Repression gegen Nichtmuslime in Algerien

Satanische Vesper

In den vergangenen Jahren wuchs in Algerien der Druck auf Nichtmuslime, die sich während des Ramadan nicht an das Fastengebot halten. Dagegen regt sich in der Gesellschaft Widerstand.

Die kleinen Sünden bestraft der liebe Gott sofort. Und sollte er es nicht tun oder keinen Erfolg dabei haben, dann hilft ihm auch gerne die Staatsanwaltschaft dabei. So sieht man es jedenfalls in der algerischen Justiz, wenn es darum geht, den bösen Sündern nachzustellen, die sich im muslimischen Fastenmonat Ramadan nicht an das Fastengebot halten. In den vergangenen Jahren wuchs der Druck auf die Bürger des nordafrikanischen Landes, die während des Ramadan als »Fastenbrecher« auffallen.
Anders als in den Jahren nach 1989, als Islamisten die Restaurants aufsuchten, um die Einhaltung des Gebots durch moralischen oder auch physischen Zwang zu erreichen, beschäftigt sich heute die staatliche Justiz mit den Sündern. Während der islamistische Basisaktivismus in Algerien stark abgenommen hat, haben mancherorts Polizei und Justiz die Aufgabe übernommen, Ungläubige oder »schlechte Muslime« aufzuspüren.
Am 10. August, in den ersten Tagen des diesjährigen Ramadan, veröffentlichte eine Gruppe von Intellektuellen namens SOS Libertés, wohl in Erwartung bevorstehender Auseinandersetzungen, einen Aufruf in der größten algerischen Tageszeitung, al-Watan. Darin wird die Respektierung der Glaubens- und Gewissensfreiheit gefordert, die formal von der algerischen Verfassung garantiert und in internationalen Abkommen zugesichert wird. Die Verfasser argumentierten, Restaurants und Cafés sollten aufgrund dieses Grundrechts auch während des Ramadan tagsüber offen bleiben, um »für die Bedürfnisse derjenigen zu sorgen, die einer anderen Religion als dem Islam anhängen oder gar keine Religion praktizieren«.

Die Polizei teilte diese Meinung nicht. Am 12. August griff sie auf einer Baustelle in der Kabylei zu, einer überwiegend von Berbern bewohnten Region im Nordosten Algeriens. Zwei Bauarbeiter, Salem Fellak und Hocein Hocini, verbrachten dort ihre Pause und tranken dabei Wasser, bei einer Außentemperatur von 40 Grad. Beide wurden festgenommen. Mindestens einer von ihnen ist christlichen Glaubens, wahrscheinlich aber sind es alle beide. In den vergangenen Jahren haben sich immer mehr Berber zum Christentum bekehrt, aus unterschiedlichen Gründen. Dazu zählt beispielsweise der Wunsch der berbersprachigen Minderheit, sich von der arabisch-muslimischen »Leitkultur«, die ihnen vom Staatsapparat und dem Schulwesen aufgedrängt wird, zu distanzieren. Auch wenn ihre Sprache neben den Arabischen seit 2002 von der Verfassung als Amtssprache anerkannt wird, fühlen sich die Berber nach wie vor diskriminiert. Vor allem nordamerikanische evangelikale Kirchen missionieren eifrig in der Region. Aber der Anteil der Christen an der algerischen Bevölkerung ist sehr klein, von insgesamt etwa 30 000 Christen in Algerien ist die Rede.
Der Fall der beiden Bauarbeiter sorgte nicht nur in Algerien für Aufsehen. In den französischsprachigen Ländern, vor allem in der Schweiz und in Frankreich, kam es zu Solidaritätserklärungen und Demonstrationen. Eine Petition, die von der schweizerischen NGO Acor – SOS Racisme initiiert wurde, fand Unterstützung bei der Genfer KP und den Grünen. In Frankreich demons­trierten unter anderem Mitglieder der linksradikalen Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) und Berbervereinigungen. Am 2. Oktober fand ein Sit-in vor der algerischen Botschaft in Paris statt.
Unterdessen kam es in dem Dorf Ouzellaguen in der Nähe der berbischen Regionalmetropole Bejaia Ende August zu weiteren Verhaftungen. Dieses Mal traf es zwölf Personen. Unter ihnen fand sich ein Restaurantbesitzer, der im zweiten Stock eines Gebäudes im Industriegebiet Fleischspieße briet, so dass der Geruch angeblich bis auf die Straße strömte – und wohl auch einem Gläubigen das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ. Unter den Verhafteten waren aber auch junge Leute, die sich einfach in Neubauten des Industriegebiets geflüchtet hatten, um zu trinken und zu rauchen.

