Der Kampf um bezahlbaren Wohnraum in Hamburg 

Komm, wir schlafen im Büro

In Hamburg sind die Mieten hoch und die Wohnungen knapp. Der schwarz-grüne Senat möchte aber lieber Büroflächen ausbauen.

Hamburgs schwarz-grüner Senat kommt nicht heraus aus den negativen Schlagzeilen. Erst vor kurzem hatten die Beschlüsse der Sparklausur zu heftigen Reaktion und Protesten geführt. Besonderen Unmut erregten die Pläne zur Schließung des Altonaer Museums und zur Demontage des renommierten Deutschen Schauspielhauses.
Kaum wurden die Gemüter mit einem Kulturgipfel, auf dem publikumswirksam eine teilweise Rücknahme der Kürzungspläne verkündet wurde, kurzfristig beruhigt, bestimmt nun die Frage nach bezahlbarem Wohnraum die politische Debatte in der Stadt. Mittlerweile haben die seit einigen Wochen anhaltenden Proteste gegen die Wohnungsmarktpolitik in Hamburg auch das Landesparlament erreicht. Unter dem Motto »Soziales Pulverfass Wohnen« diskutierte die Bürgerschaft in der vergangenen Woche über die Forderungen nach günstigem Wohnraum und der Beendigung von Leerständen in der Stadt. Der Anlass für die Parlamentsdebatte war eine Bündnisdemonstration des Netzwerks »Recht auf Stadt«, an der über 6 000 Menschen teilgenommen hatten. Mit dem Slogan »Leerstand zu Wohnraum« wurde thematisiert, dass es an bezahlbarem Wohnraum in Innenstadtnähe fehlt, während 1,17 Millionen Quadratmeter Bürofläche leerstehen.

»Wir haben zwar Engpässe, diese Engpässe müssen wir beseitigen. Aber wir haben keine Not«, beschwichtigte Hans-Detlev Rook, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU, in der Bürgerschaftsdebatte. Seine weitergehende Erläuterung, man wolle »keine sozialistische Wohnungspolitik«, verwies allerdings unfreiwillig auf die politischen Ursachen, die hinter den derzeitigen Auseinandersetzungen um die städtische Wohnsituation stehen. Denn der Konflikt ist das Ergebnis einer gezielten Deregulierung des Wohnungsmarkts in Hamburg seit 2001. Der Anteil der Sozialwohnungen verringerte sich von 150 172 Wohneinheiten im Jahr 2000 auf derzeit 105 873. Nach aktuellen Berechnungen wird ­dieser preis- und belegungsgebundene Wohnungsanteil in den kommenden fünf Jahren um wei­tere 20 000 Wohnungen sinken. Zugleich ist die Zahl der Hamburger Haushalte in den vergangenen zehn Jahren von 910 000 auf 970 000 Haushalte gestiegen. Die Hälfte dieser Haushalte erfüllt die Kriterien, die einen Anspruch auf eine Sozialwohnung begründen.

