Razzien gegen linke Buchläden in Berlin

Linke Buchhändler leben riskanter

In den vergangenen Monaten wurden wiederholt linke Buchläden in Berlin durchsucht. Die Betroffenen werten die Razzien als politisch motivierte Kampagne, die das Ziel verfolgt, die Möglichkeiten linker Opposition einzuschränken.

Die Zahl der Razzien in Berliner Buch- und Infoläden ist in diesem Jahr rekordverdächtig. Die beiden »Schwarze-Risse«-Buchläden in Kreuzberg und Prenzlauer Berg wurden am 26. Oktober zum sechsten Mal von Beamten des LKA durchsucht, für die Buchhandlung »Oh 21« war es die vierte Hausdurchsuchung in diesem Jahr. Ebenfalls betroffen war der Infoladen »M99«, seit seinem Bestehen gab es dort schon mehr als 50 Razzien. Der Durchsuchungsbeschluss richtete sich gegen eine Ausgabe der autonomen Berliner Szenezeitschrift Interim.
Der Aufenthalt der Beamten im Kreuzberger Geschäft von »Schwarze Risse« zog sich über zwei Stunden hin, weil ein weitergehender Beschluss zur Beschlagnahmung von Plakaten der Kampagne »Castor schottern« erwirkt werden sollte. Die Gegner des Castor-Transports riefen dazu auf, den Schotter aus dem Gleisbett zu entfernen, um die Strecke unpassierbar zu machen. Mehrere Hundert Ermittlungsverfahren gegen die Unterstützer der Kampagne sollen eröffnet werden (Jungle World 43/10). Die Beamten des LKA durften das Kampagnenmaterial der Castor-Gegner auf Anweisung der Staatsanwaltschaft dann allerdings doch nicht mitnehmen, sondern nur fotografieren.

Nachdem vermutlich Nazis in der Nacht des 27. Oktober auf den Infoladen »M99« einen Brandanschlag verübt und an weiteren linken Läden sowie einer Anwaltskanzlei Schmierereien und Sachschäden hinterlassen hatten, formierte sich die linke Berliner Szene zum Protest. Am Abend des 2. November demonstrierten nach Angaben der Veranstalter 1 500 Menschen in Kreuzberg gegen »Naziterror und Repression«.
Nicht nur die wiederholten Durchsuchungen, die das Tagesgeschäft der betroffenen Läden behindern, setzen den Buchhändlern zu. Besorgnis löst vor allem der Umstand aus, dass sich die Durchsuchungsbeschlüsse nicht gegen Unbekannt, sondern gegen die Geschäftsführer richten. Dieses Vorgehen der Staatsanwaltschaft läuft der bisherigen Rechtsprechung zuwider. Bislang müssen Buchhändler nicht den Inhalt der Bücher und Zeitschriften in ihrem Sortiment kon­trollieren. Die Buchhändler fürchten, dass nun Verfahren wegen der »Anleitung zu Straftaten« (§130a StGB) und Verstößen gegen Paragraph 40 des Waffengesetzes, der nicht nur die Herstellung von Waffen, sondern auch die Aufforderung dazu verbietet, gegen sie eröffnet werden. In einer gemeinsam veröffentlichten Erklärung sprechen die Betroffenen davon, dass die Staatsanwaltschaft versuche, »vom bloßen Vorhandensein bestimmter Schriftstücke auf deren inhaltliche ­Befürwortung durch die Ladenbetreiber zu schließen und diese zu kriminalisieren«. Ihre Buch­läden seien »Schnittstellen« zwischen der Öffentlichkeit und linken Strömungen und Subkulturen. Die Durchsuchungen hätten eine »einschüchternde Wirkung« und würden »Berührungsängste« verbreiten. Frieder Rörtgen, Geschäftsführer von »Schwarze Risse«, sagte nach der jüngsten Razzia: »Es handelt sich um eine politisch motivierte Kampagne der Staatsanwaltschaft. Die Buchläden sollen unter Druck gesetzt werden, damit sie als vorgeschaltete Zensurbehörde des Staates agieren.« Er fürchtet, dass »die Möglichkeiten legaler und radikaler Opposition massiv eingeschränkt« werden könnten, wenn die Staatsanwaltschaft mit ihrer neuen Rechtsinterpreta­tion Erfolg hätte.

Am 17. November soll eine Veranstaltung im Festsaal Kreuzberg stattfinden, um über die Zunahme von Hausdurchsuchungen zu informieren und deren politische Einschätzung zu ermöglichen. In diesem Rahmen werden der Jurist und Journalist Oliver Tolmein, die Journalistin und Bloggerin Anne Roth und der Journalist Fritz Burschel über die verschiedenen Aspekte der Kriminalisierungsversuche sprechen.