Über die Aufklärung des Mordes an Rafik Hariri in Syrien

Anklage gegen die Zeugen

In Syrien wurden 33 Haftbefehle gegen ­libanesische Politiker erlassen, die vor UN-Ermittlern falsch ausgesagt haben sollen. Viele Libanesen befürchten, dass sich die innenpolitischen Konflikte verschärfen.

Bald gibt es Krieg im Libanon. Darüber diskutiert man im Hausflur und im Taxi. Im Supermarkt decken sich einige schon mit Konservendosen ein. Mehrere arabische Zeitungen haben herausgefunden, dass der Waffenmarkt boomt. Es heißt, die Parteien der parlamentarischen Mehrheit um Ministerpräsident Saad Hariri ließen Kämpfer in Ägypten ausbilden.
Anlass der Sorge sind die erwarteten Ergebnisse des UN-Tribunals zur Aufklärung des Mordes am früheren Ministerpräsidenten Rafik Hariri. Im Jahr 2005 war Hariri einem Autobombenattentat zum Opfer gefallen. Viele vermuteten damals die Täter in Syrien, eine Protestbewegung erzwang den Abzug der syrischen Armee. Auch der erste UN-Ermittler kam zu dem Ergebnis, dass das Attentat aus Syrien gesteuert worden sei. Doch unter dem nun dritten Chefermittler Daniel Bellemare ist das Tribunal zu dem Schluss gekommen, dass Mitglieder der Hizbollah Hariri ermordet haben. So ist es zu den Medien durchgedrungen. Das Tribunal schweigt noch.

Dass Mitglieder der Hizbollah hinter dem Attentat auf den Vater des derzeitigen Ministerpräsidenten stecken sollen, ist brisant. Denn die Hizbollah ist die größte Partei und an der Regierung beteiligt. Im August bemühten sich deshalb der syrische Präsident Bashar al-Assad und der saudische König Abdullah bei einem Sondergipfel in Beirut darum, die Lage zu beruhigen.
Zuvor hatte sich Premierminister Saad Hariri dafür entschuldigt, die Syrer des Mordes verdächtigt zu haben. Zur Führung der Hizbollah soll er einen Geheimdienstler mit den Namen der verdächtigen Mitglieder geschickt haben. Anonymen Quellen zufolge ließ er mitteilen, die Hizbollah könne mit den Verdächtigen nach ihrem Belieben verfahren: Sie könne sie moralisch verurteilen, dem Staat übergeben oder liquidieren. Die Hizbollah hat sich für letztgenanntes entschieden und behauptet, sie seien israelische Agenten gewesen.

Mehr konnte Hariri nicht tun, ohne sich im eigenen ehemals antisyrischen Lager gänzlich unbeliebt zu machen. Doch in Syrien meint man, dass es nicht reicht. Vergangene Woche hat die syrische Justiz Haftbefehle gegen 33 libanesische Politiker wegen falscher Zeugenaussage gegenüber dem Tribunal ausgestellt. Auf der Liste finden sich bekennende Kritiker Syriens. Da die Syrer nicht mehr unter Verdacht stehen, können die Haftbefehle nur als Unterstützung für die Hizbollah verstanden werden. Das Tribunal soll diskreditiert werden.
Warum kann die Hizbollah nicht mit der Ver­sion leben, dass israelische Agenten in ihren Reihen Hariri ermordet haben? Schließlich behauptet die Partei, dass der Mossad hinter dem Mord stecke. Doch Hassan Nasrallah, Generalsekretär der Hizbollah, soll dem libanesischen Geheimdienst gesagt haben, dass er selbst verantwortlich für das Handeln jedes Mitglieds und die Partei nicht infiltriert sei. Eine Frage der Ehre also.
Die Partei hat nun allerdings ein Problem mit der Logik. In den vergangenen Jahren wurden über 300 Personen wegen des Verdachts der Spionage für Israel verhaftet, darunter auch Mitarbeiter der Telefongesellschaft. Die Hizbollah wertete dies als Beweis, dass die Indizien, die das Tribunal gegen ihre Mitglieder gesammelt habe, von Israel fabriziert seien. Tatsächlich soll die geplante Anklage auf abgehörten Telefongesprächen beruhen. Aber warum sollten israelische Agenten in der Telefongesellschaft Beweise fabrizieren, die andere israelische Agenten in den Reihen der Hizbollah belasten?
Über diesen Widerspruch könnte in einer Gerichtsverhandlung diskutiert werden. Dann würde der Vorwurf aufkommen, dass die Hizbollah fälschlich eigene Leute liquidiert hat. Saad Hariri hingegen braucht die Verhandlung, um nicht allzu nachgiebig gegenüber Syrien zu erscheinen. Es ist unwahrscheinlich, dass eine der beiden Parteien von ihrer Position abrückt. Unwahrscheinlich ist indes auch, dass aus einem Streit um die Anklageerhebung ein Bürgerkrieg entsteht.