Das geht nicht vorüber

»Schnupfen im Kopf« ist die experimentelle Langzeitbeobachtung einer Filmemacherin, die selbst an einer Psychose leidet.

Filmemacherin Gamma Bak hat die Grippe. Das wäre allerdings noch keinen Film wert. Aber die Regisseurin und Produktionsleiterin hat die Bazillen im Gehirn, und nur dort. Sie leidet an einer Psychose und ist sich sicher, dass der Film, der von ihr selbst und ihrer Krankheit handelt, ihr wichtigster ist. »Schnupfen im Kopf« heißt ihre anderthalbstündige Dokumentation.
Die heute 45jährige erlitt mit 30 das, was man landläufig einen Nervenzusammenbruch heißt. Der Film ist eine Langzeitbeobachtung der eigenen Person, angereichert mit »Video­briefen«, wie sie die Botschaften nennt, die ihr Familienangehörige und Freunde zukommen lassen. Aber schon vor diesem Filmprojekt drehte sich ihr Filmschaffen gern um eine einzige Person: sie selbst. Seit langer Zeit führt sie ein Videotagebuch.
Die filmische Introspektive, so glaubt sie, hilft ihr dabei, ihren Weg zurück zu einem sogenannten normalen Leben zu finden. Sofern man von so etwas wie Normalität bei dem Beruf Filmemacherin überhaupt reden kann.
Wie lebt es sich mit einer der anstrengendsten psychischen Erkrankungen? Wer an einer Psychose leidet, sieht schreckliche Dinge, hat enorme Ängste und Verfolgungswahn. Man muss zuweilen stationär behandelt werden, wird womöglich fixiert, man muss Medikamente nehmen, die drastische Nebenwirkungen haben können. Man nimmt zum Beispiel zu.
Gibt es Liebe, Beziehung, Sexualität trotz der Psychose, wie funktioniert das Verhältnis zu sich selbst, das Leben mit den Krankheitsschüben, die überwältigende Angst mit sich bringen, krasse Irrsinnsideen und Selbstmordgefahr?
Es sei für sie als Filmemacherin schon verlockend gewesen, die Erfahrungen des Wahns zu visualisieren, aber das sei eben auch eine anspruchsvolle Aufgabe, erklärt Bak im Interview und vergleicht die Erlebnisse mit der Wahrnehmung im Drogenrausch auf Haschisch oder Kokain. »Ich habe entschieden, dass ich das bildhafte Erleben der psychotischen Zustände nicht in Filmbilder umsetzen möchte. Ich fand das für einen Low-Budget-Versuch eher unpassend.« Lieber konzentrierte sie sich auf das Selbstinterview.
Dem Thema Dickwerden und Abnehmen widmet sie ein eigenes Kapitel ihres Films. Neuroleptika begünstigen die Gewichtszunahme, es folgt die Diät. Die Gewichtszunahme ist nicht die einzige Nebenwirkung: Bak liegt auf dem Sofa dahingestreckt und erzählt davon, wie es ist, mit dem, was landläufig als Wahnsinn bezeichnet wird, zu leben: »Die Betroffenen leben zumeist recht ausgegrenzt auf Frührente oder von Hartz IV, können in den seltensten Fällen einer regulären Tätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt nachgehen.« Das Leben sei zerrissen von Krankenhausaufenthalten und langen Phasen der Rekonvaleszenz.
»Auf die Krisen folgen Depressionen, die fast so schlimm sind wie die Krisen, weil sie länger andauern.« Die Folge: »Das Selbstbewusstsein ist angegriffen.«
Ihr Film soll aber auch ihr Leben zeigen, den »Lebensweg einer freiberuflichen Künstlerin in der Lebensmitte voller Zweifel, warum es so gekommen ist, wie es gekommen ist«.
Ihr damaliger Partner habe in der Zeit der ersten Psychosen zu ihr gesagt, das sei alles wie ein Schnupfen im Kopf, das vergehe schon wieder. Auch wenn der Titel etwas sehr Bedrückendes und Beängstigendes habe und vielleicht verniedlichend klinge: Er zeige doch auch die Möglichkeit, »damit normal umzugehen«, eben wie mit einem Schnupfen. Entscheidend ist für Bak: »Verantwortung für das eigene Leben und das alleinige Zuständigsein dafür.«
