Zum Tod von Martin Büsser

On the Wild Side

Er war Verleger, Publizist, Zeichner, Musiker, Popautor, Anti-Folkie, Gender-Theoretiker: zum Tod unseres Kollegen Martin Büsser.

Unterwegs

VON SONJA EISMANN
Ich hasse es, wenn in Nachrufen das eigene Erleben in den Mittelpunkt gestellt und sich an besonders lustige Dinge erinnert wird. Denn es geht nicht um die lausigen Befindlichkeiten der glücklichen Überlebenden, und ein Tod ist so etwas verdammt Trauriges, dass man nicht mit Anekdoten aus dem Leben des Verstorbenen aufgeheitert werden möchte.
Trotzdem werde ich mich hier genau dieser beiden Vergehen schuldig machen. Denn Martin Büsser war so bescheiden, dass man ihm und dem, wie er war, nur nahe kommen konnte, wenn man tatsächlich mit ihm im Austausch stand, ihn leibhaftig erlebte. Weil er keine Worte über sich verlor. Man hatte fast den Eindruck, das erschiene ihm unanständig. Und er war, was neben all den anderen herausragenden Qualitäten wie seiner Intelligenz, seiner unglaublich großen Bildung, seiner absoluten Zuverlässigkeit sowie seiner Unkorrumpierbarkeit beinahe in den Hintergrund treten konnte, in seiner wunderbar trockenen, fast schmerzlich uneitlen Art so lustig, dass ich mir erlaube, mich selbst ein wenig über den Verlust hinwegzutrösten, indem ich mich und andere daran erinnere.
Dabei ist das hier gar keine lustige Geschichte. Als ich Martin Büsser einmal in Mainz besuchte, um ein Buchprojekt zu besprechen, ging ich mit ihm und seinem Freund und Kollegen Ingo Rüdiger erst etwas essen und dann noch in eine Weinstube etwas trinken. Wir sprachen über vieles, nur nicht über mein Buch, worüber ich insgeheim sehr froh war, weil ich mein Konzept noch reichlich unausgegoren fand und Angst hatte, der kluge Martin könnte davon enttäuscht sein. Der Abend war lustig und feucht, die Gespräche wurden immer wirrer, was nicht nur am Alkoholpegel, sondern bei mir wohl auch daran lag, dass ich viele der Namen, die da fielen, nicht kannte. Irgendwann sprach man über eine Modestrecke, die in dem Musikmagazin, für das ich damals arbeitete, erschienen war. Es wurde immer hitziger, bis auf einmal klar wurde, dass man sich über völlig verschiedene Dinge und Personen echauffierte, was Martin mit einer trockenen Bemerkung klarmachte.
Da wurde deutlich, jetzt muss es nach Hause gehen. Martin spazierte mit mir heim, redete völlig klar und machte auf einmal einen zackigen Schritt nach links, direkt in meine Laufbahn, so dass ich dachte, wir müssten nun die Richtung ändern. Aber nein, es war nur ein kleiner Tribut an die Trunkenheit, dann ging es gerade weiter in seine schöne Wohnung, in der ich in einem Zimmer mit Büchern bis an die Decke übernachtete.
Am nächsten Morgen saß Martin mit einer riesigen Espressokanne in der Küche, rauchte fortwährend Selbstgedrehte und sprach mit mir über Musik und die Zustände. Nach drei Kannen Espresso erinnerte er sich daran, dass ich vielleicht so etwas wie Frühstück wollen würde, und führte mich in ein Eiscafé in der Innenstadt. Ich war mir sicher, dass er sich endlich etwas Vernünftiges bestellen würde. Und dann be­stellte er: einen Eiskaffee. Und rauchte viele Zigaretten dazu. Als wir uns am Bahnhof verabschiedeten, dachte ich wie jedes Mal beim Verabschieden: Wie unerschütterlich und unbeirrbar er mir vorkommt! Und wie dünn und zart er ist. Es gab diese Angst, eine sachte Berührung könne ihn zerknicken, und die Sorge, dass Martin in seiner Begeisterung für Themen, in seinem Drang, sich auszutauschen und zu agieren, seine körperliche Existenz nur als lästiges, nicht zu transzendierendes Faktum wahrnehme. Was nicht heißt, dass er gute Speisen und Weine nicht zu schätzen gewusst hätte. Aber er wollte schneller sein als jeder Körper, der ihn begrenz­te. Es ist unendlich traurig, dass es genau diese Körperlichkeit war, die ihn mit einer so bösen, unbarmherzigen Krebserkrankung ausgelöscht hat. Ich kann nicht glauben, dass dieser Martin, der so verlässlich war und all seine Texte ohne Fehl und Tadel so lange vor der Deadline ablieferte wie kein anderer, dieser Martin, von dem man sicher sein konnte, wöchentlich Kluges und Erhellendes in allen Lieblingsmedien zu lesen, die­ser Martin, der im Ventil Verlag tolle Bücher editierte, die in Deutschland sonst niemand machte, dieser Martin, der mit der Zeitschrift Testcard unermüdlich die Fahne einer linken popkulturellen Auseinandersetzung hochhielt, und vor allem dieser Martin, der so unkorrum­pierbar und bescheiden war – dass dieser Martin nicht mehr so weitermachen kann, wie man sich immer darauf verlassen konnte, dass er weitermacht. In meiner Vorstellung ist er immer noch da, in Mainz im Verlag, unterwegs zu Podien, Lesungen, Vorträgen, zu Veranstaltungen und Konzerten, die ihn interessieren. Denn wenn ich daran denke, dass er nicht mehr da sein soll, muss ich verzweifeln. Weil niemand diesen klaffenden Abgrund, der sich hier öffnet, wieder schließen kann.