Der schwarz-grüne Senat folgt dem stadtentwicklungspolitischen Leitbild der »Wachsenden Stadt«, bei dem es vor allem um die Konkurrenzfähigkeit im Wettbewerb der europäischen Metropolen geht. Entsprechend werden vor allem wachsende Renditen für Investoren angestrebt. Diese Ausrichtung begünstigt den Bau von Büro- und Gewerbeflächen. Trotz des bereits bestehenden Büroleerstands sollen in den kommenden zwei Jahren schätzungsweise weitere 600 000 Quadratmeter neue Büroflächen entstehen. Die Geschäftsführerin des Hamburger Mietervereins Sylvia Sonnemann sagt dazu: »Setzt man auf eine wachsende Stadt, dann muss man auch eine wachsende Anzahl von Wohnungen bieten – sonst erhält man vor allem wachsende Mietpreise.«
Die Einschätzung, dass sich die Sache der Mieter in der Hansestadt beim schwarz-grünen Senat in den denkbar schlechtesten Händen befindet, legt auch der Blick auf das Geschäftsgebaren des städtischen Wohnungsunternehmens Saga/GWG nahe. Das Unternehmen verwaltet etwa 130 000 Wohneinheiten, das entspricht einem Anteil von ungefähr 15 Prozent aller Wohnungen in Hamburg. Seit Ende der neunziger Jahre sind die Nettokaltmieten dieser Wohnungen fast doppelt so schnell gestiegen, wie es auf dem restlichen Mietmarkt der Fall war. Bei der Sada/GWG hat sich der Bestand der Sozialwohnungen von 107 000 im Jahre 1990 auf mittlerweile 46 600 reduziert. Das Unternehmen baut im Jahresdurchschnitt lediglich 300 neue Wohnungen, zudem werden 200 Bestandswohnungen jährlich gewinnbringend an private Interessenten verkauft.
Diese marktorientierte Geschäftspolitik hat Gründe: Der Senat hat das städtische Unternehmen 2007 verpflichtet, jährlich 100 Millionen Euro aus den Erträgen der Mieteinnahmen an die Stadt abzuführen. Damit dürften ausgerechnet diejenigen Mieter, die wirtschaftlich am schlechtesten gestellt sind, maßgeblich an der Finanzierung von städtischen Prestigeprojekten wie der Elbphilharmonie beteiligt sein. Angesichts dieser Marktstrategien müssen die Forderungen, die von Saga/GWG-Mietern im Mai in einem offenen Brief an die verantwortliche grüne Stadtentwicklungssenatorin Anja Hajduk gestellt wurden, tatsächlich fast nach sozialistischer Revolte klingen: »Ihre Unternehmenspolitik und die Vorgaben der Senatspolitik müssen endlich dem selbst gesteckten Ziel gerecht werden, nämlich der sicheren und sozial verantwortlichen Versorgung breiter Schichten der Bevölkerung mit Wohnraum zu angemessenen Preisen.«

Dass in Hamburg der Kampf um bezahlbaren Wohnraum auf der politischen Tagesordnung wieder ganz oben steht, dürfte allerdings kaum der Einsicht der politisch Verantwortlichen zu verdanken sein, sondern ist auf die Initiative zurückzuführen, die vom Bündnis »Recht auf Stadt« ausgeht. Der Zusammenschluss, der sich im September 2009 gründete, zählt neben den Stuttgart-21-Gegnern derzeit zu den einflussreichsten außerparlamentarischen Bewegungen gegen kommunal verantwortete Stadtentwicklungspolitik.
Das Spektrum reicht von Schrebergartenaktivisten über Mieterzusammenschlüsse bis hin zu autonomen Zentren und Bauwagenaktivisten, statt rückwärtsgewandtem urbanen Heimatschutz versucht das Bündnis, das Recht auf Stadt im Wortsinn durchzusetzen. Dabei setzt man auf die gesellschaftliche Teilhabe an der Diskussion um die Zukunft von Wohnquartieren und verbindet sie mit praktischen Interventionen. Es werden »Fette Mieten«-Partys organisiert, und kurzfristig wurde ein modernisiertes, aber seit Jahren leerstehendes Haus im Schanzenviertel besetzt.
Mit einigem Erfolg: Mittlerweile gab die SPD bekannt, dass man die Anliegen hinter den Aktionen nachvollziehen könne. Vor der »Leerstand zu Wohnraum«-Demonstration veranstaltete der Norddeutsche Rundfunk eine Schwerpunktwoche zum Thema Wohnungsnot und Leerstand in Hamburg. Das konservative Hamburger Abendblatt berichtete ungewohnt nachsichtig über den Protest und forderte, dass sich die Politik der Anliegen der demonstrierenden Bürger endlich annehmen müsse. Zumindest eine Botschaft ist bei den Politikern angekommen: Die Wohnungsfrage taugt zum Wahlkampfthema.
Die Aktivisten bereiten bereits Aktionen zur Besetzung leerstehenden Büroraums vor. Schon im Aufruf für die Demonstration »Leerstand zu Wohnraum« wurde gefragt: »Aber wie wäre es, wenn dieser Raum einfach genutzt wird? Wenn leere Büros für Wohnungslose offen stehen? Wenn Menschen, die seit Monaten auf Wohnungssuche sind, einfach in eine der zahlreichen ungenutzten Büroetagen ziehen?« Die Staatsschutzabteilung des Hamburger Landeskriminalamts scheint die mögliche Sprengkraft solcher Überlegungen schon länger erkannt zu haben. Die Überwachung einer Initiative, die sich gegen einen Konzerthallenneubau in St. Pauli wendet, begründete die Polizei damit, dass »die Gruppe Teil des Netzwerkes ›Recht auf Stadt‹ ist«.