Sowohl gegen die Bauarbeiter als auch gegen die Verhafteten von Ouzellaguen kam es zu Prozessen. In beiden Fällen erschienen Hunderte Bürger zu den Verhandlungsterminen vor Gericht, um sich mit den Angeklagten zu solidarisieren.
Die zwölf jungen Menschen aus Ouzalleguen wurden in der nahen Bezirkshauptstadt Akbou angeklagt. Die für den 6. September angesetzte Verhandlung wurde wegen der zahlreichen Bürger, die ihre Solidarität zeigten, zunächst um zwei Monate verschoben. Am 5. Oktober fand der Prozess gegen die beiden Bauarbeiter von Aïn al-Hammam statt. Sowohl diese Verhandlung als auch der Prozess in Akbou, bei dem am Ende acht Angeklagte übrig geblieben waren – die anderen Verfahren waren aus Mangel an Beweisen eingestellt worden –, endeten mit Freisprüchen, obwohl die Staatsanwaltschaft mehrjährige Haftstrafen ohne Bewährung verlangt hatte. Sie stützte sich auf den Artikel 144 des algerischen Strafgesetzbuchs, der die »Verunglimpfung des Islam« unter Strafe stellt. Die Richter hingegen stellten jeweils fest, die Nichteinhaltung religiöser Gebote sei reine Privatsache.
Verurteilt wurde dagegen der 27jährige Bouchout Farès. Er war Mitte Oktober in der Provinzstadt Oum al-Bouaghi, rund 500 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Algier, vor Gericht gestellt worden. Auf Denunziationen hin hatte die Polizei eine Razzia an einem Ort veranstaltet, an dem sich zahlreiche junge »Fastenbrecher« aufhalten sollten. Farès war der einzige, den sie festnehmen konnte, weil er nicht schnell genug wegrannte. Ihm wurden zwei Jahre Haft ohne Bewährung und umgerechnet 1 000 Euro Geldstrafe auferlegt – das Fünffache eines durchschnittlichen Monatslohns in Algerien.

Das Urteil beunruhigte nicht wenige in Algerien. Auch Angehörige des politischen Establishments äußerten Bedenken. Die bürgerlich-nationalistische Tageszeitung al-Watan machte geltend, diese Prozesse verliehen Algerien ebenso wie seiner Mehrheitsreligion »ein Image der Intoleranz«. Ein Rechtsanwalt aus dem ostalgerischen Annaba sagte der Jungle World unter Berufung auf Quellen im Justizministerium, in naher Zukunft werde auch Farès in einem Berufungsverfahren planmäßig freigesprochen werden.
Ob dies so kommt, bleibt abzuwarten. Bereits im Herbst 2008 hatte es nach dem Ramadan eine erste Welle von Strafverfolgungen gegeben. Sechs junge Leute waren in der Wüstenstadt Biskra zu jeweils vier Jahren Haft verurteilt worden, erhielten im Berufungsverfahren jedoch Freisprüche. Dagegen bestätigte das Berufungsgericht von Algier eine Haftstrafe wegen Rauchens während des Ramadan, reduzierte das Strafmaß jedoch auf zwei Monate, die auf Bewährung ausgesetzt blieben. Der radikale politische Islam in Algerien hat zwar den Kampf um die Staatsmacht vor gut zehn Jahren verloren. Keine andere politische Massenbewegung hat es jedoch seitdem geschafft, das ideologische Vakuum zu füllen, das der aktivistische Islamismus hinterlassen hat. Angehörige des Staatsapparats versuchen nun ihrerseits, den einstigen Elan dieser früheren größten Massenbewegung im Lande zu ihrem eigenen Vorteil zu nutzen. Im Namen der Globalisierung und der Modernisierung ihres Landes opponieren jedoch andere politische Kräfte innerhalb der herrschenden Oligarchie dagegen. Dieser Bruch erklärt die sich widersprechenden Entscheidungen der Justiz.