Der Netzwerker
VON JÖRG SUNDERMEIER
Der Autor, Zeichner, Musiker und nicht zuletzt Verleger Martin Büsser ist in kurzer Zeit lange gestorben. Und in den rund drei Monaten, die ihm nach einer vernichtenden ärztlichen Diagnose noch blieben, hat er sich nicht geschont – wofür auch? Er hat, so gut es eben ging, journalistisch weitergearbeitet, er hat mit anderen besprochen, wie der von ihm mitbegründete Ventil Verlag und das von ihm geprägte Magazin Testcard weiter existieren können, und er tat dies mit einer bewundernswerten Haltung. Fast könnte man sagen: Er regelte seine Dinge gelassen. Noch kurz vor seinem Tod scherzte er mit Freunden. Er machte ihnen Mut. Und das, obschon er gern noch weitergelebt hätte. Er hat weitergemacht. Er hat nicht aufgegeben. Bis zuletzt.
Diese Haltung war es, um die ich ihn immer beneidet habe. Martin Büsser war nicht irgendein Popjournalist, er war zunächst einmal ein Linker. Daher ging es ihm bei der Einordnung von Musik, Literatur oder Kunst immer auch um ihren politischen Gehalt. Neue Produkte waren ihm weniger wichtig als Kritik, und Trends waren ihm gleichgültig. Dennoch wollte er nie Kunst, die Parolen nachbetet, Manifeste waren seine Sache nicht. Ihm gefiel es, Widersprüche aufzudecken und notfalls auszuhalten. Dementsprechend gab er nicht nach, ließ eine falsche Haltung nicht unkommentiert, war nicht aus Bequemlichkeit nachsichtig gegenüber Freundinnen und Freunden, Kolleginnen und Kollegen. So wandt er sich ab von Schlingensief oder Jochen Distelmeyer, deren Schaffen er zunächst wohlwollend begleitet hatte, und das nicht etwa, weil sie Karriere machten, sondern wegen der Kursänderungen, die sie um des schnellen Erfolgs willen vornahmen. Martin Büsser war kein Gegner des Erfolgs – der Unsitte einiger Indierock-Fans, ihre Bands zu hassen, wenn viele sie lieben, ist Martin Büsser nie verfallen. Er wollte gute Musik, gute Literatur und gute Kunst durchsetzen und nicht nur für sich haben. Selbstverständlich war er daher auch bereit, sich zu korrigieren – sogar öffentlich, auf der Bühne, vor großem Publikum. Es ging ihm um einen Dialog, nicht um Rechthaberei.
Als Verleger ging er durchaus Kompromisse ein, wenn ihm etwa ein Titel, den die Kollegen liebten, nicht so gefiel. Als Herausgeber der Testcard war er anders, rigoroser. Zusammen mit Tine Plesch, die ebenfalls viel zu früh gestorben ist, und danach mit Jonas Engelmann setzte er sich für die Bewahrung der Popkultur ein. Als er einsehen musste, dass sie nicht zu bewahren war, dass die Popkulturszene eben doch nur ein Teil der Kulturindustrie war, nahm er es locker. Er neigte nicht zu Melancholie.
