»Der Schock war groß«

In der Nacht vom 30. auf den 31. Oktober verübten Unbekannte einen Brandanschlag auf die neue Synagoge in Mainz, die erst Anfang September eingeweiht worden war. Sie steht an der gleichen Stelle wie die in der Pogromnacht niedergebrannte ehemalige Mainzer Synagoge. Die Jungle World sprach mit dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinden von Rheinland-Pfalz, Dr. Peter Waldmann.

Zur Eröffnung standen 10 000 Menschen Schlange, um die neue Synagoge zu besichtigen, zwei Monate später dieser Anschlagsversuch. Wie ist die Reaktion in der Mainzer Gemeinde?
Der Schock war groß und auch die Angst, weil hinter dem Synagogenneubau ein ganzes Konzept steht, nämlich das einer offenen jüdischen Kultur. Wir haben immer gesagt: Wir wollen keinen Hochsicherheitstrakt, wir wollen die Menschen einladen und ihnen die Befangenheit nehmen, eine Synagoge zu betreten. Dieses Konzept spiegelt sich ja auch in der Architektur der Synagoge wider, die zu einem offenen Austausch einladen soll, einem offenen intellektuellen Austausch, in der Kulturveranstaltungen ebenso stattfinden wie Gottesdienste. Und der Brandanschlagsversuch hätte auch dieses offene Konzept gefährden können.
Das heißt, an dem Konzept wird sich durch den Anschlagsversuch nichts ändern?
Nein, da sind wir alle einer Meinung: Wir bleiben weiterhin bei diesem offenen Selbstverständnis, wir lassen uns nicht einschüchtern.
Es hat ja vor wenigen Monaten bereits einen Brandanschlag auf eine rheinland-pfälzische Synagoge in Worms gegeben; wie ist denn die Stimmung innerhalb der Gemeinde?
Natürlich gibt es da eine größere Unsicherheit. Der Anschlag in Worms hatte aber eine andere Dimension, dort hätte der Brandsatz die Synagoge tatsächlich niederbrennen können. Hier in Mainz ist der Molotowcocktail in einem Baum verpufft, und es gab im Gegensatz zu Worms kein Bekennerschreiben. So gibt es natürlich mehrere mögliche Tatmotive, und man muss erst einmal abwarten, welche Intention hinter dem Anschlag steckt.
Es gab vom Zentralrat der Juden die Kritik, die Medien hätten den Anschlagsversuch nicht ausreichend thematisiert.
Man muss sich ja, wenn man vom Medieninteresse spricht, auch in die Absicht der Menschen hineinversetzen, die solche Anschläge verüben, und die wollen Publicity. Was nicht heißt, dass man nicht darüber berichten soll! Aber man muss aufpassen, deren Intention nicht zu erfüllen. Je mehr Medienecho, desto größer die Symbolkraft eines solchen Anschlagsversuchs. Und bei wachsender Symbol­kraft liegt die Gefahr nahe, dass es Trittbrettfahrer geben könnte.