Männergewalt und die feministische Debatte in Spanien

Die Gewalt der Machos

In Spanien sterben jährlich 70 Frauen durch Männergewalt. Trotz der fortschrittlichen Gesetzgebung zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen ist die Zahl der Opfer im Vergleich zum vergangenen Jahr gestiegen. Feministen sprechen von »Neomachismus« und weisen auf die sexistischen Strukturen in der Gesellschaft hin.

Die Zahl 56 steht für den vorläufigen traurigen Höhepunkt in der diesjährigen Statistik der Gewalt gegen Frauen in Spanien, der violencia de género (geschlechtsspezifischen Gewalt), wie es sprachlich neutral heißt, wenn Männer Frauen angreifen, verprügeln oder töten. Mitte Oktober erstach ein 50jähriger Spanier in der Ortschaft Getafe bei Madrid seine 47jährige Ehefrau mit einem Messer und tötete sich im Anschluss selbst. Sein Opfer war die 56. Frau, die im laufenden Jahr von ihrem männlichen Partner, Ex-Freund oder »Verehrer« umgebracht wurde. Damit hat Spanien dieses Jahr bereits Mitte Oktober ein Todesopfer mehr zu verzeichnen als im gesamten Jahr 2009. Und täglich gibt es neue Meldungen über Morde und Mordversuche an Frauen, Ende Oktober waren es bereits 58.

