Streit um die »Extremismusklausel« beim Sächsischen Demokratiepreis

Staatlich verordnetes Misstrauen

Vor der Verleihung des Sächsischen Demokratiepreises mussten die Nominierten eine »Extremismusklausel« unterzeichnen. Der Hauptpreisträger verzichtete deshalb auf die Auszeichnung.

In der vorderen Stuhlreihe, die für die Gewinner des Sächsischen Demokratiepreises reserviert war, blieben überraschend einige Plätze frei. Stattdessen standen die Mitarbeiter der Initiative, die dieses Jahr ausgezeichnet werden sollte, vor der Dresdener Frauenkirche. In der Hand hielten die Preisträger des Alternativen Kultur- und Bildungszentrums (Akubiz) aus Pirna ein Schild mit der Aufschrift: »Annahme verweigert. Extremismusklausel. c/o Demokratiepreis.« Der Verein lehnte den mit 10 000 Euro dotierten Hauptpreis ab, weil die Nominierten dazu aufgefordert wurden, eine »Extremismusklausel« zu unterzeichnen.
Das Akubiz engagiert sich seit 2001 in der Sächsischen Schweiz gegen Rassismus und Antisemitismus. Der Verein wurde deswegen wiederholt zum Ziel von Angriffen organisierter Neonazis, erst im Frühjahr wurde auf das Auto des ehemaligen Vorsitzenden ein Brandanschlag verübt. Initiativen, die sich gegen Rassismus und Neonazismus engagieren, werden von konservativen Politikern zunehmend unter den Generalverdacht gestellt, die Verfassung abschaffen zu wollen.

Nachdem die Jury des Sächsischen Demokratiepreises, die sich aus unterschiedlichen Stiftungen zusammensetzt, im Oktober die Nominierten bekanntgegeben hatte, wurde das Sächsische Innenministerium aktiv. Ein Mitarbeiter des Ministeriums forderte das Akubiz telefonisch dazu auf, den Link zu einer Antifa-Gruppe von der Homepage des Vereins zu nehmen. Die Initiative Zivilcourage aus Hoyerswerda wurde wegen ihrer Zusammenarbeit mit Vertretern der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) als nicht tragbar eingestuft. Die Vertreter der Freudenberg-Stiftung und der Antonio-Amadeu-Stiftung, die zu den Initiatoren des Preises gehören, diskutierten in der Folge darüber, den Demokratiepreis fallenzulassen. Daraufhin legte Staatssekretär Michael Wilhelm eine »Extremismusklausel« vor, die von allen nominierten Initiativen unterschrieben werden sollte. In der Klausel heißt es, dass die nominierten Initiativen »auf eigene Verantwortung dafür Sorge zu tragen« haben, dass keiner der Partner den »Anschein erwecken« darf, »extremistischen Strukturen durch die Gewährung materieller oder immaterieller Leistungen Vorschub« zu leisten. Die Jury reichte das Papier an alle nominierten Initiativen weiter, die daraufhin ihre Unterschriften leisteten.
Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung und Mitglied der Preisjury, sagt: »Es ist eine Frechheit, wie man uns hier missbraucht und uns dieses Ding untergejubelt hat.« Im Nachhinein müsse man sich natürlich selbst vorwerfen, dass die Erleichterung darüber, dass die Preisverleihung nach der Unterzeichnung der Klausel stattfinden könne, gegenüber den Be­denken überwogen habe, meint Kahane.

Die Preisverleihung fand am Abend des 9. November statt. Eine Viertelstunde vor Beginn des Festaktes konnten die Organisatoren ihre Unruhe nicht mehr verbergen. Die Begrüßung durch Sebastian Feydt, den Pfarrer der Frauenkirche, verlief noch nach Plan. Wenige Minuten später wies Thomas Reiche, MDR-Fernsehchef und Moderator des Abends, darauf hin, dass der Demokratie-Förderpreis nicht vergeben werden könne, weil der Preisträger gerade bekannt gegeben habe, ihn nicht anzunehmen. Der Festakt wurde dann ­allein mit der Verleihung des Sonderpreises des Ministerpräsidenten fortgesetzt.
Der sächsische Ministerpräsident und Schirmherr des Preises, Stanislaw Tillich (CDU), war am Abend der Preisverleihung kurzfristig verhindert. Auf Anfrage der Jungle World konnte die Säch­sische Staatskanzlei keine Auskunft darüber geben, welche Termine er stattdessen zu absolvieren hatte. Als Vertretung nahm der Regierungssprecher Johann-Adolf Cohausz am Festakt teil. In seinem Grußwort sprach er darüber, dass Demokratie die Einhaltung von Regeln und Prin­zipien bedeute und einen durchsetzungsfähigen Staat brauche. Der Jury warf er vor, sie habe der Staatsregierung »ein gewisses Maß an Toleranz abverlangt«. Bisher habe diese ein informelles Verfahren zur Nominierung der Preisträger verwendet. »Eine Geschäftsordnung, die den Entscheidungsfindungsprozess strukturiert, stünde einer Jury, die Vorbilder demokratischen Handelns auszeichnen will, schon gut zu Gesicht.«
Die Grußworte von Cohausz blieben nicht unbeantwortet. Gesine Schwan, die der Moderator als »überzeugte Antikommunistin« vorstellte und die für die Laudatio vorgesehen war, übte Kritik an der Landesregierung. In ihrer Rede sagte Schwan, dass sie in den siebziger Jahren dem sogenannten Radikalenerlass zwar zugestimmt habe, aus heutiger Sicht sei das jedoch ein Fehler gewesen. Mit dem Zwang, eine Extremismusklausel zu unterschreiben, werde »von der Säch­sischen Landesregierung eine Kultur des Misstrauens etabliert, die im Gegensatz zu den Prinzipien der Demokratie steht«. Die Staatsekretäre und andere Vertreter der Landesregierung senkten die Köpfe, als das Publikum nach Schwans Rede minutenlang applaudierte. Im Gespräch nach der Veranstaltung zeigte sich Nora Jantzen von der Stiftung Frauenkirche nachdenklich: »Wie die konkrete Zukunft des Sächsischen Förderpreises für Demokratie aussehen wird, kann zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht gesagt werden.«

Nach der missglückten Preisverleihung haben in Sachsen bittere Auseinandersetzungen begonnen. Nachdem sich zahlreiche Vereine, Gruppen und Wissenschaftler mit dem Akubiz solidarisiert hatten, kündigte das Innenministerium an, die Extremismusklausel künftig zur Bedingung für Fördermittelanträge aus dem Programm »Welt­offenes Sachsen« zu machen. Grit Hanneforth, Geschäftsführerin des Kulturbüros Sachsen, sagte, dass Anwälte bereits mit der Prüfung des Dokuments beschäftigt seien. Der Streit in Sachsen könne ihrer Ansicht nach als eine Generalprobe für ähnliche Vorhaben von Bundesfami­lienministerin Kristina Schröder (CDU) auf Bundesebene gewertet werden. Diese Pläne werden auch von zahlreichen Professoren der Republik kritisiert, die einen Aufruf gegen den Zwang zu ­einem Bekenntnis zur Demokratie unterzeichnet haben. In dem Dokument heißt es: »Staatlich verordnetes Misstrauen gegenüber den Bürger/innen ist mit einer demokratischen politischen Kultur nicht vereinbar, sondern ein Merkmal autoritärer Regime.«