Wie schlimm ist Halloween?

Ein Fest des Glücks

Verächter von Halloween sind bedauerlich tote Lebendige, ihnen fehlt die leiseste Ahnung vom Glück. Nichts anderes offenbart sich am Festtag der lebenden Toten.

Was kann man eigentlich gegen Halloween haben? Nichts. Zuerst einmal ist unmittelbar einsichtig, dass sich gegen ein Fest, das wie kein anderes zahlreiche genial trashige Horrorfilme inspiriert hat, nichts einwenden lässt. Man denke an den Film »Halloween – die Nacht des Grauens« von 1978 mit seinen acht Fortsetzungen, in denen der maskierte Messerstecher Michael Myers, das unzerstörbare Böse personifizierend, sein Unwesen treibt. Oder »Nightmare Before Christmas«, in dem der Knochenmann Jack alias »Kürbiskönig« über das phantastische Städtchen »Halloween« herrscht und sich erfolglos in einer grotesken Nachahmung des Nachbarstädtchens »Christmas« versucht. Wer solche Highlights popkultureller Unterhaltung geringschätzt, kann nur ein versnobter Verfechter vermeintlicher Hochkultur sein – oder einer jener Kinderhasser, der die Kleinen generell für Monster hält. Dabei ist Kinderhassen so Achtziger wie der Antiamerikanismus der bedauernswerten Halloween-Gegner, denen schlicht nichts anderes fehlt als die Initiation in die arkanen Geheimnisse der Populärkultur. Um nichts anderes geht es bei Halloween.
Denn Halloween ist ein durchaus mysteriöser Feiertag, seine Ursprünge liegen im Dunkeln. Zwar wird das Fest »Hallomas« schon bei Shakespeare erwähnt, aber die Behauptung, es handle sich dabei um ein keltisches Fest zu Ehren des Totengottes Samhain, das vor der christlichen Missionierung der Inseln zum Ende des Sommers gefeiert worden sei, ist inzwischen unter Forschern umstritten. Einen Totengott dieses Namens, dessen jährliche Wiederkehr zu Herbstbeginn die Grenze zwischen dem Reich der Lebenden und dem der Toten porös werden lässt, so dass sich angeblich schon die Kelten als Untote, Werwölfe und Hexen verkleideten, um nicht von den echten Toten gefressen zu werden, soll es gar nicht gegeben haben. Pech für Runenfans und Keltenkitschfanatiker, auf Halloween können sie sich nicht berufen.

Aber woher hatten dann die Erneuerer angeblich paganer Traditionen die Vorstellung von der lustigen Wiederkehr der Toten? Aus Mexiko natürlich. Dort feiert man ebenfalls zu Allerheiligen, in diesem Falle an den ersten zwei Novembertagen, den Dia de los Muertos, den Tag der Toten, an dem die Seelen der Toten ihrer lebendigen Verwandtschaft einen Besuch abstatten. Die Verstorbenen empfängt man mit bunt geschmückten Altären voller Blumen, bemalten Totenköpfen, Süßigkeiten in allerlei morbiden Formen und Dingen, an denen die Verstorbenen im Leben Gefallen hatten. Für den im Jahr zuvor an Lungenkrebs verstorbenen Tanzlehrer meiner Sprachschule an der Universidad Nacional Autonomo de Mexico gab es zum Beispiel eine Packung Zigaretten. Nachts pilgert die ganze Familie auf den zur Feier des Tages ausgefallen geschmückten Friedhof und gewährt sich einen ponche mit den verblichenen Eltern, Cousins, Tanten oder Urgroßonkeln zu Cumbia-Musik aus dem Mobiltelefon. Anschließend wird bis zum Morgen gebechert.
Und diese Tradition ist tatsächlich alt, sie geht auf die präkolumbianische Kultur der Azteken zurück, die die Konquistadoren nach ihren eigenen Bedürfnissen »christianisierten«. So ist anzunehmen, dass sich auch das irische Halloween-Revival im 19. Jahrhundert von diesem Fest inspirieren ließ – ebenso wie die bunten mexikanischen Toten Tim Burtons »Corpse Bride« inspirierten. Am Ende dieses Films verlassen die Toten für eine Nacht die Unterwelt, um im grau-tristen viktorianischen Städtchen mit ihren Angehörigen eine wilde Party zu feiern. Bei Burton führen die Toten ein Dasein voller Suff und Tanz, viel lustiger und lebensfroher als das der Lebenden.

Natürlich ist der Tod eine ernste, da endgültige Angelegenheit. Doch das Weiterleben der Toten im Andenken der Lebenden birgt nicht unbedingt nur den Schmerz des Verlusts, sondern auch die Erinnerung ans Glück. Von den tiefen Einsichten über einen würdevollen und zugleich erträglichen Umgang mit dem Andenken an die Verstorbenen transportiert die durch die Kommerzialisierung hoffnungslos sterilisierte und daher meist etwas alberne Variante des Festes selbstverständlich wenig, aber andererseits wurde Halloween auch erst dank der Kommerzialisierung zum Teil einer allgemeinen Globalkultur. Ohne das irisch-amerikanische Plagiat des Dia de los Muertos wäre das formvollendete Totengedenken wohl nur eine lokale mexikanische Marotte geblieben. Und wenn auch die Wahrheit von Halloween heute weitgehend verborgen bleibt, erhält sich dank der dialektischen List der Vernunft noch im peinlichsten Plastikkürbis eine Ahnung von der tieferen Weisheit der vom Kapitalismus profanierten Tradition.
Erkennen kann das gewiss nur der, der vom arkanen Wissen, das sich in der Populärkultur verbirgt, zumindest eine leise Ahnung hat, und schon ein mit Bourbon getränktes Stück pumpkin pie mit Schlagsahne hilft dafür schon ungemein auf die Sprünge. Sollen die nicht Eingeweihten ruhig weiter wettern und schimpfen und so unglücklich bleiben wie die grauen und tristen Lebenden in »Corpse Bride«. Ihr Snobismus und ihr Hass aufs glückselig Infantile entspringt nichts anderem als ihrer Sehnsucht nach dem Tod. Wir Eingeweihten dagegen gedenken der Toten, indem wir das Leben bejahen.