Home Story

Mitarbeiter von Zeitungsredaktionen sind bekanntlich außergewöhnlichen Belastungen ausgesetzt. Schwer lastet der berüchtigte Aktualitätsdruck auf ihren Schultern, und täglich sind sie mit dem Elend der ganzen Welt konfrontiert. Damit sie nicht unter ihren schweren Aufgaben zusammenbrechen, müssen sie besondere Rücksicht auf ihr geistiges und leibliches Wohlbefinden nehmen. So kommt es, dass es wohl keine Redaktion auf der ganzen Welt gibt, die auf eine Kaffeemaschine verzichten kann, manche in der Jungle World behaupten sogar, eine Redaktion ohne Kaffee sei wie ein Auto ohne Sprit. Aber trotz anderslautender Gerüchte, die in der Redaktion kursieren, wird der Kalorienbedarf eines auf Hochtouren laufenden Redaktionsgehirns nicht allein durch Kaffee gestillt. So kam es, dass in der vergangenen Woche die Küche in der Jungle World einer weiteren Nutzung zugeführt wurde. Die bahnbrechende Idee, sie regelmäßig in eine Kantine umzufunktionieren, erblickte das Licht der Welt.
Und sie wurde sofort in die Tat umgesetzt. Eröffnet wurde der kulinarische Reigen in der Jungle World mit einer großartigen Wurzelsuppe. Das klingt vielleicht, als hätte sich Sarrazin sadistischerweise ein Rezept für die Armenspeisung in Bangladesh ausgedacht. Weit gefehlt. Jeder weiß doch: Womit sich gestern die Armen mangels Alternativen den Bauch füllten, das gilt heute als besonders wohlschmeckend und gesund. Der Körnerstampf der Leibeigenen, die zu arm waren, um sich Brot leisten zu können, wird heutzutage in unzähligen Varianten als sogenanntes Müsli verkauft, die italienische Küchenresteverwertung findet sich als »Pizza« an jeder Fastfood-Ecke, das norddeutsche Armeleute-Grundnahrungsmittel, der Hering, gilt in seiner ungenießbarsten Verarbeitungsform, als Labskaus, mittlerweile gar als Spezialität.
Ähnlich verhält es sich mit unserer Wurzelsuppe. Jedoch mit einem wichtigen Unterschied zu früheren Zeiten. Es wurden ausschließlich hochwertige, vitaminreiche, biodynamisch völlig unbedenkliche Wurzeln für ihre Zubereitung verwendet: glücklich in der Region aufgewachsene Steckrüben – Enthusiasten erinnerte ihr Geschmack in unserer Suppe an exotische Süßkartoffeln – und Karotten. Das uralte, wenig ausgefeilte Grundrezept wurde für unsere Gourmetgaumen extrem verfeinert: mit echten Gemüsebrühwürfeln, wie sie in barbarischeren Epochen vollständig unbekannt waren. Und damit der redaktionsinterne Widerspruch zwischen Vegetariern und Aasfressern sich nicht zum Antagonismus auswächst, gab es sie sogar in zwei Varianten: einmal mit, einmal ohne Würstchen.
Ein Anfang ist gemacht. Wir halten Sie auf dem Laufenden, welche weiteren kulinarischen Raffinessen die Jungle-Köche kreieren.