Über »Hilfsberufe« 

Hauptberuf Hiwi

Die traditionellen Berufe im Pflege- und Erziehungsbereich lösen sich immer stärker auf. An ihre Stelle treten sogenannte Hilfsberufe. Nach den Lehrern sind nun die Ärzte betroffen.

Trotz der nach sozialistischer Planwirtschaft klingenden Bezeichnung handelt es sich um keinen untergegangenen Beruf aus der ehemaligen DDR, sondern um eine immer stärker nachgefragte Dienstleistung auf dem deregulierten Arbeitsmarkt: Wer eine Ausbildung als »Entlastende Versorgungsassistentin« (EVA) absolviert hat, kann im deutschen Pflegesektor mittlerweile mit zahlreichen Jobangeboten rechnen. Das garantiert nicht unbedingt ein hohes Gehalt, in jedem Fall aber reichlich »flexible« Beschäftigung. Indirekt sagt die umständliche Berufsbezeichnung einiges über die Ideologie des Stellenprofils aus. Einerseits sollen die neuen »Evas« keine bloßen Hiwis auf der Grundlage von Zeitarbeitsverträgen sein, sondern ausgebildete Fachkräfte. Andererseits ist ihre Aufgabe von vornherein als subaltern definiert: als »Entlastung« und »Assistenz« des jeweiligen Arztes durch »Übernahme delegierbarer Leistungen in der ambulanten Praxis«. Dass der Beruf nur die weibliche Bezeichnung kennt, deutet auf ein weiteres Problem. Da in dem neuen Tätigkeitsfeld, das eine Qualifikation ausschließlich auf der Basis von Assistenz- und Hilfsarbeiten zulässt, tatsächlich fast nur Frauen arbeiten, zementiert es die Zweiteilung des Pflegesektors in den männlich dominierten Zweig der Forschung und des Fachärztewesens und einen »weiblichen«, schlechter bezahlten Dienstleistungssektor.

Angeboten wird die berufsbegleitende Fortbildung zur »Eva« von der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein in Zusammenarbeit mit der Nordrheinischen Akademie für Medizinische ­Fachangestellte. Zulassungsvoraussetzung sind neben einem qualifizierenden Berufsabschluss mindestens drei Jahre Berufserfahrung in einer hausärztlichen Praxis. Wer das Zertifikat erhält, darf bislang Ärzten vorbehaltene Tätigkeiten in der Praxis und bei Hausbesuchen, etwa bei der Wundversorgung und der Basisdiagnostik, ausüben. In Sachsen ist bereits 2007 mit der »Ärzteentlastenden, Gemeindenahen, E-Health-gestützten Intervention« (AGnEs) ein ähnliches Projekt begonnen worden, das die Zone-Flucht deutscher Hausärzte kompensieren soll. An deren Stelle bildet »AGnEs« flexibel einsetzbare Gemeindeschwestern aus, die während ihrer Hausbesuche per Laptop und Webcam in Echtzeit mit dem jeweils zuständigen Arzt Kontakt halten können. Besonders die überlasteten Unfallchirurgien der Krankenhäuser probieren vergleichbare Modelle aus. So hat die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie in Kooperation mit der Berliner Steinbeis-Hochschule den Studiengang »Physician Assistant« eingerichtet, der in diesem Jahr startet und zur »Entlastung der Ärzte durch Erbringung von Assistenzleistungen im operativen und nicht-operativen Bereich« sowie zur »Erhaltung der Qualität von chirurgischen Eingriffen trotz zunehmender Budgetierung« beitragen soll.