Martin Büsser hätte zweifelsohne Redakteur einer großen Zeitung werden können, es gab auch durchaus Bemühungen von seiner Seite, gutes Geld zu verdienen. Doch dafür machte er sich nicht krumm. Er schrieb stattdessen für ein beschämend geringes Zeilenhonorar für Zeitschriften und Zeitungen wie diese. Es war eine politische Entscheidung. Dort konnte er schreiben, wie es ihm passte. Er las in lausigen Jugendclubs und beschwerte sich auch nicht selten über geringes Honorar, schlechte Unterkunft, mangelnde Werbung. Dennoch sagte er immer wieder zu, wenn Leute, die ihm politisch genehm waren, um eine Lesung baten, und bekam wieder ein geringes Honorar und eine schlechte Unterkunft, und die Werbung wurde wieder vergessen.
Martin Büsser war jemand, der gern mit anderen zusammenarbeitete. Auf professionelle Weise. Netzwerke hatte er schon gebildet, als noch niemand das Wort kannte. Er arbeitete verbindlich. Er war sein eigener Kopf, doch seine Sache war unsere. Er fehlt.
Eine Erinnerung
VON ROGER BEHRENS
Mitte der Neunziger war die Poplinke bei sich selbst angekommen. Der von ihr verteidigte Hedonismus, subversiv und sexy wie er sein wollte, erwies sich als brauchbares Programm eines die gesellschaftliche Mitte und ihre Randzonen gleichermaßen umarmenden Lifestyles. Die zur Politik erklärte Tanzfläche war groß, reichte von Diskursrock über HipHop, Drum’n’Bass bis zum geschmeidigen Minimal-Techno. Disco statt Diskussionen, Poplinks war Konsens – in Köln, Berlin, Frankfurt am Main, sogar in Hamburg, Leipzig und München.
Was gut und richtig war, bestimmten die, die mit verschränkten Armen in der ersten Reihe standen – meistens Männer. Da fiel eine Anzeige auf: »Testcard#1: Pop & Destruktion«. Ein Bestellfax ging nach Oppenheim, Postfach 1145, Martin Büsser. Das war vor genau 15 Jahren, im September 1995. Ich erhielt keine Zeitschrift, sondern ein Buch mit 280 Seiten. Das war zwar politisch alles andere als einwandfrei – Artikel über Death in June, Boyd Rice etc. –, aber doch erkennbar politisch korrekt provozierend, weshalb das Projekt selbstverständlich sofort sympathisch war. Und wegen Avantgarde, Punk, Monty Python.
Martin schrieb über GG Allin, This Heat, Artaud und Fluxus. Die erste Begegnung mit ihm fand dann in Form eines kleinen Briefwechsels statt. Merkwürdig: Wir duzten uns, die Anrede war aber immer mit Vor- und Nachnamen. Der erste Brief von Martin vom 25. Oktober 1995 war handgeschrieben: »Dieser Brief leider nicht vom Schreibtisch zuhause aus – daher ist meine Schrift dem Fahrstil der Deutschen Bahn ausgesetzt … « Erst heute, wo es Freunde und Bekannte immer wieder in den kleinen Nachrufen und Epigrammen erwähnen, wird klar, wie sehr schon der erste, lapidare Satz in Martins Brief seinen Charakter verriet: Völlig unprätentiös, aber ohne falsche Bescheidenheit, sondern mit herzlicher Offenheit – das war Martin, und das beinhaltete auch einen Umgang mit Kultur und Gesellschaft, wie man ihn in der Poplinken damals vergeblich suchte.
Als wir uns dann ein Jahr später persönlich kennenlernten, bestätigte sich dieses Bild: Martin war gänzlich frei von jedem Szenedünkel und modischen Allüren, immer ruhig, aber nie zurückhaltend, mit einer klaren Position und seinem fundierten Wissen.
Die Zusammenarbeit über die Entfernung zwischen einerseits Oppenheim bzw. später Mainz und andererseits Hamburg war nicht immer leicht. Und ohne Martins Elan, ja ohne seine Arbeitswut, wäre das Projekt Testcard schon früh gescheitert. Es hat wohl keinen Publizisten in diesem Bereich in den letzten zwei Jahrzehnten gegeben, der mit so viel Sachverstand und Produktivität präsent war.
Die vergangenen Jahre haben wir uns nur noch selten gesehen. Das letzte Mal vor einem Jahr. Und jetzt nie wieder. Lieber Martin, ich schäme mich, dass ich dich mit meinen letzten Worten angelogen habe. In Unkenntnis darüber, wie schlecht es dir ging, schickte ich eine Woche vor deinem Tod eine Mail, mit dem freundschaftlich gemeinten Befehl: »Alles soll gut werden. Alles wird gut!« Wahr ist: Es ist alles schlimm geworden, und es wird alles immer schlimmer.