Die Studentenproteste in Großbritannien gehen weiter

Der Preis der Bildung

Der Widerstand gegen die Sparvorhaben der britischen Regierung wächst. Am Protest gegen die geplante Verdreifachung der Studiengebühren beteiligen sich nun auch Hochschullehrer und Schüler. Die Liberaldemokraten wollen die Neuregelung so schnell wie möglich durch das Unterhaus bringen.

»Unzureichend« und »peinlich«, so bezeichnete der Londoner Polizeipräsident Sir Paul Stephenson den Polizeieinsatz vor der Parteizentrale der Konservativen in London, die am 10. November im Zuge einer Demonstration mit rund 200 Teilnehmern besetzt und verwüstet worden war. Nun erscheint die Polizei sehr eifrig. Sie hat die Opera­tion »Malone« begonnen, deren Ziel es ist, möglichst viele der sogenannten Randalierer von der Millbank zu identifizieren und vor Gericht zu bringen. Vergangene Woche wurden die ersten polizeilichen Aufnahmen von mutmaßlichen Tätern veröffentlicht. Neun Demonstranten wurden bereits in den Tagen nach der Demonstration aufgrund von Video- und Fotoaufnahmen verhaftet. Zuvor hatten auch schon konservative Medien Bilder von Demonstranten abgedruckt, die angeblich an der Besetzung beteiligt gewesen sind.

Die Polizei hat unterdessen die Repressalien auch auf das Umfeld der studentischen Protestierenden ausgeweitet. In der vergangenen Woche schloss die Polizei den Blog »Fitwatch«, nachdem dort ein anonymer Autor Hinweise darüber gepostet hatte, wie sich an der Besetzung beteiligte Studenten der nachträglichen Verhaftung durch die Polizei entziehen könnten. Auch wenn man sich selber auf einem Foto erkenne, sei es noch lange nicht klar, dass auch ein Richter das könne, war dort unter anderem zu lesen. Weiterhin wurde empfohlen, bei der Demonstration getragene Kleidung zu vernichten und möglicherweise die Frisur zu ändern. Die Polizei sah in diesem Text eine Behinderung der Ermittlungen und erwirkte das vorübergehende Verbot der Website. Eine der Betreiberinnen des Blogs, Emily Apple, bezeichnete das Verbot als politischen Einschüchterungsversuch. Der Blog, der im Zuge der Pro­teste gegen den Klima-Gipfel 2009 entstanden war, um Demonstranten gegen Repression zu unterstützen, werde schon lange von der Polizei beobachtet. »Nun gab es einen passenden Vorwand«, sagte Apple.

Die studentische Protestbewegung hat sich allerdings bisher nicht von den Repressalien einschüchtern lassen. Den Aufrufen zur Solidarität mit den Millbank-Demonstranten haben sich inzwischen landesweit studentische Kampagnen angeschlossen. Die Studierenden planen für diese Woche Besetzungen und Proteste an zahlreichen Hochschulen im Land. In London soll unter anderem das Hauptquartier der Liberaldemokraten besucht werden, gab das Education Activist Network (EAN) bekannt. Auch das Wahlkampfbüro des liberaldemokratischen Vorsitzenden Nick Clegg und sogar sein Wohnhaus in Sheffield sind als Ziele vorgeschlagen worden.
Das EAN ist nur eine der vielen Protestgruppen, die derweil überall im Land entstehen. Auf der Webseite der National Campaign Against Fees and Cuts (NCAFC) werden beinahe 30 nationale und lokale Webseiten gelistet, mit deren Hilfe sich die Studenten vernetzen. »Dieser Protest ist groß­artig, weil er von der Mehrheit der Studierenden getragen wird«, sagte Michael Chessum, einer der Gründer von NCAFC. »Man hat das Gefühl, dass es in unserer Macht steht, durch friedliche direkte Aktion Dinge zu ändern.«
Neben den neuen Kampagnen, die sich oft über Blogs und soziale Netzwerke organisieren, operiert auch die National Union of Students (NUS), die die Demonstration am 10. November organisiert hat. Derzeit übt die NUS mit Hilfe der lokalen Studierendenvertretungen direkten politischen Druck auf einzelne Abgeordnete der Liberaldemokraten aus, um sie zu bewegen, gegen die Pläne der Regierung zu stimmen.
An den Aktionen sind inzwischen auch immer mehr Schüler beteiligt. Diese werden im Gegensatz zu den Studierenden von den neuen Gebühren direkt betroffen sein. Denn während die Studenten nach der alten Gebührenordnung weiter studieren werden, werden Schüler ab 2012 die neuen Gebühren zahlen müssen.
Die Gewerkschaft der Hochschullehrer (UCU) hatte gemeinsam mit der NUS zur Demonstration aufgerufen und unterstützt die Studierenden auch bei den neuen Aktionen. Zudem steht die UCU derzeit auch in Verhandlungen über einen neuen Tarifvertrag. Obwohl diese Verhandlungen nicht unmittelbar mit den Plänen der Regierung zusammenhängen, ist es möglich, dass sich im Zuge der gegenwärtigen Proteste die Fronten verhärten und es zu Urabstimmungen über einen Streik unter den Hochschullehrern kommen wird.

Gleichzeitig spaltet der Konflikt auch die Hochschulleitungen. Einige Hochschulrektoren haben mitgeteilt, dass sie die Pläne der Regierung ablehnen. Der Dachverband der britischen Hochschulen, Universities UK, hat erklärt, dass die erhöhten Studiengebühren notwendig seien, um die geplanten radikalen Kürzungen in den Staatszuschüssen auszugleichen. Insbesondere die britischen Eliteuniversitäten drängen derweil auf noch höhere Gebühren. Diese würden gebraucht, um im internationalen Hochschulwettbewerb bestehen zu können.
Charles Kennedy, der Rektor der Universität von Glasgow, prominenter Abgeordneter und ehemaliger Vorsitzender der Liberaldemokraten, hat unterdessen seine Ablehnung der Vorschläger der Regierung bekundet. Der dem linken Flügel der Partei zugehörige Kennedy schrieb in ­einer E-Mail an seine Studenten: »Sowohl 2001 als auch 2005 habe ich im Wahlkampf gegen Studiengebühren und für eine Hochschulfinanzierung durch die Einkommensteuer argumentiert. Dies habe ich auch 2010 versprochen, also werde ich gegen die Vorschläge der Koalition stimmen.«
Neben Kennedy hat auch der Liberaldemokrat Tim Farron seine Ablehnung angekündigt. Dass der Schotte in der Folge eine Kampfabstimmung um ein Amt im Parteipräsidium gewann, weist darauf hin, dass viele an der Basis der Liberaldemokraten die Entscheidungen der Parteiführung über die Hochschulpolitik kritisch betrachten.
Der studentischen Protestbewegung wollen die Liberaldemokraten nun durch schnelles Handeln zuvorkommen. Signifikant ist unter anderem eine E-Mail, die der führende Liberaldemokrat David Laws an die Parlamentarier und, wohl aus Versehen, auch an die britische Tageszeitung Guardian schickte. Darin kündigt er an, den Parlamentspräsidenten Sir George Young dazu zu drängen, die Abstimmung noch vor Weihnachten durchzuziehen. Er ergänzte: »Wir müssen dies wirklich so schnell wie möglich aus dem Weg räumen. Je früher das vorbei ist, um so besser!«