Für Menschen, die auf die Unfallchirurgie angewiesen sind, klingt das wenig vertrauenerweckend. Es ist wohl auch gar nicht so gemeint. Vielmehr ist die Modulbeschreibung gerade darin, dass sie wie ein Warnruf klingt, symptomatisch für die gegenwärtige Neujustierung des Verhältnisses von Forschung und Praxis, von Fach-, Hausarzt- und Assistenzausbildung. Das verbindende Schlagwort »Entlastung« zielt nicht auf eine qualitative Verbesserung der medizinischen Pflege, sondern ganz unmittelbar auf Nothilfe: Nicht damit der Arzt mehr Zeit für seine Patienten und die eigene Fortbildung hat, sondern damit die Patienten überhaupt noch halbwegs menschenwürdig versorgt werden können, sollen Arzthelferinnen und Gemeindeschwestern künftig mehr schlecht als recht ärztliche Aufgaben übernehmen dürfen. Da vor allem viele Regionen Ostdeutschlands aufgrund ihrer schlechten Infrastruktur und niedrigen Lebensqualität die medizinische Versorgung der Einwohner nicht mehr sicherstellen können, während die Hausärzte in lukrativere Gebiete abwandern, dürften die neuen Hiwis hauptsächlich dort zum Einsatz kommen, wo eine qualifizierte Fortbildung mit guten Aufstiegsmöglichkeiten ohnehin ausgeschlossen ist. Umgekehrt reduziert sich der Austausch der Ärzte mit den Patienten, der für die Weiterentwicklung ihrer Fähigkeiten unabdingbar ist, im Extremfall auf Webcam-Kommunikation. Den »Versorgungsassistentinnen« fehlt so die medizinische und theoretische Ausbildung des Arztes, dem seinerseits die alltagspraktische Erfahrung verloren geht. Dass der Arztberuf sich nicht in der Anwendung quantifizierbarer Fähigkeiten erschöpft, ist einem Milieu, in dem das Patientengespräch mittlerweile »Besuchsmanagement« genannt wird, ohnehin fast vergessen.

Was sich auf dem Gebiet medizinischer Pflege abspielt, ist in den Erziehungsberufen schon lange Alltag. Um den zahlreichen Unterrichtsausfällen zu begegnen, ohne kostspielige neue Stellen schaffen zu müssen, hat das hessische Kultusministerium bereits Anfang 2007 das Konzept »Unterrichtsgarantie plus« eingerichtet, das den Schulen pro Vollzeitlehrerstelle ein Budget von cirka 1 000 Euro zur Entlohnung flexibel einsetzbarer Hilfslehrer zur Verfügung stellt. Dies können andere Pädagogen, Studenten oder pen­sionierte Lehrer sein – wer für wie lange und auf welcher Vertragsbasis beschäftigt wird, bleibt weitgehend den Schulleitern überlassen. Bei der Vorbereitung ihrer Stunden müssen sich die Hilfslehrer aus einem von den Fachlehrern zusammengestellten »Materialpool« bedienen, für eine fundierte Einarbeitung sowie für Erfahrungsaustausch mit dem regulären Lehrpersonal bleibt kaum Zeit. Wie bei den Hilfsärzten ist das Honorierungssystem der Hilfslehrer wenig transparent; in jedem Fall werden sie gemessen am Profil der Stelle, die sie vertreten, drastisch unterbezahlt. Wie die Hilfsärzte haben sie Schwierigkeiten, einen langfristigen Kontakt zu ihren »Kunden« aufzubauen, wie Ärzte-Hiwis fehlt ihnen die Einbindung in das übrige Kollegium. Da über Dauer und Art ihres Einsatzes von anderen bestimmt wird, die sich dabei vorwiegend an der kurzfristigen Bedarfslage orientieren, dürfte es den meisten von ihnen auch schlicht an Lust mangeln, ihren Beruf als mehr denn einen Broterwerb anzusehen. Wie all das mit den Beschwörungen der »Bildungsrepublik«, der »Elitebildung« usw. zusammenpassen soll, wissen am wenigsten die, die diese Phrasen erfunden haben.
Eine gemeinsame Tendenz immerhin lässt sich beobachten, die die akademischen Berufe ins­gesamt erfasst hat: die Schleifung der mit einem klaren Kompetenzprofil ausgestatten Traditionsberufe zu weitgehend unbestimmten Jobbertätigkeiten, bei denen von vornherein nicht vorgesehen ist, dass sie länger als temporär ausgeübt werden. Angedeutet hat sich diese Entwicklung schon seit den siebziger Jahren mit der schwindenden Bedeutung der Facharbeiterschaft in den technischen Berufen, nun ist sie im Pflege-, Erziehungs- und Bildungsbereich angekommen, deren Exponenten sich ihren Arbeitsbedingungen zum Trotz immer noch viel darauf einbilden, nicht einfach nur einen »Beruf« zu haben. Faktisch aber ist die Grenze zwischen Tätigkeiten, die aufgrund ihres stereotypen, pragmatischen Charakters tatsächlich »delegiert« werden können, und solchen, die notwendig von der Subjektivität derer abhängen, die sie ausüben, längst kassiert worden. Egal also, ob man demnächst das Hüftgelenk oder nur die Schule wechseln muss, man tut gut daran, genau nachzufragen, mit wem man es dabei zu tun haben wird.