Mehr Sinn gibt es nicht umsonst

Wenn früher jemand in die Wirtschaft ging, wollte er ein Bier trinken. Wenn heute jemand in die Wirtschaft geht, bekommt er einen hochbezahlten Job. Denn in der Wirtschaft ist man nicht, wenn man am Fließband Autos zusammenschraubt, sondern nur, wenn man in den erlauchten Kreis des Managements aufgenommen wird. Für einen Job am Fließband wären die Betreffenden ohnehin ungeeignet, denn es handelt sich um Politiker jenseits der 50, die auf dem Arbeitsmarkt kaum eine Chance hätten. Für weniger anstrengende Tätigkeiten scheinen sie aber noch brauchbar zu sein. Das zumindest glaubt man beim Baukonzern Bilfinger Berger. Dessen Management ernannte Roland Koch zum künftigen Vorstandsvorsitzenden.
Kritiker bezeichneten Koch häufig als »Betonkopf«, ansonsten aber fehlt dem ehemaligen Ministerpräsidenten Hessens die fachliche Qualifikation. Das macht aber nichts, glaubt Tiemo Kracht, Geschäftsführer der Kienbaum-Personalberatung: »Je höher man aufsteigt, desto weniger ausschlaggebend ist das pure Fachwissen.« Deutlicher lässt sich kaum sagen, was von dem Geschwätz über sozialen Aufstieg durch Bildung zu halten ist. Wer wirklich hoch hinaus will, bedarf keiner schnöden Kenntnisse. Vorstandsvorsitzende »stiften Sinn und geben Orientierung«, erläutert Kracht. Sicher haben die 67 000 Beschäftigten von Bilfinger Berger schon lange darauf gewartet, dass ihnen endlich mal einer erklärt, warum sie ihren Job eigentlich machen. Allerdings hätte der Konzern auch andere unterbeschäftigte Sinnstifter engagieren können, zum Beispiel die ehemalige Bischöfin Margot Käßmann. Warum also gerade Koch? Weil er »gut vernetzt« ist, meint Marc Gabriel vom Bankhaus Lampe. Schließlich kennt ein ehemaliger Politiker zahlreiche noch amtierende Politiker nebst ihren schmutzigen kleinen Geheimnissen, Schwächen und Vorlieben, was bei der Vergabe von Bauaufträgen hilfreich sein kann. »Für andere Analysten überwiegen ebenfalls die Pluspunkte«, stellte Focus fest.
Doch der gemeine Börsianer denkt anders. Als die Ernennung Kochs bekannt wurde, sank der Aktienkurs von Bilfinger Berger um knapp fünf Prozent. Sind die Anleger bei der Lektüre des Koch-Buchs »Konservativ« eingeschlafen und zweifeln daran, dass er Orientierung geben kann? Fürchten sie, dass Bilfinger Berger unter der Führung Kochs, der als Gegner Angela Merkels galt, weniger Aufträge von der Bundesregierung bekommt? Glauben sie, dass Koch mit innerparteilichen Intrigen die hessischen CDU-Politiker gegen sich aufgebracht hat, so dass die nächste Startbahn in Frankfurt am Main von einem anderen Konzern gebaut werden wird? Sicher ist derzeit nur, dass der gut vernetzte Sinnstifter seine Firma bereits vor dem Amtsantritt 100 Millionen Euro gekostet hat.