Wer wenig hat, der zahlt am meisten

Wer wenig hat, der zahlt am meisten

Deutschland feiert den Aufschwung, Europas Peripherie versinkt in der Krise. Um die Stabilitätskriterien der EU zu erfüllen, verkündet die portugiesische Regierung ein Sparprogramm, das vor allem bei den Armen spart.

Der Aufstand begann mit 20 Kanonenschüssen. Die überwältigende Mehrheit der Einwohner von Lissabon schloss sich den revolutionären Soldaten und Matrosen an, nach kurzen Kämpfen war die Monarchie gestürzt. In dieser Woche jährt sich zum 100. Mal die Gründung der ersten portugiesischen Republik, die damals aber nicht lange überlebte. Denn wenige Jahre später übernahm der Wirtschaftsprofessor António de Oli­veira Sa­lazar die Macht in dem bankrotten Land. Sein »Estado Novo« (»Neuer Staat«) etablierte sich als die dauerhafteste Diktatur in Westeuropa. Sie endete erst 1974 mit der Nelkenrevolution.
Heute, pünktlich zum republikanischen Jahrestag, stehen Portugal wieder stürmische Zeiten bevor. Die größte Gewerkschaft (CGTP) ruft für Ende November zu einem Generalstreik auf. Nicht, um einen neuen Aufstand vorzubereiten, sondern »um schlimmere soziale Unruhen zu verhindern«, wie ihr Vorsitzender Carvalho da Silva versichert. Gründe für solchen Protest gäbe es mehr als genügend, nachdem die Regierung vergangene Woche ein hartes Sparpaket angekündigt hat. Der mittlerweile dritte »Plan für Stabilität und Wachstum« (PEC), wie das fiskalische Massaker euphemistisch benannt wird, kombiniert radikale Einsparungen bei Löhnen, Renten und Sozialleistungen mit drastischen Steuererhöhungen. Insgesamt will die Regierung von Ministerpräsident José Sócrates damit rund elf Milliarden Euro sparen. Nur so könne das Land die EU-Stabilitätskriterien einhalten.
Die Tageszeitung O Publico hat vorgerechnet, wer hauptsächlich durch die Krise belastet wird. Wer wenig besitzt, muss mehr zahlen, lautet die einfache Diagnose. So müssen Banken und Investoren eine zusätzliche Abgabe leisten, die gerade mal ein Zehntel des Sparprogramms ausmacht. Zwei Drittel der Kürzungen fallen hingegen auf die so­zial schwächsten Bevölkerungsschichten zurück.
Dabei ist fraglich, was die Sparorgie überhaupt nützen wird. Die Ratingagentur Standard&Poor’s prognostiziert bereits jetzt eine Rezession für das kommende Jahr. Das bedeutet weniger Steuereinnahmen und eine höhere Verschuldung. Die Kreditwürdigkeit des Landes nimmt noch mehr ab, die Zinsen für portugiesische Staatsanleihen steigen weiter.
Die Krise in Portugal funktioniert wie eine sich selbsterfüllende Prophezeiung. Ist der Ruf auf dem freien Markt endgültig ruiniert, dann bleibt nichts anderes übrig, als in den europäischen Rettungsfonds zu flüchten. Dessen Regeln wurden maßgeblich in Berlin aufgestellt. Welche Auflagen damit verbunden sind, müssen derzeit die Griechen erleben. Die Portugiesen, Spanier und Iren könnten bald folgen.
Während die Peripherie Europas in der Schuldenkrise versinkt, bessert sich im Zentrum des Kon­tinents die Laune. In dem Maße, wie die südeuropäischen Länder ihre Bonität verlieren, fallen die Zinsen für die deutschen Staatsanleihen. Die Krise der einen ist der Aufschwung der anderen.
Ob es bei dieser europäischen Teilung bleiben wird, hängt auch von der Widerspenstigkeit der Portugiesen ab. Gewerkschaften und soziale Bewegungen werden zumindest alles daran setzen, um die Pläne ihrer Regierung zu verhindern. König Manuel II. musste vor 100 Jahren sein Bridgespiel überraschend beenden und vor den repu­blikanischen Revolutionären Hals über Kopf nach England flüchten. Ein ähnliches Schicksal steht Portugals Ministerpräsident José Sócrates zwar nicht unmittelbar bevor. Die kommenden Wochen und Monaten könnten dennoch reichlich ungemütlich für ihn werden.