Abflauen der Proteste in Frankreich 

Die Offensive der Berater

Die sozialen Kämpfe in Frankreich flauen ab. Nach der Verabschiedung der umstrittenen Rentenreform gehen die Streiks zu Ende. Was haben die Proteste der vergangenen Wochen gebracht?

Der soziale Kampf um die Rentenreform in Frankreich scheint vorläufig entschieden. Das Gesetz wurde Mitte voriger Woche von beiden Parlamentskammern in letzter Lesung angenommen und harrt nur noch der Unterschrift des Präsidenten. Zwar finden noch Aktionen vom radikaleren Teil der Bewegung statt, etwa Autobahnblockaden am Dienstagmorgen, doch werden sie das Gesetz nicht mehr verhindern können. Die Streiks in Raffinerien und Häfen gingen vorige Woche zu Ende. Die Streikenden konnten sich in der zentralen Frage der Anhebung der Lebensarbeitszeit gegenüber einer extrem entschlossenen Regierung nicht durchsetzen. Und dennoch stand aus deren Sicht noch wesentlich mehr auf dem Spiel.
Bestimmend für die harte Linie der französischen Regierung waren die Berater von Nicolas Sarkozy, der Wirtschaftsliberale Alain Minc und der aus der äußerst Rechten kommende Patrick Buisson. Sie hatten dem Präsidenten geraten, bei der geplanten Reform keinerlei Rücksicht auf die Gewerkschaften zu nehmen. Falls ein Teil von deren Basis sich radikalisiere, wie andere Konservative fürchteten, und es zu militanten Protesten komme, dann sei dies gut und nicht schlecht. Minc und Buisson hielten ihr politisches Milieu für stark genug, dies einfach durchzustehen, die Proteste würden nur ängstliche Bürger aus der politischen Mitte in die Arme der Rechtsregierung treiben, so ihr Kalkül.
Angesichts der Stärke der Proteste und einer sozialen Wut, die eine noch breitere Basis hat als von regierungsnahen Analytikern erwartet, ging diese Rechnung so nicht auf. Die Lage hätte vorige Woche sehr ernst werden können. Hätte der Streik in Raffinerien und Häfen noch einige Tage länger gedauert, wäre es zu einer ernsthaften Treibstoffknappheit gekommen: Seit Dienstag voriger Woche war die zeitweilige Schließung erster Unternehmen in der westfranzösischen Lebensmittelindustrie infolge der Kraftstoffkrise angekündigt worden. Verlieren Unternehmen erst einmal richtig Geld, dann beginnt irgendwann auch ein Teil der Bourgeoisie gehörigen Druck auf die Regierung auszuüben, damit sie nachgibt oder einen Kompromiss aushandelt.

So weit kam es nicht. Denn auch die stärksten Gewerkschaftsdachverbände, CGT und CFDT, gingen der entscheidenden Kraftprobe aus dem Weg. Dazu trug sicherlich bei, dass ihre Apparate in beiden Fällen die Lösung der aktuellen sozialen Probleme auf Dauer von einer Regierungsübernahme der Sozialdemokratie erhoffen. Doch diese hat wichtige Fragen hinsichtlich ihrer strategischen Ausrichtung zwischen linken Positionen und grundlegender Akzeptanz der neuen »Zwänge« des Kapitalismus in seiner heutigen Gestalt noch nicht entschieden, und die Protagonisten der betreffenden Apparate wollen nun das Wahljahr 2012 abwarten, statt eine ernsthafte politische Krise und einen eventuellen Rücktritt der Regierung zu riskieren.
Aber dies ist noch nicht alles. Denn als sich der Konflikt in den vergangenen zwei Wochen zuspitzte, wurde ein dritter Berater Sarkozys, der seit 1969 an »sozialer Konsensstiftung« arbeitende Raymond Soubie, hinter den Kulissen herbeigerufen. Nur er konnte es noch richten, nachdem die Regierung entschieden hatte, die Gewerkschaftsführungen doch noch notgedrungen einzubinden. Vor allem die eher moderate CFDT ließ sich nicht lange bitten. Ihr wurde ein unter Beteiligung von Soubie eingefädeltes Angebot zur Verhandlung mit dem Arbeitgeberverband Medef unterbreitet, das CFDT-Generalsekretär François Chérèque sich anzunehmen beeilte. Auch die sozialdemokratisierte CGT zierte sich nicht lange. Beide Apparate setzen nun darauf, in den Betrieben und Branchen zu verhandeln, um die Auswirkungen der Rentenreform abzumildern, deren Inkrafttreten sie damit aber de facto akzeptieren. Die CFDT hofft, mit den Kapitalverbänden über die »Beschäftigung von Jugend und Senioren« zu verhandeln, da die Gewerkschaften befürchten, vor allem diese Kategorien von Beschäftigten würden durch die Reform benachteiligt. Die als »unproduktiv« verschrienen Älteren finden keine Jobs und erhalten wegen fehlender Beitragsjahre weniger Rente, während die Jüngeren wegen der Anhebung der Lebensarbeitszeit noch weniger Jobs finden.
Dem soll nun dadurch begegnet werden, dass Betriebe weniger Sozialabgaben bezahlen und dass jeweils ein Älterer einen Jüngeren bei der Jobeinführung betreut. Weniger Sozialabgaben bedeuten indes zugleich eine weitere Demontage der sozialen Versicherungssysteme. Die CGT baut darauf, in Branchen und Unternehmen Tarifverträge abzuschließen, die jeweils ein früheres Rentenalter als das gesetzliche erlauben. Nur wird ihr das allenfalls dort gelingen, wo das Kräfteverhältnis für sie günstig ist – in vielen anderren Betrieben dagegen nicht. Es bleibt bei einer Niederlage für die Streikbewegung. Allerdings hat diese Bewegung die Gewerkschaftsapparate auch nicht – wie von Minc und Buisson erhofft – ausgeschaltet, sondern sie in ihrer Funktion als Makler der Ware Arbeitskraft bestätigt.