Die iranische Außenpolitik in der Offensive

Offensiv destruktiv

Die iranische Außenpolitik im Nahen und Mittleren Osten folgt kaum einem planmäßigen Konzept. Doch durch den Rückzug der USA öffnen sich neue Räume für die Hegemonialbestrebungen in der Region.

Früher war das einfacher mit der Weltpolitik. Da gab es zwei Supermächte mit ihren Machtblöcken. Doch seit dem Ende des Kalten Kriegs ist das alles immer unübersichtlicher geworden – außer man folgt der globalen Analyse des iranischen Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad, wie er sie anlässlich der letzten UN-Vollversammlung zum Besten gegeben hat. Nur zwei Mächte hätten heutzutage entscheidenden Einfluss in der Welt, nämlich der Iran und die USA.
Auch wenn man längst daran gewöhnt ist, solche Äußerungen als die übliche wahnhafte spezifische Eigenheit eines Repräsentanten der Islamischen Republik Iran zu verbuchen – etwas scheint sich in jüngster Zeit tatsächlich geändert zu haben. Während sich die USA unter Präsident Barack Obama von einer aktiven Rolle auf nahöstlichen Krisenschauplätzen weitgehend zu verabschieden scheinen, zeigt der Iran hier geradezu hektisches Engagement. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat diese außenpolitische Offensive des Regimes in Teheran Anfang November in einem Interview umrissen: »Schauen Sie doch auf das, was die heutzutage machen. Mit einem Brückenkopf im Jemen sitzen sie auf der arabischen Halbinsel. Sie sind in Eritrea. Sie sind im Sudan, in Afrika. Sie sind ganz offensichtlich im Libanon und in Gaza, wir sehen sie. Sie sind in Südamerika. Und das ist das, was sie noch ohne Nuklearwaffen unternehmen.«
Der iranische Präsident dürfte sich in seiner weltpolitischen Rolle hier zwar etwas apokalyptisch überzeichnet, aber insgesamt richtig ernst genommen fühlen. Wobei Netanjahu zwei Krisenschauplätze nicht einmal erwähnte, auf denen die Aktivitäten des Iran in den vergangenen Wochen für Schlagzeilen gesorgt haben: Afghanistan und Irak. Ist die Islamische Republik Iran machtpolitisch auf dem Weg nach ganz oben? Das sah doch vor kurzem noch ganz anders aus.

Ein Blick auf den Libanon-Besuch Ahmadinejads im Oktober erklärt schon einiges: Orchestrierte Menschenmassen, die devot auf eine Ansprache warten, von roten Plastikblumen bekränzte Herzen mit dem Bild Ahmadinejads werden hochgehalten, es folgen seine üblichen Hasstiraden gegen Zionisten, alles klatscht – und keiner hat ein Bild von der ermordeten Neda Agha Soltan mit dabei oder brüllt etwas Unpassendes von Wahlbetrug oder Arbeitslosigkeit dazwischen. Es muss eine Wonne für den iranischen Präsidenten gewesen sein. Als Vertreter eines Regimes, für das Masseninszenierungen nicht nur Beiwerk, sondern immer wichtiger Ausdruck seiner »revolutionären« Legitimation waren, musste er also in den Libanon zur Hizbollah fahren, die für das viele Geld, mit dem sie aus dem Iran finanziert wird, die Art von Politshow bieten konnte, die in der eigenen Hauptstadt Teheran kaum mehr zu inszenieren gewagt wird. Das ist die innenpolitische Seite des derzeitigen besonders lauten außenpolitischen Betriebes der Islamischen Republik.
Seit der Wahl im Juni 2009 steht im Iran scheinbar die Zeit still. Keine der Verwerfungen im Establishment hat sich bisher auch nur im Ansatz durch einen Kompromiss als überbrückbar erwiesen. Die Sanktionen drücken, der endgültige Beginn des lange angekündigten drastischen Subventionsabbaus wird gerade von Woche zu Woche verschoben, während die Preise drastisch steigen. Derweil belauern sich die diversen Fraktionen der zerstrittenen iranischen Elite gegenseitig, von der unterdrückten Wut der Bevölkerung ganz zu schweigen. Verhaftungen, Repression, Vorwürfe, Warnungen, Gegenvorwürfe – die Islamische Republik ist nach innen bewegungsunfähig. Eine der beiden Grundlagen der »islamischen Revolution« von 1979, die mobilisierte »revolutionäre« Gesellschaft, ist mit den Wahlen im Juni 2009 endgültig zusammengebrochen. Die andere Grundlage von 1979, die Expansion der »Revolution«, also das universale Credo des khomeinischen Islamismus, hat Ahmadinejad verweltlicht, er spricht in abgehackten Formeln vom Imperialismus und der »Arroganz der Mächte«. Doch auch der islamistische Expansionsanspruch ist in der Krise. Die Energie der »islamischen Revolution« hat sich längst verbraucht, ihr Pathos klingt hohl und schäbig. Übrig geblieben sind staatliche Machtressourcen und Geld – und ein Netz von Waffenschmuggelrouten, Geldkofferempfängern, militärischen Trainingslagern und als übergreifender ideologischer Kitt der Kampf gegen den »Zionismus«.

