Das Warum wird sehr direkt und unverblümt erläutert: Weil er ein »Lurch« ist, der Mann, ein Tier, verkommen, zu nichts zu gebrauchen, und – was noch viel schlimmer ist – weil er versucht, andere zu sich in den Schmutz herabzuziehen. »Auf dem Mann«, schreibt Solanas, »liegt ein umgekehrter Midas-Fluch – alles, was er berührt, wird zu Scheißdreck.«
Der Mann ist für Solanas ein Parasit, ein Vampir. Bis heute ist nicht ganz klar, wie ernst ihr ihre eigenen Worte wirklich waren, sie selbst bezeichnete »Scum« später als Satire. Männergruppen, die sich im Internet auf Seiten wie »Sexistinnen-Pranger« formieren, nehmen Solanas immerhin so ernst, dass sie vor deren Aufruf zum »Androzid« ausdrücklich warnen.
Die Geschichte der Frau, die schon beim ersten Versuch, einen Mann zu eliminieren, scheiterte, ist tragisch. Sie wurde von ihrem Vater missbraucht, versuchte, in der New Yorker Factory-Szene um Andy Warhol Fuß zu fassen, und verübte kurz nach der Verfassung ihres Manifests ein Attentat auf Warhol. Manche sagen, der Grund dafür sei, dass sie sich von ihm schlecht behandelt fühlte. Sie selbst meinte nach ihrer Tat, die Gründe seien in ihrem Manifest nachzulesen. Warum es allerdings ausgerechnet Warhol als ersten erwischen sollte, bleibt trotzdem rätselhaft. Solanas lässt sich in »Scum« mehrmals verächtlich über die Kunst aus, die sie als weiteren männlich geprägten Unterdrückungsapparat kritisiert, und Warhol war Ende der Sechziger speziell in New York nun mal der Kunstkönig. Er war tatsächlich auch einer, der es genoss, dass sich andere in seinem Glanze spiegelten, der diese aber auch gerne wieder fallen ließ, wenn er ihrer überdrüssig wurde. Andererseits verkörperte er gerade nicht das »Animalische«, das Solanas so sehr verachtete, er war eher asexuell und nicht einmal wirklich ein Mann und gehörte, Solanas’ Schrift zufolge, zu denjenigen, die man nicht unbedingt vernichten müsste. Warhol selbst glaubte später, einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein, als die drei abgeschossenen Kugeln aus Solanas’ Revolver ausgerechnet ihn trafen.
Traurig ist auch, wie es nach dem Attentat mit Solanas weiterging. Erst mal Gefängnis, dann kam nicht mehr viel. Man verlor sie aus den Augen, bis man sie eines Tages in verwahrlostem Zustand tot in San Francisco auffand. Dennoch wurde ihre Geschichte verfilmt (»I shot Andy Warhol«), »Scum« wurde ebenfalls verfilmt, fürs Theater adaptiert und hat bis heute Bedeutung als feministische Kampfschrift.
»Scum« liest sich als Text immer noch herrlich. Das Pamphlet ist durchgeknallt, grotesk, teilweise aber immer noch verblüffend zutreffend. Für den heutigen Feminismus sind Solanas’ Beschreibungen der Männer als reine Sexbestien wohl nicht mehr zu gebrauchen. Weil die Männer immer nur das eine wollten, müssten sich die Frauen ihnen körperlich entziehen, allein das läute schon den Untergang der triebzentrierten Spezies Mann ein. An die Emanzipation der Frau durch selbstbestimmtes Ausleben der eigenen Sexualität hat Solanas nicht gedacht. Wo sie Freuds Penisneid auf den Kopf stellt und behauptet, der Mann sei letztlich nur eine unfertige Frau und missgönne aufgrund eines »Vagina-Neids« in Wahrheit der Frau das Frau-Sein, könnte sie, zumindest nach Klaus Theweleits »Männerphantasien«, wiederum teilweise Recht gehabt haben.
Man stößt auf viel Stuss in diesem teils waghalsigen Text, aber vieles würde man auch heute noch unterschreiben. Man liest Sätze wie diesen: »In einer Gesellschaft, die auf Geld und sinnloser Arbeit fundiert ist, gibt es keine Liebe; diese fordert völlige ökonomische wie persönliche Freiheit .« Die Aussage würde sich gut als Kalenderspruch in jeder linken WG machen. Oder die Poplinke von heute – bekanntlich hauptsächlich aus Männern bestehend – kriegt noch einen eingeschenkt: »Kulturkonsum ist der verzweifelte, verrückte Versuch, eine beschissene Welt ›groovy‹ zu finden, dem Horror einer sterilen, bewusstlosen Existenz zu entrinnen.« Solanas nimmt die Queerbewegung von heute vorweg und sagt: »Wenn die Männer klug wären, würden sie sich anstrengen, tatsächlich Frauen zu werden.« Und vor allem ist man ganz auf ihrer Seite, wenn sie den männlichen Abschaum näher benennt: »Miese Schlagerstars und Musiker« oder »Männer, die den Mund aufmachen, wo sie nichts zu sagen haben«.
Sätze wie dieser sind kraftvoll und unversöhnlich: »Rational denkende Männer wollen zusammengeschlagen, mit Füßen getreten, am Boden gehalten, niedergedrückt und wie Hunde behandelt werden; dreckig wie sie sind, wollen sie ihre Widerwärtigkeit bestätigt wissen.« Wenn man solche Zeilen liest, erschließt sich besser, wo Bewegungen wie die Rrriot-Girls nachgeblättert hatten. Nicht zuletzt hat wahrscheinlich sogar Matt Groening »Scum« gelesen. In der schönen neuen Welt, die sich Solanas herbeisehnt, in der Männer endlich kapiert haben, wie nichtsnutzig sie sind, können sie »gleich um die Ecke zum nächsten Selbstmord-Center gehen, wo sie unauffällig, schnell und schmerzlos vergast werden«. In Groenings Science-Fiction-Serie »Futurama« gibt es eine Folge, in der es diese Selbstmordzellen tatsächlich gibt. In einer solchen will sich der Roboter Bender ins Jenseits befördern. Immerhin ist Bender auch so eine Art Mann.

Valerie Solanas: Scum. Philo Fine Arts, Hamburg 2010, 110 Seiten, 10 Euro