Über den Film »Somewhere« von Sofia Coppola

About a Girl

»Somewhere« von Sofia Coppola schildert das stumpfe Leben eines Hollywoodstars aus dem Blickwinkel seiner Tochter.

Das Hotel Chateau Marmont am Sunset Boulevard lebt von seiner glamourösen Vergangenheit, vom Flair des alten Hollywood. Hunter S. Thompson, Errol Flynn, Humphrey Bogart und Robert Mitchum gehörten zu den regelmäßigen Gästen. Unzählige Minidramen, Anekdoten und Klatschgeschichten wurden über diesen mythischen Ort erzählt. Dass nun Sofia Coppola das legendäre Hotel zum Schauplatz ihres neuen Films gewählt hat, scheint naheliegend. Nirgendwo sonst lassen sich ihre Lieblingsthemen – Entfremdung, Einsamkeit und Überdruss in der spätkapitalistischen Celebritykultur – so anschaulich darstellen wie anhand der Miniaturwelt einer Hotelsuite.
Schon in »Lost in Translation« machte die Regisseurin den Schauplatz Hotel, wo sich Anonymität und Privatheit verbinden, zur Bühne für die Identitätskrisen und Fremdheitserfahrungen zweier gestrandeter Melancholiker. Richtig schlimm sehen diese Krisen bei Coppola allerdings nie aus – ihre Figuren werden immer von einer weichen atmosphärischen Schutzschicht umhüllt.
»Somewhere« ist von der ersten Einstellung an deutlich spröder als Coppolas vorherige Filme. Die Kamera zeigt eine Rennbahn in einer kargen menschenleeren Landschaft, irgendwo vor Los Angeles. Ein Ferrari dreht seine Runden, dabei fährt er ganz aus der Kadrierung heraus und wieder hinein. So geht es eine Weile dahin, bis Johnny Marco, ein etwas zerknitterter Bruce-Weber-Typ, aus dem Wagen steigt und ratlos in der Ödnis stehen bleibt. Dieser Auftakt hat etwas entspannt Lakonisches, der Bildausschnitt wirkt aber gleichzeitig zu konzeptuell. Coppola entscheidet sich in »Somewhere« dann auch konsequent gegen das großzügige, raumgreifende Tableau und lässt das Bild immer ein wenig beengt und klein aussehen. Diesmal stehen nicht die gleitenden Bewegungen durch die Weite und Anonymität des Hotels im Mittelpunkt, sondern das Verharren in dessen abgeschlossenen, privaten Einheiten.
Johnny Marco (Stephen Dorff) ist erfolgreicher Schauspieler und bewohnt eine Suite im Chateau Marmont. Coppola hat sich viel Mühe gegeben, das Hotel heruntergewohnt und fast ein bisschen schäbig aussehen zu lassen – etwas ist zwar noch übrig vom alten Glamour, doch man spürt, die Bewohner hängen einem abgegriffenen Klischee nach, einer luxuriösen Form der Heimatlosigkeit. Die psychische Verfassung des Protagonisten, sein Kreisen in Langeweile, Melancholie und Leere, fügt sich nahtlos in diese Umgebung ein. Jeder Tag gleicht dem anderen . Johnny fährt mit seinem Ferrari durch die Gegend, flirtet, steht auf Partys herum, trinkt, lässt sich abschleppen, wacht verkatert auf und geht brav zu allen Terminen, die seine Agentin für ihn ausmacht. Ihr täglicher Anruf ist das einzige seinen Alltag strukturierende Element in einem auf Autopilot geschalteten Leben. Coppola stattet ihre Hauptfigur, die Stephen Dorff extrem schluffig und zurückgenommen spielt, mit einer erstaunlichen Durchschnittlichkeit aus. Dennoch gibt es immer eine Frau, die gerade mit ihm schlafen will – offensichtlich reicht es aus, ein bekannter Star zu sein. Allerdings fragt man sich, wie Johnny es bei seinem lowen Energielevel überhaupt zum Starschauspieler gebracht hat. Als er sich wieder einmal zwei blonde Pole-Tänzerinnen auf sein Zimmer bestellt hat, schläft er während ihres Herumgeturnes sogar ein. Lautlos packen sie die zusammenklappbaren Stangen wieder in ihre Taschen und verlassen das Zimmer.
