Andrei S. Markovits im Gespräch über Obamas Politik und linke Projektionen

»Obama hat das Mandat nicht genutzt – und dann war es zu spät«

Der US-amerikanische Politologe und Soziologe Andrei S. Markovits ist Professor für vergleichende Politikwissenschaften und German Studies an der University of Michigan in Ann Arbor. Er ist dort außerdem Inhaber des Arthur-F.-Thurnau-Lehrstuhls. Er hat zahlreiche Bücher in und über Deutschland publiziert.

Sie haben 2009 für Obama Wahlkampf gemacht. Wie beurteilen Sie die bisherige Amtszeit und die Enttäuschung, die viele Links­liberale empfinden?
Die Enttäuschung der Linksliberalen ist weniger wichtig für mich als die der Arbeitslosen. Eine Enttäuschung über Regierungen ist normal, und ich habe noch nie eine Regierung erlebt, die alles hält, was sie versprochen hat. Ich denke, dass einige Entscheidungen von Obama richtig und andere falsch waren. Enttäuschend für mich ist vor allem, dass die wirtschaftspolitischen Maßnahmen nicht grundlegender ausgefallen sind. Die keynesianische Politik und die staatlichen Subventionsprogramme hätten weiter gehen müssen. Obama hätte die Chance gehabt, die katastrophal schlechte Infrastruktur zu erneuern. Aber er hat es versäumt, ein neuer Franklin D. Roosevelt zu werden. Aufgrund der Krise hätte er dafür den gesellschaftlichen Rückhalt gehabt. Zugleich möchte ich aber auch die positiven Seiten betonen, schließlich hat das Konjunkturpaket das Schlimmste verhindert.
Warum hat er die Chance nicht genutzt?
Ein amerikanischer Präsident ist kein europäischer Premierminister oder Kanzler. Zu Beginn hätte er die Mehrheiten gehabt, um sich wie ein britischer Premierminister aufzuführen: Let’s do it. Stattdessen hat er auf die Einbeziehung der Republikaner hingearbeitet. Doch warum sie einbeziehen? Wenn in Großbritannien eine Partei gewinnt, dann ist sie gewählt und setzt ihre Politik um. Obama hatte dieses Mandat, er hat es nicht genutzt, und dann war es zu spät. Für viele Linksliberale war er der ideale Anti-Bush; ein schwarzer Präsident mit multikultureller Herkunft und großer Eloquenz. Es wurde viel in ihn hineinprojiziert. Aber er war nie das, was viele in ihm sehen wollten, und schon gar kein Linker.
Ist die Tea-Party-Bewegung Ausdruck einer grundlegend veränderten politischen Landschaft?
Nein, die Tea Party ist eine der zahlreichen Third Parties der amerikanischen Geschichte. Die gab es immer. Aus Sicht eines demokratischen Strategen würde ich mich über die Tea Party freuen, denn sie spaltet die Republikaner. Außerdem ist interessant, dass es sich hierbei um eine amerikanische Besonderheit handelt. Ich kenne kein anderes liberaldemokratisches Land, in dem eine lautstarke Minderheit in der Krise dafür plädiert, dass der Staat noch weniger gibt oder ganz verschwindet. Das ist etwas typisch Amerikanisches. Daraus ergeben sich ein interessanter Vergleich zur europäischen Rechten und ein grundlegender Unterschied zu Amerika. Der europäische Faschismus wollte den Staat erobern. Unsere Faschisten wollen nach Idaho in irgendwelche Höhlen, keine Steuern zahlen und den Staat – ihren größten Feind – zerstören. Deswegen wird es in Amerika auch nie einen Faschismus geben.
Außenpolitisch hat sich viel geändert. Obama hat von der Bush-Doktrin Abstand genommen und versucht, das Ansehen Amerikas zu verbessern. Die Truppen werden aus dem Irak abgezogen, und in Afghanistan zeichnen sich Verhandlungen mit den Taliban ab. Wie beurteilen Sie die Entwicklungen und Erfolgsaussichten in der amerikanischen Außenpolitik?
Es ist schwierig, in Bezug auf die Außenpolitik von Erfolgen zu sprechen. Wenn es zu keinem Bürgerkrieg im Irak kommt, dann ist der Abzug der Truppen völlig gerechtfertigt. Es ist eine andere Frage, warum der Irak-Krieg von Anfang an ein großer Fehler war. Wenn außerdem Afghanistan nicht wieder zu einem Rückzugsgebiet für al-Qaida wird, dann ist die Strategie Obamas ein Erfolg. Dies ist aber schwer abzusehen. Als Erfolg sehe ich aber, dass Obama weltweit mehr akzeptiert wird. Amerika kann nicht alleine handeln, sondern braucht die Unterstützung der Europäer und anderer. Inwieweit die uns wirklich helfen wollen, bleibt noch Zukunftsmusik. Im Großen und Ganzen finde ich die neue Stoßrichtung der Außenpolitik aber unterstützenswert.
