Über das Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilme

Warum es Geld gibt

In der Sonderreihe »Money Matters« des Leipziger Festivals für Dokumentar- und Animationsfilm ist man auf den Kapitalismus nicht gerade gut zu sprechen.

Vor diesem semantischen Horizont wirken sogar Super-8-Bilder des kleinbürgerlichen Familienglücks wie das diskrete Symptom dieser Misere. In der Found-Footage-Arbeit von Gabriele Mathes erzählt eine Sprecherin, was beinahe unsichtbar bleibt: das Ringen des Familienvaters um das Überleben der vom Großvater gegründeten Möbelfirma, der Konkurs, die in Mitleidenschaft gezogene Familie. Ein rührseliges und vergleichsweise harmloses Einzelschicksal aus der deutschen Mittelschicht der Siebziger. Jedenfalls hatte man noch das Gefühl, es kämen auch wieder bessere Zeiten mit mehr Geld im Portemonnaie. 40 Jahre später nicht mehr. Das ganze Leben scheint prekär, nicht die temporäre eigene Position in seiner spätkapitalistischen Erscheinungsform. Und auch wenn die Wahl des Sujets in Curtiz Burtz’ »Geschichten aus der Heimat« nicht gerade originell ist, bleiben die Schicksale unterhalb der bürgerlichen Mittelschicht in der Bundeshautpstadt der geeignete Stoff für ein engagiertes Stimmungsbild über neue Formen der Selbstzurichtung unter dem Primat der Verwertung. Die neue Armut, die sich häufig genausogut verstecken lässt wie eine kurzfristige Insolvenz in der Mittelschicht, zeigt sich hier jenseits der heroischen Selbstinszenierung der digitalen Boheme. Ausschlusspraktiken und rigid-repressive Formen der selbstauferlegten Arbeitsdisziplin werden ohne große Gesten der Viktimisierung dargestellt.
Auch »Paradise Later« von Ascan Breuer erzählt eine Geschichte, die ohnehin schon alle kennen. Die Kamera folgt einem trägen Flusslauf am Rande einer indonesischen Metropole. Die Uferböschungen sind von Müllbergen übersät, in denen Ziegen äsen, von den Ästen der Bäume hängt Unrat wie Lametta, Müll treibt auf der Wasseroberfläche. Fischer werfen ihre Netze nach Verwertbarem oder Essbarem aus, vor armseligen Behausungen spielen Kinder im trüben Wasser. Aber können die Subalternen sprechen? Wie immer nicht. In scheinbar guter Absicht wiederholt der Film den Blick des Kolonialisierenden, dessen Monolog aus dem Off das Unübersehbare noch einmal darstellt: »Die Eroberung der Erde ist keine hübsche Sache, wenn man etwas genauer hinsieht.«
Wenn es um Geld geht, sieht man also eine Menge Habenichtse – sie können nichts dafür. Und folgerichtig werden ihnen die mit dem schmutzigen Geld Ausgestatteten und gleichzeitig moralisch verwahrlosten Banker gegenübergestellt. Der Film »The Anarchist Banker« begibt sich in einem fiktiven Interview auf die Suche nach der Idee dahinter, etwas, woran man sich halten und vor dem man sich verneigen und dem man Opfer bringen kann. Etwas, das die ganzen Spleens und Katastrophen des Kapitals irgendwie verständlich macht. Die faszinierende Nähe von radikalem Anarchismus und neoliberaler Ideologie wirft keine weiteren Fragen auf.
Gerhard Frieds Langfilmdebüt hingegen thematisiert die Problematik der Darstellbarkeit des Kapitals. Sein Film »Hat Wolff von Amerongen Konkursdelikte begangen?« kombiniert unprätentiöse Bilder von Städten, Landschaften, Fakriken und Flughäfen mit der Erzählung über die verbrecherischen Verhältnisse in der deutschen Wirtschaftselite. Das hier wirkungsvoll dargestellte Dilemma betrifft die Mehrheit der Filme, die im Rahmen des Festivals gezeigt wurden: Man sieht den grundlegenden Konstruktionsfehler bürgerlicher Ökonomie nicht, auch dann nicht, wenn die Beiträge offensichtlich in kritischer Absicht produziert wurden.
Ein filmischer Beitrag über Kurven, Indizes und Kurse führt vor, dass dieses System nicht vernünftig kontrolliert werden kann und soll, das globale Elend lässt die Irrationalität des ökonomischen Systems erahnen. Vielleicht setzt die eine oder andere wieder Hoffnungen in den guten, moralisch vertretbaren Kapitalismus, nachdem sie die niedliche Geschichte der Genossenschaftsbank im Fränkischen gesehen hat. Aber wenn es ums Geld geht, bleibt die Dimension des Politischen auf eine seltsame Art verschlossen. Ein ganzer Themenblock widmete sich im Rahmen des Programms seinem Kreislauf. Man konnte sehen, wie es ausgegeben, beschmiert, verbrannt – ja sogar aufgegessen wurde. Man hätte nicht einmal erfahren, wozu es eigentlich gut ist, wäre nicht »Ilha de flores«, ein brasilianischer Film von 1989, ausgegraben worden, der mit bittersüßer Ironie und wirklich anschaulich erklärt, dass Geld das radikale Maß ist, das in sich selbst nichts ist, aber alles mit allem in Beziehung setzt und alles seinem Gesetz unterwirft. Die Antwort auf die Frage, warum es Geld gibt, eröffnet aber noch keine alternative Denkform, und das liegt möglicherweise auch in der Natur des Geldes.