Sieg der Rechten. Regierungsbildung in den Niederlanden

Sparen, strafen, Grenzen zu

Die neue niederländische Regierung vermischt soziale Kürzungen effektiv mit repressiven Immigrationsbeschränkungen. Dahinter steckt längst nicht nur der Rechts­populist Geert Wilders.

Mark Rutte als Premierminister? Schallend gelacht hätten viele Niederländer noch vor einem Jahr über diesen Gedanken. Vier Monate nach den vorgezogenen Parlamentswahlen wurde der 43jährige am 7. Oktober von der niederländischen Königin mit der Regierungsbildung beauftragt. Außerhalb der eigenen Liberalen Partei (VVD), die dieses Jahr einen fulminanten Aufstieg hinlegte, nahm man Rutte selten ernst, und selbst in der Partei, die er seit 2006 leitet, war er lange umstritten. Um sich wichtig zu machen, greift Rutte gerne zu markiger Rhetorik. So auch vor einigen Wochen, als sich die Bildung einer rechten Minderheitsregierung abzuzeichnen begann. »Einen Koalitionsvertrag, nach dem sich die rechten Niederlande die Finger ablecken werden«, kündigte Rutte an.

Die vereidigte Koalition von VVD und den Christdemokraten vom CDA verfügt gerade mal über etwas mehr als ein Drittel der 150 Parlamentssitze. Eine wichtige Rolle spielt die rechtspopulistische PVV von Geert Wilders. Just der Mann, der gemeinhin als »Totengräber der niederländischen Toleranz« gilt, toleriert Ruttes Kabinett. In den Niederlanden sehen ihn viele als heimlichen Premierminister.
Zweifellos befindet sich Wilders in einer komfortablen Position. Für ihre Unterstützung erhält die PVV deutlichen Einfluss in ihren ureigensten Bereichen: Migrationsbeschränkung, Integration und Sicherheit. Ministerielle Verantwortung trägt die Partei nicht, stattdessen kann sie jederzeit, wie man in den Niederlanden sagt, »den Stecker ziehen«. Die oppositionellen Sozialdemokraten reden daher nicht nur aus strategischen Gründen gerne vom »Kabinett Wilders«. In der internationalen Berichterstattung werden die derzeitigen Machtverhältnisse in den Niederlanden nicht selten so interpretiert, dass die Koalitionspartner und die Minister bis hin zu Mark Rutte lediglich als Marionetten erscheinen.

Diese Sichtweise ist nicht nur eindimensional, sie verkennt schlicht die Realität. Entgegen steht ihr zunächst die Personalie Wilders, der bis zum Zerwürfnis im Jahr 2004 Fraktionsmitglied der VVD war. Sein Handwerk als Identitätspolitiker lernte er als junger Abgeordneter in den neunziger Jahren bei Frits Bolkestein. Auch Pim Fortuyn und vor allem die frühere Integrationsministerin Rita Verdonk waren zeitweise VVD-Mitglieder. Der konservative Flügel der Regierungspartei kann somit durchaus als Wiege des niederländischen Rechtspopulismus bezeichnet werden.
Auch die Programme von VVD und PVV überschneiden sich. Bei den Kommunalwahlen im März und den Parlamentswahlen im Juni fiel dies besonders beim Thema Sicherheit auf – selbstredend mit dem Unterschied, dass die PVV rhetorisch etwas dicker auftrug und der Polizei in bestimmten Situationen das Recht auf Knieschüsse einräumen wollte. Wahlsieger Rutte hingegen ließ sich in der Stunde des Triumphs freudestrahlend vor Plakaten ablichten, die mit dem Slogan »Vandalen werden bezahlen« die politische Rhetorik bestimmten. Die Initiative für die 3 000 zusätzlichen Polizisten, die der Koalitionsvertrag vorsieht, wird der PVV zugeschrieben – ein Opfer war das für die VVD keineswegs.
Ähnlich sieht es bei der Zuwanderungspolitik aus. Die PVV stellt ihre restriktive Linie als pro-westlichen Kulturkampf gegen den Islam dar. Die VVD hingegen beschränkt sich zumeist darauf, »chancenarmen Migranten« die Einreise zu verweigern. Rutte hing andächtig lauschend an Wilders’ Lippen, als dieser bei der Präsentation des Koalitionsvertrags von »ungekannten Maßnahmen, um den Zustrom von Asylsuchenden und Immigranten einzudämmen«, sprach. »Ein Viertel weniger Asylzustrom, 30 Prozent weniger regulärer Zustrom, darunter Familiennachzug, und 50 Prozent weniger nichtwestliche Ausländer«, rechnete Wilders vor. Der kommende Premierminister nickte dazu feierlich und bekräftigend.
Während sich in der VVD der Widerspruch gegen die Kooperation mit der PVV in Grenzen hielt, wurde die Frage für die Christdemokraten zur »Zerreißprobe«. So jedenfalls stellten sie selbst es dar, nachdem den ganzen Sommer über Parteiprominente moralische Bedenken ausgesprochen und aus Sorge um die Religionsfreiheit und das Antidiskriminierungsgebot an die Basis appelliert hatten, einer von der PVV geduldeten Minderheitsregierung nicht zuzustimmen. Für eine kurz vor der Spaltung stehende Partei fiel die entscheidende Abstimmung Anfang Oktober dann allerdings recht deutlich aus: 68 Prozent stimmten für die Regierungsbildung. Bemerkenswert ist dieses Ergebnis auch, da der CDA im Sommer nur zu Verhandlungen mit der PVV bereit gewesen war, weil es galt, eine Minderheitsregierung zu bilden.
Das Ergebnis, der Koalitionsvertrag mit dem Titel »Freiheit und Verantwortung«, beinhaltet ein radikales Sparprogramm, für das vor allem die VVD in den Wahlkampf gezogen war, Law-and-order-Parolen und identitätspolitische Maßnahmen. Die Kürzungen von 18 Milliarden Euro betreffen vor allem den Pflege- und Gesundheitsbereich, die Entwicklungspolitik und den Kulturbereich, dessen Subventionen um 40 Prozent gekürzt werden. Um mit gutem Beispiel voranzugehen, wollen die drei Parteien nicht allein die Bürokratie im Verwaltungsapparat abbauen, sondern auch das Parlament von 150 auf 100 sowie den Senat von 75 auf 50 Sitze beschränken. Den Haushalt entlasten sollen auch die künftig von den Betroffenen selbst zu finanzierenden Einbürgerungsmaßnahmen, von deren Ergebnis der Aufenthaltsstatus abhängt. Mehr Geld wird hingegen für Abschiebungen zur Verfügung stehen. Zusätzliche Einheiten der Grenzpolizei sollen zudem Menschen ohne Aufenthaltspapiere aufspüren.

Trotz aller Übereinstimmung zwischen VVD, CDA und PVV bleibt zunächst Geert Wilders im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Das allerdings hat weniger mit der von der PVV abhängigen Regierung zu tun als mit einem Prozess vor dem Amsterdamer Gerichtshof. Wilders muss sich dort wegen Anstachelung zu Hass und Diskriminierung sowie Beleidigung von Muslimen aufgrund ihrer Religion verantworten. In den Niederlanden sehen auch einige seiner Gegner darin einen politischen Prozess, da die Staatsanwaltschaft eine Strafverfolgung in erster Instanz abgelehnt hatte, bevor das Gericht diese dennoch veranlasste. Dass Wilders Teile der Anklageschrift zugleich in offizielle Regierungspolitik umzuwandeln vermochte, vermindert diesen Eindruck kaum.