Krach im Maßanzug

Es ist, als hätte das Unternehmen Coca-Cola seit 100 Jahren erfolgreich Cola Light verkauft und sei jetzt plötzlich auf die Idee verfallen, seine Limonade auch als zuckerhaltiges Getränk anzubieten. Man denke sich: Was für eine Geschäftsidee! Der Balladensänger Nick Cave musste 50 Jahre alt werden, um den Einfall zu haben, statt des jahrzehntelang den Fans offerierten Substituts zur Abwechslung einmal das Original anzubieten: Seine Band, die Bad Seeds, hat er vor einigen Jahren gewissermaßen im Handstreich umgetauft und nennt sie jetzt Grinderman. »Grinderman«, das klingt nach zersplitternden Knorpeln und schlechtgelaunten Männern, die nachts im Schlachthaus Schweinehälften zerteilen, jedenfalls lieber mit einem unförmigen Holzhammer als mit einer Pinzette hantieren. Und so klingt auch die Musik, wie ein Auffahrunfall auf der Autobahn. Statt der gewohnten düster-pathetischen Schnulzen gibt es existentialistischen, obszönen Blueskrach. Das nennt man zielgruppenspezifische Diversifizierung der Produktpalette oder so ähnlich. Vor dem Eingang zur Berliner Columbiahalle hat sich dagegen der Markt noch nicht ausdifferenziert: Insgesamt vier Freiberufler konkurrieren gnadenlos miteinander und streiten sich – während ich trinkend neben ihnen stehe – darum, wer von ihnen gleich meine Cola-Whisky-Dose bekommt. Auf der Bühne hampeln Cave und seine Kollegen wild herum. Es wird geschrien, besinnungslos auf Instrumente eingedroschen und ordentlich Krach geschlagen. Das Beste daran aber ist das erstaunlich gelungene Design der Band, das auf den ersten Blick zwar nicht sonderlich elaboriert wirkt, sich aber bei genauerem Hinsehen als Geniestreich entpuppt: Die in die Jahre gekommenen Rocker machen nicht nur plötzlich übersteuerten Drecksaublues mit Feedback-Noise, sondern lassen sich obendrein zottelige Waldschratbärte wachsen und kombinieren ihr wallendes Haupthaar mit dunklen Maßanzügen und gebügelten Oberhemden. Hatte man das schon mal? Ich erinnere mich nicht.