Dabei dringen die iranischen Vorstöße, sei es in Afghanistan, im Irak oder im Libanon, nun plötzlich in ein Vakuum ein, das die Amerikaner spätestens seit dem Beginn von Obamas Präsidentschaft sukzessive hinterlassen. Der spektakuläre Besuch Ahmadinejads in Beirut wäre nicht in der Form möglich gewesen, wenn der Westen nicht den demokratischen Aufbruch und seine Repräsentanten fallen gelassen hätte. Der Libanon ist Syrien, dem einzigen wirklichen Verbündeten Irans, mehr oder minder überlassen worden. Die Hizbollah konnte nach dem kurzen Krieg mit Israel 2006 vom Iran problemlos wieder aufgerüstet werden, obwohl die Uno eigens eine Interims­truppe, die Unifil, stationierte, die genau dies verhindern soll. Die Hizbollah ist wieder zur dominanten innerlibanesischen Machtpartei geworden. Ahmadinejad hat also bei seinem Libanon-Besuch tatsächlich einen Erfolg gefeiert.
Gleichzeitig werden hier aber auch die Grenzen des iranischen Engagements deutlich. Die Hizbollah mag auf dem Höhepunkt ihrer Macht sein – und nun? Es droht das UN-Tribunal wegen des Hariri-Mordes, das im Januar seine Ergebnisse bekannt geben soll. Führende Vertreter der Hizbollah sind jetzt angeblich verdächtig. Was postwendend zu der Drohung ihres Generalsekretärs Hassan Nasrallah geführt hat, im Falle einer offiziellen Anklage zum Bürgerkrieg überzugehen. Bei aller Abhängigkeit von der Regierung in Teheran hat die Hizbollah eine eigene innerlibanesische Agenda, und die Verstrickung in einen erneuten Bürgerkrieg im Libanon, in dem die iranischen Raketen nicht gen Haifa fliegen, sondern intern verwendet und somit »verbraucht« werden, wäre ein Desaster für den Iran.
Ein israelischer Sicherheitsexperte zog nach Ahmadinejads Libanon-Besuch das Fazit, der Iraner habe dem ganzen Mittleren Osten signalisiert, dass der Libanon nun ein »iranisches Protektorat« sei. Ist er das wirklich? Und was – einmal abgesehen vom Beginn eines finalen Armageddons gegen Zion – könnte der Iran in einem sich wieder destabilisierenden Libanon überhaupt gewinnen? Vermutlich wenig, abgesehen von einem weiteren Beweis seiner enormen Fähigkeiten, Probleme zu stiften – die er dann aber auch endlos finanziell unterhalten muss.
Ähnlich sieht die Lage in Gaza aus, wo die Hamas zwar seit Jahr und Tag Israel bedrängt, sich die sunnitischen Glaubensbrüder bei Besuchen in Teheran aber mitunter weigern, mit ihren schiitischen Finanziers gemeinsam auf einem Teppich zu essen. Auch die Hamas besitzt eine eigene Agenda. Wobei überdies die ideologischen Profite des teuren antizionistischen Engagements der Iraner in Gaza in diesem Jahr die Türkei mit der Mavi-Marmara-Affäre eingefahren hat. Die Türkei ist ein weiterer regionaler Machtanspruchssteller, der sich jedoch im Gegensatz zur Islamischen Republik auf internationalen Foren gewählt ausdrücken kann, der vom Westen hofiert wird und von dem man in Teheran wegen seiner wohlwollenden Interventionen in die Atomverhandlungen neuerdings auch noch abhängig wird.

