Die »iranische Achse« im Nahen Osten

Der Kalte Krieg im Nahen Osten

Die arabischen Staaten warnen vor dem iranischen Einfluss in der Region. Die Türkei hingegen tendiert immer mehr zum iranischen Block.

Alle fünf Jahre legt der Nationale Sicherheitsrat der Türkei seine Analyse der internen wie externen Bedrohungen des Landes vor. Obwohl das Dokument streng geheim ist, wurde Ende Oktober bekannt, dass die eben erst aktualisierte Version in einigen bedeutenden Punkten von ihren Vorgängern abweicht. Der vielleicht wichtigste betrifft das Verhältnis der Türkei zu ihrem östlichen Nachbarstaat: Galt die Islamische Republik bislang als eine der gefährlichsten Bedrohungen, so ist vom Iran nunmehr als einem Verbündeten die Rede, der eine »gemeinsame Vision« teile. Diese Bekundung bildet den vorläufigen Höhepunkt jenes außenpolitischen Kurswechsels, den die Türkei seit dem Amtsantritt von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan vollzogen hat.

Vom Westen weitgehend ignoriert, tobt im Nahen Osten ein regelrechter Kalter Krieg zwischen zwei Blöcken, der sich in den vergangenen Jahren, angefeuert nicht zuletzt durch das iranische Atomprogramm, dramatisch zugespitzt hat. Auf der einen Seite dieses Kalten Krieges befindet sich die iranische Achse, die im Wesentlichen aus Syrien, der libanesischen Hizbollah, der palästinensischen Hamas und perspektivisch eben auch der Türkei besteht. Das ideologische Fundament dieser Achse bildet ein Amalgam, das man als National-Islamismus bezeichnen kann; das Ziel des Bündnisses besteht darin, den für alle Übel verantwortlich gemachten Einfluss des Westens im Nahen Osten zurückzudrängen.
Auf der anderen Seite finden sich jene Staaten, die sich vom iranischen Hegemonialstreben bedroht sehen. Dabei handelt es sich um Ägypten und Jordanien, die einst den Frevel begangen haben, Friedensverträge mit Israel zu unterzeichnen, sowie Saudi-Arabien und die Mehrzahl der übrigen arabischen Staaten. Der Block dieser Status-quo-Mächte agiert weit weniger geschlossen, verfügt über kein gemeinsames ideologisches Fundament und wird vor allem durch die Furcht vor der iranischen Achse zusammengehalten.
Schon während des Libanon-Krieges im Sommer 2006 waren die Fronten dieses Kalten Krieges unübersehbar, als etwa Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien das Handeln der Hizbollah als »riskantes Abenteurertum« bezeichneten und ihr jegliche Unterstützung verweigerten. Noch deutlicher wurden die Konfliktlinien während des Gaza-Krieges zum Jahreswechsel 2008/2009. Während die westliche Öffentlichkeit die Ursachen dieser Konfrontation oftmals in der israelischen Blockade des Gaza-Streifens und der verzweifelten Lage der dort lebenden Palästinenser zu finden suchte, herrschte in der Region selbst kaum Zweifel daran, was sich da abspielte: ein Stellvertreterkrieg zwischen der iranischen Achse und ihren Gegnern.
Die Auseinandersetzungen wurden von einem verschärften Propagandakrieg zwischen den zwei verfeindeten Blöcken begleitet. Während aus dem Iran und aus den Reihen der Hizbollah offen zum Sturz des saudischen Herrscherhauses und zur Ermordung des ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak aufgerufen wurde, warfen ägyptische und saudi-arabische Medien der Hamas vor, nicht palästinensische, sondern iranische Interessen zu verfolgen. Am Rande eines Treffens mit den auf einen schnellen Waffenstillstand drängenden EU-Außenministern erklärte Mubarak unzweideutig, die Hamas dürfe aus der Auseinandersetzung mit Israel nicht als Sieger hervorgehen. Auf diplomatischer Ebene wurde die Arabische Liga zum Schauplatz des Kampfes der beiden Blöcke, in dem vorerst die Status-quo-Mächte die Oberhand behielten und die Beschlussvorlagen der Verbündeten Irans blockieren konnten.