»Warum hören die Machos nicht auf zu töten?«, fragte die Tageszeitung El País Anfang August in einer Überschrift. Tatsächlich scheint es darauf keine einfachen Antworten zu geben. Untersuchungen zeigen zumindest, dass die männlichen Täter oft keineswegs nur aus dem Affekt heraus, in blinder Eifersucht oder Wut handeln. Viele der Morde sind lange vorher geplant.
Spanien hat mit dem Gesetz gegen geschlechtsspezifische Gewalt im Jahr 2004 ein umfassendes Gesetz zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen eingeführt. Damit waren weitreichende Maßnahmen verbunden: Die Strafen wurden verschärft, es wurde die Schaffung 400 neuer Gerichtshöfe für frauenfeindliche Gewalt beschlossen und spezielle staatliche Institutionen eingerichtet. Besondere Regelungen sollen die Opfer davor schützen, neben der erlittenen Gewalt weitere Nachteile hinnehmen zu müssen, beispielsweise durch Lohnausfall oder Kündigung aufgrund häufiger Fehlzeiten. Programme sollen Frauen zudem bessere Möglichkeiten geben, ökonomische Unabhängigkeit von gewalttätigen Ehemännern zu erreichen. Statistiken zufolge haben all diese Maßnahmen allerdings wenig bewirkt. Weiterhin werden im Schnitt jährlich 40 000 Frauen Opfer von häuslicher Gewalt, 70 Frauen überleben die Attacken nicht, sagte der Regierungsbeauftragte für geschlechtsspezifische Gewalt, Miguel Lorente.
»Das Gesetz von 2004 ist außergewöhnlich und ein großer Schritt nach vorne gewesen«, urteilt Isabel Tajahuerce Ángel gegenüber der Jungle World. Sie arbeitet am Institut für feministische Forschung an der Universidad Complutense de Madrid und ist Vorsitzende des universitären Zusammenschlusses gegen machistische Gewalt, »Auvim«. Das Problem sei aber die mangelnde spezialisierte Ausbildung derjenigen, die Gewalt gegen Frauen bekämpfen sollen. »Es fehlt ein klares Bewusstsein darüber, was machistische Gewalt eigentlich ist. Sie beginnt ja nicht erst bei der körperlichen Gewalt«, so Tajahuerce. Die Professorin hat daher den ersten Studiengang eingerichtet, der Fachkräfte zur Bekämpfung der violencia de género ausbildet. Dabei geht es auch um die Ursachen der Gewalt, die für die Feministin bereits bei der Sozialisation von Kindern beginnt. »Von klein auf werden sie in die Rollen gezwängt: rosa für Mädchen, für Jungs alle Farben außer rosa. Puppen, Bügelbretter und Miniküchen für die Mädchen, Monster und Bausätze für die Jungs.« In der Schule werde dann die »Welt der Männer« weiter in den Köpfen verfestigt: »Geschichte erscheint in den Schulbüchern nur als eine Abfolge von Männern, die die Macht innehatten, und anderen Männern, die versucht haben, ihnen diese Macht wegzunehmen. Wir geben das Bild einer Welt weiter, die in der Politik und in der Wirtschaft überall maskulin ist und hier liegt die Basis, auf denen die ungleiche Gesellschaft aufgebaut ist«, so Tajahuerce. Diese Ungleichheit, die von der Politik, den Medien bis hin zu den »Mädchen, die noch immer glauben, dass die Eifersucht ihres Freundes ein Zeichen seiner Liebe sei«, stetig reproduziert werde, stellt sie in Zusammenhang mit machistischer Gewalt.
Der Kampf gegen die Ungleichheit ist kein einfaches Unterfangen in einem Land, in dem der katholisch geprägte, autoritäre Konservatismus bei einem großen Teil der Gesellschaft die Werte bestimmt. Dieses traditionell-reaktionäre Weltbild manifestierte sich in den großen Demonstrationen gegen die Homoehe ebenso wie in den Kampagnen gegen das Recht auf Abtreibung. Dass es nur ein kleiner Schritt sein kann von den Kampagnen gegen Abtreibungen hin zur direkten körperlichen oder sexualisierten Gewalt, zeigte beispielhaft der Erzbischof von Granada, Javier Martínez, im Dezember vergangenen Jahres. Eine Frau, die abtreibe, gebe Männern »die totale Freiheit, ohne Einschränkungen, ihren Körper zu missbrauchen«, hatte er während der Sonntagsmesse erklärt. Die zuständige Bischofsvertretung sah keinen Grund, sich für die Äußerungen zu entschuldigen. Ganz im Gegenteil: Wenn eine Frau fähig sei, ihr eigenes Kind zu töten, dann habe der Mann »die totale Freiheit, ohne Einschränkungen, den Körper der Frau zu missbrauchen«, lautete die offizielle Mitteilung. Tajahuerce fordert, auch solche Aussagen bereits als einen Aspekt von Gewalt gegen Frauen zu begreifen: »Natürlich sind die Morde das gravierendste Problem«, aber die machistischen Strukturen in der Gesellschaft und die geschlechtsspezifische Diskriminierung gehörten auch dazu.