Auch weiter im Osten, in Afghanistan, investiert der Iran großzügig. In wirtschaftlicher Hinsicht durch Straßenbau, in ideologischer durch Universitätsgründungen und mit Schulbüchern und persönlich mit Geldkoffern, die einem Chefberater von Präsident Hamid Karzai ausgehändigt wurden. Auch militärisch hilft der Iran vermutlich, allerdings nicht der Regierung, sondern im Gegenteil den Taliban, wenn auch nur auf einem niedrigen technologischen Level. Hier zeigt sich das grundsätzliche Problem der außenpolitischen Programmatik der Islamischen Republik, ihre inhärente Destruktivität. Man kann Probleme verursachen, man kann auch sehr erfolgreich Problemlagen verschärfen und sie hegen, aber solange man selbst ein Teil des Problems ist, kann man es natürlich nicht lösen oder das Problem, die politische Instabilität, wenigstens auf niedrigem Niveau langfristig kontrollieren. Aber genau das wäre doch die prinzipielle Aufgabe einer regionalen Führungsmacht, die der Iran so gerne sein möchte.
Wohl nicht ganz zufällig beschloss der Iran nach der amerikanischen Ankündigung, sich aus dem Irak zurückzuziehen, plötzlich, die politische Agonie in Bagdad zu seinen Gunsten aufzulösen. Der vormalige und künftige schiitische Premierminister Nuri al-Maliki und der in den Iran geflüchtete Anführer der »Mahdi-Armee«, Muqtada al-Sadr, wurden im Oktober von Teheran dazu genötigt, sich zusammenzuschließen. Daraufhin folgten betreten-hektische amerikanische Bemühungen, den eigentlichen sunnitischen Wahlgewinner, Iyad Allawi, in eine künftige Koalitionsregierung miteinzubeziehen – letztlich wohl erfolgreich, derzeit findet die Regierungsbildung statt.
Den Konsolidierungsprozess im Irak haben die Iraner jahrelang erfolgreich hintertrieben, eine eigene tragfähige Lösung nur unter Schiiten bringen sie dagegen nicht zustande. Die »Wiki-Leaks«-Veröffentlichungen zum Irak haben deutlich gemacht, dass auch hier das Regime in Teheran mindestens ein doppeltes Spiel betrieben hat, denn die Stabilität der Regierung al-Maliki hat es mit Waffenlieferungen und massenhafter Ausbildung von Aufständischen durch die berüchtigte al-Quds-Brigade der iranischen Revolutionswächter jahrelang erfolgreich bekämpft. Da das vorrangige Ziel der iranischen Außenpolitik in Afghanistan wie im Irak der Abzug der westlichen Truppen ist, scheint es allerdings auch irgendwie folgerichtig, die jeweiligen Insurgenten zu unterstützen. Aber was wäre für den Iran mit einem endgültig destabilisierten Afghanistan oder Irak gewonnen? Im Grunde nichts.
Nach innen wie nach außen gerichtete Aggression ist das Wesensmerkmal der Islamischen Republik. Ohne eine Welt von Feinden ringsum hätte sie nicht 30 Jahre überlebt. Besonders tragisch erscheint, dass nun, da ihr internes Überleben eine bloße Frage der Zeit ist, der Rückzug der USA im Mittleren Osten ein weites Spielfeld der Destruktion für das iranische Regime eröffnet. Es gibt noch viel kaputt zu machen, bevor in Teheran die al-Quds-Brigade die Uniformen ausziehen muss.