Vinyl statt Buddha

Berlin Beatet Bestes. Folge 70. Johnny Guitar (1966).

Vor vielen Jahren führte ich mit einem Freund ein Streitgespräch über Punk in China. Ich freute mich darüber, dass chinesische Punks jetzt auch in Europa touren und Platten veröffentlichen. Mein Freund dagegen war der Ansicht, dass damit wieder einmal nur der westliche Kultur­imperialismus gesiegt hätte, ohne den Chinesen eine Chance für eine eigene Entwicklung zu lassen. Auch die widerständigste Punkmusik sei schließlich nur ein Abfallprodukt der viel größeren westlichen Kulturindustrie, die überall auf der Welt authentische, traditionelle Kulturen zerstöre. Obwohl wir beinahe gleich alt sind und mit der gleichen Pop- und Rockmusik aufgewachsen sind, kamen wir auf keinen gemeinsamen Nenner.
Als ich unlängst einige Posts in einem Blog las, erinnerte ich mich an diese Diskussion. Mein Freund hatte damals, ohne es zu benennen, einen Standpunkt vertreten, der so auch von vielen Musikethnologen stark gemacht wird, die Musik suchen, die noch frei von westlichen Einflüssen ist. Stuart, der Macher des Blogs, stellte die Frage: Was haben Kulturrevolutionen und Musikethnologen gemeinsam? Antwort: Beide hassen Rock’n’Roll. Stuart prä­sentiert auf seinem Blog wöchentlich Platten, die in den sechziger und siebziger Jahren die Schnittstelle von traditioneller Musik und westlicher Popmusik bil­deten. Seiner Meinung nach war Musik zu allen Zeiten das Produkt einer gegen­seitigen Befruchtung von verschiedenen Kulturen. Die Portugiesen brachten Gitarren in ihre Kolonien, die Deutschen Akkordeons nach Lateinamerika, und europäische Blasinstrumente wurden über ganz Afrika verbreitet. Genau diese Kollisionen der Kulturen führten zu den eigenständigsten und erstaunlichsten Musikformen. Nur in Nordkorea gibt es immer noch keinen Rock’n’Roll.
Im Sommer 1999 habe ich mit meiner Freundin den Urlaub in Thailand verbracht. Drei Wochen lang lagen wir am Strand, aber ein paar Tage vor unserer Abreise sahen wir uns auch noch in Bangkok um. Meine Freundin wollte unbedingt den liegenden, vergoldeten Buddha besichtigen. Ich dagegen machte mich auf die Suche nach Schallplatten. Von unserem Hotelbesitzer erfuhr ich, dass es in Chinatown Plattenläden geben sollte. Verschwitzt kämpfte ich mich durch die Zwölfmillionenmetropole. Der erste Laden wollte mir überhaupt nichts verkaufen. Ich habe das respektiert, schließlich schien ansonsten alles in Bangkok käuflich zu sein. Im zweiten Laden verwies man mich in die Ecke mit Platten voller Westmusik. Im dritten Geschäft allerdings wurde ich freundlich begrüßt. Als ich einige Platten anhören wollte, wies mich der junge Verkäufer, der kein Englisch sprach, an zu warten. Eine alte Chinesin mit onduliertem Haar, Kimono und Zigarettenspitze verkaufte mir dann unter anderem eine EP der thailändischen Band Johnny Guitar. Die Platte ist ein gutes Beispiel für die besagte Überwindung von traditioneller thailändischer Musik und Rock’n’Roll. Als ich sie zu Hause meinem Freund vorspielte, war er begeistert.