Nach dem Tod von Nestór Kirchner

Das System K wird beerdigt

Bislang haben Nestór und Cristina Kirchner in Argentinien mit- und nacheinander ­regiert. Mit dem Tod ihres Ehemannes verliert Präsidentin Kirchner einen wichtigen politischen Strategen.

»Wir sind Peronisten und Teil des Volkes und der Bewegung. Das wird sich auch jetzt nicht ändern.« Bereits bei der Beisetzung ihres Mannes Nestór Kirchner am Sonntag schaffte es seine Ehefrau, die argentinische Präsidentin Cristina Fernández, programmatische Sätze zu formulieren. Innig umarmte sie die Madres de la Plaza de Mayo, die wie kaum jemand anderes in Argentinien für Integrität und Menschenrechte stehen, und ließ sich vom venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez und anderen politischen Weggefährten Trost spenden.
Der überraschende Tod des 60jährigen Ex-Präsidenten, der Mitte vergangener Woche an den Folgen eines Herzinfarkts starb, ist für die Regierung und ihre Verbündeten ein Schock. Schließlich war Kirchner für die Präsidentschaftswahlen im Oktober 2011 erneut als Kandidat vorgesehen. Zehntausende Menschen gingen in Rio Gallegos, dem patagonischen Geburtsort Kirchners, auf die Straßen und bekundeten der Präsidentin ihr Mitgefühl und ihre Unterstützung.
In den Tagen zuvor gab es Massenkundgebungen auf dem Plaza de Mayo in Buenos Aires. »Natürlich waren da die Gewerkschaften und andere Gruppen, die die Regierung unterstützen. Aber es gab auch unglaublich viele junge Menschen, Menschen, die keiner politischen Gruppe angehören. Sie sind traurig, aber auch voller Hoffnung. Sie wollen, dass Cristina weitermacht und die Politik Kirchners fortsetzt«, beschreibt Diego Sztulwark von der linksradikalen Gruppe Colectivo Situaciones die Stimmung.

Auch kritische Intellektuelle nehmen den Tod des ehemaligen Präsidenten zum Anlass, um auf dessen politischen Verdienste hinzuweisen. So hat der Schriftsteller Mempo Giardinelli in der argentinischen Tageszeitung Pagina 12 eine Liste der politischen Errungenschaften Kirchners zusammengestellt, wie die Aufarbeitung der Verbrechen der Diktatur, die Wiederverstaatlichung des Rentensystems und diverser privatisierter Staatsbetriebe, die Neubesetzung des Obersten Gerichtshofs, die Einführung der Homo-Ehe sowie die Verbesserung der Position Argentiniens gegenüber internationalen Kreditgebern. »Kein anderer Präsident seit Pe­rón hat so viel auf den Weg gebracht«, resümiert Giardinelli. Die Ansicht, dass ohne die Kirchners alles viel schlimmer wäre, teilen viele Argentinier, da die Alternative eine rechte Regierung wäre.
Es ist davon auszugehen, dass die Präsidentin diese Sympathiebekundungen zum Anlass nimmt, um ihre Wiederwahl anzustreben. Doch ganz so einfach wird das nicht sein. Denn Cristina Fernández ist nicht nur Witwe geworden, sie hat auch einen großen politischen Strategen verloren.

In den siebziger Jahren gemeinsam in der Peronistischen Jugend politisch sozialisiert, war das Ehepaar ein machtbewusstes politisches Team, erst in der Provinz Santa Crúz, ab 2003 dann auf Landesebene. Zunächst war Nestór Präsident und Cristina eine populäre Senatorin in der Provinz Buenos Aires. Im Jahr 2007 löste sie ihn im Amt ab. Während sie das Land nach außen repräsentierte, traf er Entscheidungen und besetzte politische Ämter mit seinen Günstlingen. Kirchner kontrollierte die Mehrheit der heterogenen Peronistischen Partei (PJ), als Generalsekretär der Union Südamerikanischer Nationen (Unasur) hatte er zudem direkten Kontakt mit allen Regierungschefs der Region. Im »System K« ergänzten Nestór und Cristina einander.
Entscheidend wird nun sein, wie die Präsidentin die Lücke füllt. Sie muss die mobilisierten jungen Menschen und die aufgeklärte Mittelschicht einbinden, für die Menschenrechte und zivilgesellschaftliche Reformen im Mittelpunkt stehen, aber auch den Parteiapparat der PJ und den von ihm kontrollierten Gewerkschaftsverband CGT, die ihr Wählerstimmen und sozialen Frieden garantieren. Wem welche Zugeständnisse gemacht werden, wird in den nächsten Monaten ausgehandelt. »Die Mehrheit der Wählerstimmen hat Cristina sicher. Offen bleibt die Frage des Personals und der politischen Inhalte«, urteilt Sztulwark.