Die Enthüllungen von Wikileaks über den Irak 

Hauptsache souverän

Die von Wikileaks veröffentlichten Do­ku­mente enthüllen vor allem, dass den ­irakischen Institutionen zu früh Macht übertragen wurde.

Kaum hatte Wikileaks die lange angekündigten Dokumente über den Irak ins Netz gestellt, brach ein Sturm der Empörung los. Entsetzt äußerten sich unter anderem die Regierungen Saudi-Arabiens, der Vereinigten Arabischen Emirate, Chinas und Russlands. Inmitten solch prominenter Verteidiger der Menschenrechte durfte die zuständige UN-Kommissarin Navy Pillay nicht fehlen. Bestätigt fühlen sich auch all jene Gegner des Irak-Kriegs, die jede Gelegenheit nutzen, der Welt zu erklären, wie recht sie mit ihrer Opposition gegen Krieg und Besatzung hatten.
Dabei mussten selbst Zeitungen wie die New York Times zugestehen, dass die 400 000 Dokumente wenig Neues enthüllen und bestenfalls zeigen, wie tief der Iran in terroristische Aktivitäten im Nachbarland verstrickt ist. Vor allem aber bestätigen die Dokumente erneut, dass nach der formellen Übertragung der Souveränität an die irakische Regierung im Sommer 2004 Milizen, Sondereinsatzkommandos des Innenministeriums und andere Sicherheitskräfte unzählige Verbrechen verübt haben, Gefangene systematisch misshandelt wurden und in den schlimmsten Zeiten von den Regierungsparteien unterstützte Todesschwadronen im Land unterwegs waren.
All dies geschah nicht selten unter den Augen amerikanischer Soldaten, die von al-Qaida und dem sogenannten irakischen Widerstand auf der einen und proiranischen schiitischen Milizionären auf der anderen Seite in einen asymmetrischen Mehrfrontenkrieg verwickelt worden waren. Nur selten wurden solche Fälle verfolgt, denn man fühlte sich eben nur noch bedingt für das Walten der Irakis verantwortlich.
Erstaunlicher ist daher, dass gerade Gegner des Krieges und der darauf folgenden Besatzung sich nun so echauffieren. Denn die Dokumente bestätigen vor allem jene Kritiker, die vor einer zu frühen Übertragung der Souveränität an irakische Institutionen gewarnt haben. In einem Land, das eine derartige Brutalisierung der gesamten Gesellschaft erlebt hat wie der Irak, dauert es Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, funktionierende Institutionen aufzubauen. Überträgt man nach nur einem Jahr die Verantwortung für so sensible Bereiche wie Justiz und Gefängniswesen an Parteien und Personen, die entweder selbst unter Saddam Hussein gedient haben oder in klandestinen Oppositionsstrukturen groß geworden sind, darf es kaum verwundern, wenn es zu systematischen Übergriffen kommt.
Gemäß dem internationalen Recht waren die USA und die Koalitionstruppen ab 2004 nicht mehr unmittelbar für die innenpolitische Lage im Land verantwortlich, außer in Gefängnissen, die noch unter ihrer direkten Jurisdiktion standen. Die inkriminierten irakischen Behörden übten ihre neu gewonnene nationale Souveränität so aus wie regional eben üblich. Auf dieser Souveränität aber beharrten jene, die einen sofortigen Abzug der US-Truppen forderten. Wäre es nach ihnen gegangen, würde Saddam Hussein wohl noch regieren. Zehntausende Menschen wären gefoltert und exekutiert worden oder einfach verschwunden. Um welchen Unterschied es also trotzdem geht, zeigen eben unter anderem die Wikileaks-Dokumente. Wer es wissen will, kann seit 2003 minutiös und aus unterschiedlichsten Quellen jede Menschenrechtsverletzung im Irak verfolgen, denn Mitarbeiter von Amnesty International, Human Rights Watch und anderen Organisationen können im Land nun erstmals seit Jahrzehnten ermitteln.