Und wie erklären Sie sich, dass diese grund­legenden außenpolitischen Veränderungen in der aktuellen Diskussion keine Rolle ­spielen?
Wann spielt Außenpolitik in einem Wahlkampf überhaupt je eine Rolle? Außenpolitik bewegt die Leute nicht, auch nicht in Europa. Außenpolitik interessiert Intellektuelle, nicht den normalen amerikanischen Wähler. Vielleicht das einzige, was ihn daran momentan interessiert, ist die Beziehung zu China, aber dies aus wirtschaftlichen Gründen. Außerdem sind die Änderungen auch nicht so grundlegend. Obama hat die Truppen aus Afghanistan nicht sofort abgezogen, sondern die Anzahl erhöht. Er hat den Krieg dadurch intensiviert. Deshalb überwiegt auch bei allen Veränderungen die Kontinuität. Grundlegend anders ist, wer er ist. Er bringt nicht a priori so viel Hass hervor, wie es Bush getan hat. Dass dies aber für die jetzigen Wahlen keine Rolle spielt, wundert mich gar nicht.
Wie so viele Präsidenten zuvor hat sich Obama zum Ziel gesetzt, ein Friedensabkommen im Nahost-Konflikt zu erreichen. Glauben Sie, dass er Aussicht auf Erfolg hat, und sehen Sie eine Wandlung im amerikanisch-israelischen Verhältnis?
Ich finde Obamas Nahost-Politik hervorragend und bin enttäuscht, dass Israel nicht bereit ist, in der Frage der Siedlungen Zugeständnisse zu machen. Ich bin im Gegensatz zu vielen anderen amerikanischen Juden nicht der Meinung, dass Obama sich von Israel abwendet. Er sieht aber, dass Israels Sicherheit mit einem Abkommen erhöht wird. Dies sehe ich genauso. Auch die Palästinenser müssten viel mehr für einen dauerhaften Frieden tun. Der Konflikt kann nicht gelöst werden, wenn beide Seiten nicht zu Zugeständnissen bereit sind. Solange dies nicht passiert, kann auch Obama nichts machen, und er sollte es auch nicht. Er kann den gordischen Knoten des Nahost-Konflikts nicht durchtrennen, und ich befürchte, dass ihm ein Scheitern später negativ ausgelegt wird. Der innenpolitische Gewinn einer Lösung des Nahost-Konflikts ist für die USA sehr gering, die Kosten für ein Scheitern aber sind so hoch, dass es sich für ihn eigentlich nicht lohnt.
Was erhoffen Sie sich noch in der jetzigen Legislaturperiode?
Es ist keineswegs sicher, ob Obama nur noch diese Legislaturperiode zur Verfügung hat. Es ist völlig unklar, wen die Republikaner aufstellen werden, und zwei Jahre sind politisch gesehen eine Ewigkeit. Meine Hoffnung ist zunächst, dass die Republikaner nicht die Mehrheit im Senat gewinnen. Obama muss alles dafür tun, die wirtschaftliche Lage zu verbessern. Außerdem kann er versuchen, einige kleinere Reformen anzugehen.
Was meinen Sie mit kleineren Reformen, etwa die Beendigung der »Don’t ask, don’t tell«-­Politik im Militär, also der Diskriminierung von Schwulen und Lesben?
Ja sicher, aber diese Politik ist vielleicht wichtig für mich, für Professoren in Berkeley und in Ann Arbor. Mehr aber nicht. Ich meine vor allem wirtschaftliche Maßnahmen. Obama muss die potentielle Deflation abwenden und die Arbeitslosigkeit abbauen. Seine Politik hatte ja viele Erfolge, aber sie werden ihm nicht angerechnet. Dass General Motors jetzt wieder Geld verdient, ist eine Konsequenz seiner Politik. Ich befürchte nur, dass Obama grundlegende Dinge nicht mehr anpacken kann. Amerika ist eine tief gespaltene Gesellschaft. Dies ist eine neue Entwicklung. Es gibt zwei in sich geschlossene Lager. Auf der einen Seite stehen der Fernsehsender Fox News und einige Wahnsinnige, die behaupten, dass Obama Muslim oder gar nicht geboren sei. Und auf der anderen Seite ist der linke Sender MSNBC, für den alles faschistisch ist. Obama ist ein Vermittler. Dies wird immer schwieriger, weil in Amerika in den sozialen Beziehungen zunehmend bonding capital und nicht mehr bridging capital gefragt ist. Wenn Sie ein Brückenbauer sind, aber auf der anderen Seite niemand mit Ihnen bauen will, dann ist es ein Problem. Es ist eine Hasskultur entstanden, die Zusammenarbeit schwer macht.