Die iranische Achse musste im Laufe des Jahres 2009 noch eine Reihe weiterer Rückschläge einstecken. Im März brach die marokkanische Regierung die diplomatischen Beziehungen zur Regierung in Teheran ab, weil der Iran gezielt versucht habe, seine Sicht des Islam in Marokko zu verbreiten, und damit die nationale und religiöse Einheit des Landes zu unterminieren versucht habe. Im April wurde bekannt, dass ägyptische Sicherheitsbehörden ein Netz von Dutzenden Aktivisten der Hizbollah zerschlagen hatten, das sich einerseits um den Waffenschmuggel in den Gaza-Streifen kümmern sollte, andererseits aber auch Anschläge auf Ziele in Ägypten vorbereitet habe. Ägyptische Medien kritisierten scharf die »Einmischung in innere Angelegenheiten« .
Ende Oktober 2009 fing die jemenitische Marine ein mit Waffen beladenes iranisches Schiff ab. Empfänger der Ladung hätten der jemenitischen Regierung zufolge schiitische Rebellen sein sollen, die sich im Krieg mit der schwachen Zentralregierung befinden und vom Jemen aus auch gegen Saudi-Arabien agieren. Anfang November 2009 kaperte die israelische Marine ein weiteres iranisches Schiff mit über 500 Tonnen Waffen, die offenbar für die libanesische Hizbollah bestimmt waren, auch wenn die Terrororganisation dies dementierte. Und erst Ende Oktober hat der nigerianische Geheimdienst in der Hafenstadt Lagos 13 Container mit Waffen aus dem Iran sichergestellt, die aus einem iranischen Schiff entladen worden waren und möglicherweise an die Hamas im Gaza-Streifen geliefert werden sollten.
Gerade der Fall des Libanon zeigt aber, dass die iranische Achse durchaus auch Erfolge verbuchen konnte. Sah es nach der Ermordung des anti-syrischen Politikers Rafik Hariri im Februar 2005 und dem daraufhin erzwungenen Rückzug der syrischen Armee kurzfristig so aus, als könne sich der Libanon aus der syrisch-iranischen Umklammerung zumindest ein wenig befreien, so hat sich das Blatt mittlerweile wieder zugunsten der Hizbollah gewendet. Von einer Entwaffnung der Hizbollah, wie sie von der Uno gefordert wurde, kann keine Rede sein.
Für die bedenkliche Entwicklung des Libanon war mitentscheidend, dass die libanesische Regierung in ihrem Versuch, sich gegen die Stellvertreter der iranischen Achse zur Wehr zu setzen, kaum auf Unterstützung des Westens zählen konnte – im Gegenteil. Obwohl es keinerlei Hinweise darauf gibt, mehren sich in Europa und den USA die Stimmen, die in der Hizbollah eine politische Kraft sehen, mit der vielleicht kons­truktiv zusammengearbeitet werden könnte. Obwohl bislang keinerlei positive Signale aus Damaskus zu bemerken waren, halten sowohl die EU als auch die USA an ihrem Versuch fest, die Kontakte zum Regime von Baschar al-Assad zu verbessern, um es von seinem iranischen Verbündeten zu isolieren. Obwohl das Nato-Mitglied Türkei unter der Führung Erdogans keinen Zweifel an seiner neuen Feindschaft gegen Israel lässt und den Iran inzwischen als Verbündeten betrachtet, hat es mit keinen Konsequenzen durch den Westen zu rechnen. Obwohl der Iran seine eigene Bevölkerung terrorisiert und an seinem Atomprogramm unvermindert festhält, kann er sich sicher sein, vom Westen jederzeit als Gesprächspartner willkommen geheißen zu werden. Und obwohl Diplomaten aus dem saudisch-ägyptischen Block off the record immer wieder das iranische Atomprogramm als die größte Gefahr der Region bezeichnen und entschlossenes Vorgehen fordern, treffen sie immer wieder auf (insbesondere europäische) westliche Kollegen, die ständig nur über einen israelisch-palästinensischen Friedensprozess sprechen wollen.

Noch widerstehen die Mitglieder dieses Blocks dem Druck, der ständig von der iranischen Achse auf sie ausgeübt wird. Der trotz fallender Öl­preise und steigender Belastungen der Staatshaushalte extrem hohe Level an Rüstungsausgaben in den Golfstaaten – die USA und Saudi-Arabien etwa schlossen erst kürzlich einen Waffendeal im Wert von 60 Milliarden Dollar ab – ist ein Beleg dafür, dass sie nicht bereit sind, sich kampflos der iranischen Hegemonie zu unterwerfen. Doch sie nehmen aufmerksam zur Kenntnis, wie sich der Westen gegenüber der iranischen Achse verhält. Und angesichts dieses Verhaltens werden sie sich ernsthaft fragen, ob sie sich auf Verbündete verlassen können, die noch nicht einmal begriffen zu haben scheinen, in welchem Konflikt sie sich eigentlich befinden.