Die Zeichnungen von Else Lasker-Schüler im Jüdischen Museum in Frankfurt

Der Traum­prinz aus dem Orient

Eine Ausstellung im Jüdischen Museum in Frankfurt zeigt die Zeichnungen Else Lasker-Schülers.

Nachts versammeln sich alle meine Vorfahren in meinem Zelt, Kalifen und Derwische und Paschas in hohen Turbanen.« Als Else Lasker-Schüler 1911 diesen Satz niederschrieb, begann sie gerade die für ihr Werk zentrale Kunstfigur des Jussuf Prinz von Theben bildlich zu konkretisieren. Dass die Dichterin, nach dem Urteil Gottfried Benns »die größte Lyrikerin, die Deutschland je hatte«, auch eine großartige Zeichnerin war, daran erinnert derzeit eine Ausstellung im Jüdischen Museum in Frankfurt. Anschließend werden die Exponate im Hamburger Bahnhof in Berlin zu sehen sein. In der Ausstellung sind viele der fragilen, auf Formularen, Notizzetteln oder zwischen Briefzeilen eingefangenen Abbilder Prinz Jussufs und seines Hofstaates zu sehen. Der Katalog zur Ausstellung enthält zugleich das erste Werkverzeichnis des bildnerischen Schaffens von Lasker-Schüler. Ihr meist mit Tusche, Bleistift und Buntstift gezeichneter, ebenso phantastischer wie bunter Orient wird in dieser Dichte und Fülle dem Betrachter zum ersten Mal umfassend erschlossen.
Else Lasker-Schüler entwarf rund um ihren Prinzen Jussuf eine Kunstwelt, in der Poesie und Exotik, Privates und Literarisches untrennbar zusammenflossen. Das fing mit ihrem eigenen Auftreten an, denn die Dichterin aus gutem jüdischen Elternhaus war eine auffallende Erscheinung. Selbst unter den Künstlern und ­Literaten, die im Berlin vor dem Ersten Weltkrieg die Moderne und Avantgarde repräsentierten, fiel sie auf. Benn, damals kurzzeitig Liebhaber der 17 Jahre älteren Dichterin, schilderte sie als eine Person mit kurz geschnittenen »pechschwarzen« Haaren, wallenden Phantasiegewändern, Arme und Hände behängt mit rasselnden und klirrenden Ketten und Ringen. »Man konnte weder damals noch später mit ihr über die Straße gehen, ohne dass alle Welt stillstand und ihr nachsah.«
Was in der Rezeption der kurz vor Kriegsende vereinsamt in Jerusalem gestorbenen Dichterin später oft als weltflüchtiges Abirren in eine leicht kitschige Phantasiewelt abgetan wurde, erweist sich als souveränes Spiel mit Geschlechtsrollen und exotischen Staffagen, mit Mythen und ethnischen oder religiösen Zuschreibungen. Ihr erstes Alter ego, Tino, die Prinzessin von Bagdad, die nach der Jahrhundertwende auftauchte, war da noch eher, fast möchte man sagen: konven­tionell. Aber Lasker-Schülers Prinz Jussuf ist so männlich wie weiblich, er ist der Joseph der Bibel, der Liebhaber Pharaos, Jude mit arabischen Namen, Herrscher und Beherrschter. Lasker-Schülers Orientphantasien, manchmal auch gemischt mit Ausschweifungen ins »Indianerland« oder zu den Zulus, kommt man mit kruden Orientalismusanalysen à la Edward Said einfach nicht bei. Denn das Spiel, das die Künstlerin in ihrem Kunstkosmos betreibt, sprengt einfache Zuordnungen. Lasker-Schüler »orientalisiert« das Judentum in ihren Bildern, reklamiert Kaftane und Palmen als ganz selbstverständliche Dekoration für ihre Welt. Zu den Bewohnern Thebens gehörte schließlich auch »Der Bund der wilden Juden«, so ein Bildtitel von 1920.
Nach ihrem ersten Besuch in Palästina und in Ägypten entstehen Bilder, in denen ihre Eindrücke des »realen« Orients einfließen. Gegen ihre Phantasie kann sich die Realität allerdings nicht durchsetzen. Politisch nimmt sie mit ihren Bildern insofern Stellung, als in ihren Skizzen aus Jerusalemer Altstadtgassen die orien­talischen bzw. arabischen Trachten immer noch so malerisch aussehen wie 20 Jahre zuvor. Die forcierte Modernität des praktischen Zionismus an Ort und Stelle passte ebenso wenig nach Theben in Prinz Jussufs Reich wie umgekehrt.
Im Umkreis der von ihrem zweiten Mann, dem Kunsthändler und Schriftsteller Herwarth Walden, herausgegebenen Wochenschrift Der Sturm sammelten sich vor dem Ersten Weltkrieg die frühen Expressionisten, mit denen Lasker-Schüler in engem Austausch stand. Ihre Arbeiten wurden von Malern der Brücke und des Blauen Reiters geschätzt. Viele bedeutende Künstler, Kritiker und Schriftsteller fanden dann auch Eingang in die phantastischen Bildwelten der Künstlerin. Gottfried Benn wird als Giselher der Nibelunge porträtiert. Karl Kraus wird zum Großcophta und Theodor Däubler zu Mordercheï. George Grosz, der ein Faible für indianische Kulturen hatte, wird als Lederstrumpf gezeichnet.
Um 1913 freundet sich Lasker-Schüler mit Franz Marc an, eine Freundschaft, der sie auch wichtige Impulse für ihre Zeichnungen verdankt. Von Franz Marc, das macht Ricarda Dick im Katalog deutlich, nimmt sie die Idee, die Sterne, Kronen und anderen Insignien ihres Reiches von Theben ohne Scheu in die Gesichter und Körper ihrer Traumfiguren einzuschreiben. Eine andere These, die im Katalog aufgestellt wird, scheint ebenso spannend wie spekulativ: Es spricht viel dafür, dass die meist im Profil gezeichnete Figur des Prinzen von Theben auf Else Lasker-Schülers Begeisterung für die Kunst der alten Ägypter zurückgeht, womöglich sogar speziell auf einen Kopf Echnatons, der mit anderen Preziosen der Armamakunst kurz vor dem Ersten Weltkrieg mit gewaltigem Widerhall im Berliner Neuen Museum gezeigt wurde.

Else Lasker-Schüler. Die Bilder. Jüdisches Museum Frankfurt. Bis 9. Januar 2011