Norman Finkelstein tritt in Berlin auf

Ein neues Asyl für Finkelstein

Am »internationalen Solidaritätstag mit dem palästinensischen Volk« soll Norman Finkelstein einen Vortrag in Berlin halten. Antifaschistische Gruppen wollen gegen den Auftritt und die zu erwartenden geschichtsrevisionistischen und antizionistischen Ausführungen protestieren.

Besondere Anlässe erfordern besondere Gäste. Zum »internationalen Solidaritätstag mit dem palästinensischen Volk« am Samstag dieser Woche hat die »Palästinensische Ärzte- und Apo­thekervereinigung« (PÄAV) einen Ehrengast eingeladen: Norman Finkelstein. Im Maritim-Hotel, wo die PÄAV den Tag mit einer Veranstaltung begeht, soll der »US-amerikanische Politikwissenschaftler und Autor«, wie er in der Ankündigung genannt wird, einen Vortrag halten.
Finkelsteins angekündigter Beitrag trägt einen harmlosen Titel: »Israel und Palästina in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft«. Dabei ist der Autor des Buchs »Die Holocaust-Industrie« eigentlich eher für markige Aussagen bekannt. Seine zentrale These lautet: Israel und dem jüdischen Staat nahestehende Organisationen nutzen den Holocaust propagandistisch, um politisch und finanziell zu profitieren. Die »Holocaust-Industrie« wurde Finkelstein zufolge nach Israels Sieg im Sechs-Tage-Krieg 1967 aufgebaut, um Israels Bündnis mit den USA zu stärken.

Finkelsteins Angriff auf das Auschwitz-Gedenken wird von seinen rechten und linken Sympathisanten gern mit der Meinungs-, Rede- oder gar Wissenschaftsfreiheit verteidigt. Sie wissen, was sie an Finkelstein haben: Seine Ausführungen dienen der Delegitimation Israels. Die Beschreibung Israels als skrupellos den Holocaust instrumentalisierender Staat kommt der Propaganda der NPD und der iranischen Mullahs gelegen, die die Judenvernichtung leugnen oder ihr die his­torische Einzigartigkeit absprechen, passt aber auch gut ins antiimperialistische Weltbild vieler Linker.
Auch in seinem Buch »Eine Nation auf dem Prüfstand. Goldhagens These und die historische Wahrheit« formuliert der Politikwissenschaftler ähnliche Gedanken: Er schreibt von »Holocaust-Ideologen«, die mit »Holocaust-Literatur« die wahren »Ergebnisse der Holocaust-Wissenschaft« ignorierten. Daniel Goldhagens Buch »Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust« bezeichnet Finkelstein sogar als »Holoporn«, der den Juden zum einen vollkommene Schuldlosigkeit attestiere und zum anderen die Lizenz zum Töten von Palästinensern. Die Deutschen waren nach Finkelsteins Ansicht hingegen gar nicht so antisemitisch. Es hätte nur »episodische Gewaltausbrüche gegen Juden« und hierbei keine wirklich »bösartigen antisemitischen Ausbrüche« gegeben. Die Mehrheit der Deutschen hätte nach 1933 den antisemitischen Terror verurteilt, schreibt der Politologe. Finkelsteins Aussage im libanesischen Fernsehsender Future TV im Januar 2008 verwundert da nicht weiter: »Wer will Krieg? Wer will Zerstörung? Nicht einmal Hitler wollte den Krieg.«
Seine geschichtsrevisionistischen Ansichten trieben Finkelstein auch schon in jüngeren Jahren auf die Straße. So demonstrierte er 1982 mit ­einem Transparent mit der Aufschrift »Israeli Nazis – Stop the Holocaust in Lebanon!« vor dem israelischen Konsulat in New York. Die Hizbollah steht für ihn in der Tradition des antifaschistischen Widerstands, wie er ebenfalls 2008 im Gespräch mit Future TV darlegte. Es überrascht angesichts von Finkelsteins Veröffentlichungen und Äußerungen nicht, dass der iranische Prä­sident Mahmoud Ahmadinejad den US-Amerikaner 2006 zur Holocaust-Konferenz nach Teheran einlud. Doch Finkelstein kam nicht; im ursprünglichen Tagungsprogramm der Konferenz-Orga­nisatoren war er noch angekündigt.

Finkelstein soll nicht zum ersten Mal einen Vortrag in Deutschland halten. Im Februar hatte ihn unter anderem die Berliner Landesarbeitsgemeinschaft »Frieden und internationale Politik« der Linkspartei eingeladen. Nachdem jedoch der Bundesarbeitskreis Shalom der Linksjugend ­gegen die Veranstaltung protestiert und die Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) ihre finanzielle und logistische Unterstützung zurückgezogen hatte, sagte Finkelstein seinen Besuch ab, obwohl ihm die Ladengalerie der Jungen Welt »politisches Asyl« anbot.
Finkelsteins Absage sorgte für Entrüstung. So forderte Sahra Wagenknecht, mittlerweile stellvertretende Parteivorsitzende der »Linken«, die RLS auf, eine »plurale Debatte« nicht zu verhindern und diese »unabhängig von der Bewertung der inhaltlichen Positionen Norman Finkelsteins« zu führen. Die Aussagen des Politologen muss man jedoch als das bewerten, was sie sind: als generelle Angriffe auf das Holocaust-Gedenken und auf Israel. Deshalb hat ein Bündnis antifaschistischer Gruppen und der Landesarbeitskreise Shalom der Linksjugend aus Berlin und Brandenburg auch dieses Mal Protest gegen Finkelstein angekündigt. Eine Kundgebung vor dem Maritim-Hotel soll sich »gegen Antizionismus und Geschichtsrevisionismus« und »Finkelsteins Propaganda« richten.