»Schnupfen im Kopf« stellt Fragen, auf die es keine eindeutigen Antworten gibt, es ist ein philosophischer Film. Indem die Filmemacherin betont, wie wenig sie sich auf sich selbst verlassen kann, wird auch deutlich, wie sehr doch das tägliche Leben konstruiert ist, wie es auf der Basis von trügerischen Gewissheiten funktioniert und dennoch nicht allenthalben kollabiert.
Für Bak ist das ganze Dasein eine Vorführung, da sie während ihrer akuten Krankheitsphasen einen Blick hinter die Kulissen wirft. Es gibt Leute, die leben erheblich leichter, aber auch sehr viel unbewusster – der Wahnsinn ist ein Vollzeitjob.
Es gehe ihr »immer um die große Einsamkeit, in der ich mich befinde, und den Wunsch, die Verantwortung zu teilen«.
Die Verwandten und Freunde kommen in Interviews zu Wort und komplettieren das Bild. Denn dies soll in erster Linie ein Film für Angehörige, Betroffene, Therapeuten und Ärzte sein. Er soll zu kontroversen Diskussionen über das »Konzept des Patienten« führen, jenes mitarbeitenden Ärztepartners, der seine Krankheit erfolgreich managt und Therapieangebote wahrnimmt. Jener Gruppe gut situierter Kranker, deren Vertreterin Bak ist.
Ihr Film ist ein weiterer Mosaikstein in dem offenen Genre des Krankheitskinos. Hier werden anhand von Dokumentar- und Spielfilmen gesundheitliche Probleme anschaulich erklärt, man erfährt, wie Patienten mit den Misslichkeiten fertig werden, wie sie an Stigmatisierungen leiden, wie sich Familienmitglieder von ihnen entfernen oder sich annähern. Die Filme finden ihr Publikum im Betroffenenkreis, aber nicht nur. So wurde der Film »Das Fremde in mir«, ein Drama über eine Wochenbettdepression, das mit milder Kritik an der Arbeitsgesellschaft einhergeht, ein Festivalhit. Und derzeit tourt Gregor Theus’ Dokumentation »Schattenzeit« über Schwerstdepressive und die Behandlungsmöglichkeiten durch die Kinos. Nach der Vorstellung diskutieren Psychiater mit dem Publikum. Theus’ Film ist übrigens ein Abschlussfilm für die Filmhochschule. Der Regisseur war beeindruckt von dem Film »Einer flog übers Kuckucksnest«  und stellte mit der Kamera Nachforschungen darüber an, ob die im Film geschilderten Zustände in der Psychiatrie heute noch Realität sind.
»Schnupfen im Kopf« ist didaktisch weniger ausgearbeitet als die genannten Beispiele, der Film ist ganz anders aufgebaut. Weder werden alternative Lebensmöglichkeiten und Verhältnisse besonders analysiert noch Fachleute um Rat gefragt oder gar medizinische und psychologische Einrichtungen aufgesucht. Wie geht es anderen, die eine Psychose haben? Gibt es Selbsthilfegruppen? Was sagt die Sicht auf den Wahnsinn über die Gesellschaft, die ihn ausbrütet? Wer psychisch erkrankt, war ja zuvor oft lange Zeit starkem Druck ausgesetzt. Manchmal möchte man Bak zurufen: Dreh Filme, aber nicht immer nur über dich! – Damit ihre kreative Energie sich nicht daran verschleißt, um sich selbst zu kreisen. Aber da hat der Kritiker vielleicht gut reden.
»Schnupfen im Kopf« ist ein intensiver und auch mutiger Film, hier hat jemand alles gegeben, der sich täglich auf besondere Weise mit sich selbst auseinandersetzen muss und dabei mit der ständigen Überschreitung und Überforderung zu kämpfen hat. Dinge, die den innersten Kern der Kunst betreffen. Niemand anderes als sie selbst spielt darin die Hauptrolle: »Meine Familie ist schon daran gewöhnt«, sagt sie, »dass ich mir persönliche Themen suche, um über größere Zusammenhänge zu sprechen.«

»Schnupfen im Kopf« (D 2010). Regie: Gamma Bak.
Start: 4. November