Für die Frauen, die es dennoch in die Politik schaffen, gelten offenbar andere Regeln als für die Männer. Als vor zwei Wochen die Sozialdemokratin Leire Pajín zur Ministerin für Gesundheit, Sozialpolitik und Gleichheit ernannt wurde, erklärte Javier León de la Riva, der konservative Bürgermeister von Valladolid, in einem Radio­interview: »Jedes Mal, wenn ich dieses Gesicht und diese Lippen sehe, denke ich nur an das Eine.« Bereits im vergangenen Jahr, als Pajín Parteisekretärin der Regierungspartei Psoe war, schrieb Antonio Burgos, ein bekannter Schriftsteller und Journalist, in der rechtskonservativen Tageszeitung ABC, dass sie »ein Gesicht wie eine Pornodarstellerin habe, aber eine der verdorbenen Sorte«. Die Frau, die sich solche Äußerungen in der Öffentlichkeit anhören musste, soll nun die Gleichstellung vorantreiben, und das unter erschwerten Bedingungen, denn genau zu ihrem Amtsantritt wurde das Gleichstellungsministerium nach nur zweijährigem Bestehen wieder geschlossen und mit dem Gesundheitsministerium zusammengelegt. »Die Schließung des Ministeriums ist ein schwerwiegender Fehler gewesen«, betont auch Isabel Tajahuerce. Vor allem würden dadurch diejenigen bestätigt, die von Beginn an gegen das Ministerium gekämpft hätten.
In Spanien ist eine reaktionäre Bewegung gegen den Kampf um Gleichheit entstanden. Mehrere Vereinigungen machen gegen die »Diskriminierung« der Männer mobil und sehen das Gesetz gegen geschlechtsspezifische Gewalt oder das Gleichstellungsministerium als eine »Bevormundung der Frauen« und eine Bedrohung der Familie. Die Vertreter dieser Gruppen verneinen dabei nicht die Existenz machistischer Gewalt, sondern kritisieren vor allem die Maßnahmen dagegen und die Bedeutung, die dem Thema zugemessen wird. Das beliebteste Instrument dieses in feministischen Kreisen sogenannten neomachismo ist die Behauptung, dass der Großteil der Anzeigen wegen häuslicher Gewalt auf falschen Anschuldigungen beruhe. Auch in den Tageszeitungen kann man immer wieder empathische Geschichten von verzweifelten Männern lesen, die wegen gerichtlicher Auflagen ihre Kinder nicht mehr sehen dürfen oder sich nicht mehr frei bewegen können, da sie mindestens 500 Meter Abstand zum Haus ihrer (Ex-)Frau halten müssen. Gleichzeitig stirbt jede Woche eine Frau durch die Hände ihres gegenwärtigen oder ehemaligen Partners.

Migrantinnen sind dabei besonders betroffen. Sie stellen in Spanien ein Drittel der Opfer machistischer Gewalt dar. Dramatisch ist diese Situation vor allem für Frauen ohne gültige Aufenthaltserlaubnis. Aus Angst vor Abschiebung zeigen sie die Täter nur selten an. Dass ihre Sorge vor polizeilicher Repression nicht unbegründet ist, zeigte vergangenes Jahr ein Fall aus Italien. Polizisten hatten Ende Juli in Bologna in letzter Minute die Vergewaltigung einer 23jährigen Nigerianerin verhindert. Auf der Wache stellten sie dann fest, dass das Opfer keine Aufenthaltspapiere besaß. Daraufhin wurde die junge Frau in Abschiebehaft genommen und kurz darauf nach Nigeria abgeschoben. Von dort war sie fünf Jahre zuvor geflohen, weil ein Gericht sie zum Tode verurteilt hatte. Sie hatte in Notwehr ihren Chef ge­tötet, als der versucht hatte, sie zu vergewaltigen. Auch in Spanien besteht die Gefahr der Ausweisung, wenn illegaliserte Migrantinnen machistische Gewalt anzeigen, wie das spanische Flüchtlingshilfswerk Cear und Amnesty International in der Vergangenheit mehrfach kritisierten.
Erschreckender als die Zahlen der ermordeten Frauen in Spanien ist eigentlich nur die Tatsache, dass das Land im europäischen Vergleich keineswegs an der Spitze steht. Mit 2,81 Opfern pro Million Einwohnerinnen liegt Spanien sogar noch unter dem europäischen Durchschnitt, der bei 3,94 liegt, wie eine internationale Studie über Gewalt gegen Frauen für das Jahr 2006 zeigt. In Zypern, Österreich und Finnland ist die Rate demnach am höchsten. »Der große Vorteil in Spanien ist, dass durch das Gesetz von 2004 das Problem sichtbar gemacht wurde und die Leute darüber reden«, erklärt Isabel Tajahuerce. Gewalt gegen Frauen existiere aber in allen Gesellschaften, Kulturen und sozialen Schichten, da sie eine Folge des patriarchalen Modells sei. »Erst wenn man die tatsächliche Ausbreitung und die dahinter stehenden Mechanismen begreift, wird man die Gewalt beenden können.«