Zu Johnnys Alltagroutine gehören auch die ­regelmäßigen Besuche seiner elfjährigen Tochter aus seiner gescheiterten Ehe. Als deren Mutter auf unbestimmte Zeit verreisen muss, zieht Cleo (Elle Fanning) bis zum Beginn des Sommercamps bei ihm im Chateau Marmont ein. Die beiden vertreiben sich die Zeit mit banalen Dingen, Videospiele, Frühstücken, Schwimmen, Sonnenbaden, in der Lobby Abhängen. Gemeinsam gleiten sie durch den Alltag und stoßen sich dabei an keinem Hindernis. Man könnte meinen, Coppola sei ebenso wie Johnny Marco in einer Art Wiederholungsschleife gefangen, erzähle immer wieder ein und dieselbe Geschichte – was sie in gewisser Weise auch macht. Wieder einmal zeigt sie die stereotypen Floskeln und automatisierten Abläufe der Filmwelt und des Showbusiness, die Fototermine, Fernsehshows und Pressekonferenzen – der Höhepunkt ist hierbei die Verleihung des Telegatti-Award in Mailand, was Coppola zum Anlass nimmt, die Albernheiten der italienischen Plastikunterhaltungsindustrie vorzuführen. Und sie zeigt das dumpfe Gefühl der Einsamkeit, das Johnny Marco überfällt, wenn er alleine in seinem Zimmer zurückbleibt. Doch Coppola entzieht der Star-Welt konsequent jeden Glamour, sie bricht das »bigger than life« ganz buchstäblich aufs Kleinformatige herunter. Ihr signifikanter filmischer Impressionismus, der sich als ein souveränes Zusammenspiel von Atmosphären und Oberflächen, von Licht, Farben und Sounds beschreiben lässt, weicht in »Somewhere« einem für ihre Verhältnisse fast trockenen Realismus. So ist die Bildsprache erstaunlich minimalistisch geraten, es gibt kaum Kamerabewegungen und der Bildausschnitt ist oftmals so eng gewählt, dass die Verlorenheit der Figur sich schlichtweg nicht auratisieren lässt (wie es noch in »Lost in Translation« der Fall war). Und auch wenn Coppola wieder einmal von privilegierten Menschen in Hotels erzählt, gelingt es ihr erneut, deren Gefühle als universale Befindlichkeiten zu beschreiben. Sie verleiht damit einem zeitgemäßen Lebensgefühl Ausdruck, das auf das Angebot unendlicher Möglichkeiten mit ebenso vielen Identitätskrisen antwortet und in Melancholie, Einsamkeit und Langeweile seine emotionale Wahrheit gefunden hat.
Mit dem Auftritt von Cleo ändert »Somewhere« dann allerdings seine Richtung. Zweifellos gewinnt der Film mit der Darstellung des Vater-Tochter-Verhältnisses an Zauber und Charme, doch er verliert dabei auch seine charakteristische Stumpfheit und Glanzlosigkeit, die Taubheit gegenüber den Oberflächen der Celebrity-Welt. Denn wenn Johnny mitten in der Nacht mit seiner Tochter Eis essend im Bett sitzt oder sie im Pool mit Unterwasserpantomime unterhält, wird das Alltägliche erneut »glamourisiert« und mit Coppolas Trademark-Chic überzogen. Ihre Filme sind eben – von anderen Qualitäten abgesehen – vor allem guter Pop und als solcher unmittelbar wirksam und verführerisch. Allerdings ist die Trennlinie zwischen simpler Affirmation und cleverer Überaffirmation, zwischen kritischer Distanz und stilistischer Coolness, angefangen von ihrem Debüt »The Virgin Suicides« (1999) über »Marie Antoinette« (2006) bis hin zum aktuellen Film, nicht immer auszumachen. Natürlich beherrscht Coppola die Reproduktion von Oberflächen ebenso perfekt wie die Kunst einer fließenden, ganz auf Atmosphäre ausgerichteten Erzählung, doch was in »Somewhere« gänzlich fehlt, ist irgendeine Form der unsanften Störung.

»Somewhere« (USA 2009). Regie: Sofia Coppola