Marlies Sommer vom Bündnis »...ums ganze« im Gespräch über den Kongress »So wie es ist, bleibt es nicht!« in Bochum

»Wir werben für ein linksradikales Projekt«

Am Wochenende findet in der Ruhr-Universität Bochum der Kongress »So, wie es ist, bleibt es nicht!« zu Arbeit und Krise statt. Veranstaltet wird er von dem linken bundesweiten Bündnis » … ums Ganze«, in dem Gruppen wie TOP Berlin, Autonome Antifa F und die Gruppe Gegenstrom aus Göttingen organisiert sind. Marlies Sommer von TOP Berlin ist Sprecherin des Bündnisses. Das Kongress-Programm findet sich im Internet unter: kongress.umsganze.de
Von

Was soll bei eurem Kongress über Arbeit und Krise denn herauskommen?
Lange Zeit schien es so, als sei der Kapitalismus zumindest in seinen Zentren recht immun gegen Krisen. Dies hat auch zu einer Stagnation der linken Debatten über Krisentheorien geführt. Die wurden in den siebziger Jahren praktisch ergebnislos abgebrochen. Da möchten wir, aus gegebenem Anlass, wieder anknüpfen und fragen, welche Antworten wir als radikale Linke auf diese Krise geben müssen.
Gibt es denn so etwas wie eine Ausgangsthese?
Jede Krise bedeutet eine Rekonfiguration der gesellschaftlichen Verhältnisse, in der man als Linke und Linker versucht, das Blatt zu seinen Gunsten zu wenden. Viele sind zu Beginn der Krise ja sehr euphorisch gewesen, andere hatten gar keine Hoffnungen und befürchteten eher, das läuft auf einen barbarischen Rückschlag hinaus. Die Krise dauert ja noch an und es erweist sich, dass das System so, wie es ist, nicht funktionieren kann. Und da wollen wir für ein linksradikales Projekt werben.
Ein Projekt? Meinst du damit einen Workshop oder die Revolution?
Wir glauben, dass man über Kommunismus reden sollte, das ist nach wie vor der Begriff, der für eine emanzipierte Gesellschaft steht.
Hm, ich assoziiere mit dem Begriff historisch erst mal ganz andere Dinge …
Richtig, man muss sich auch mit der Erfahrung des Realsozialismus auseinandersetzen …
Das » … ums Ganze«-Bündnis bezeichnet sich sogar als »kommunistisches Bündnis«. Soll das eine bewusste Abgrenzung gegenüber Anarchisten und undogmatischen Linken sein?
Die Debatte ist in den letzten 20 Jahren ja deutlich entspannter geworden, die Abgrenzungsbedürfnisse sind weniger stark als früher. Es ist aber auch klar geworden, dass wir nicht sagen können, der Realsozialismus ist die Geschichte der bösen ML-Parteien und wir haben damit nichts zu tun, wir haben uns nicht die Hände schmutzig gemacht und wir beziehen uns nur auf die positiven Elemente wie den Rätekommunismus der Spanien-Kämpfer. Nein, die Russische Revolution ist in Terror umgeschlagen, aber wir können die nicht einfach aus unserer Geschichte streichen, wir wollen uns aus dieser Geschichte nicht heimlich davonstehlen. Insofern ist das auch eine Form von Aufarbeitung und von Geschichtsbewusstsein, den Begriff Kommunismus wieder offensiv aufzunehmen. Aber wir nehmen ihn als vorbelasteten Begriff auf, das ist klar.
Im Kongressprogramm heißt es: »Wir beginnen Freitag Nachmittag mit Workshops zur Kritik der politischen Ökonomie.« Wen um alles in der Welt wollt ihr denn damit hinter dem Ofen vorlocken? Wen wollt ihr ansprechen?
Ich würde schon sagen, dass es eine radikale Linke in Deutschland gibt, die wollen wir ansprechen. Wir haben zu dem Kongress nicht nur die üblichen Verdächtigen im Programm, sondern haben versucht, strömungsübergreifend Referenten einzuladen, von Sozialdemokraten bis zu radikalen Gruppen, und haben auch Leute aus dem Ausland herangekarrt, z.B. aus Athen die linksradikale Gruppe TPTG und aus London Costas Lapavitsas. Der Kongress besteht aus zwei Teilen. Im ersten geht es vor allem um die Krise; allgemein zu Krisentheorien, aber auch konkret zur aktuellen Finanzkrise. Da haben wir zwar in der Vergangenheit ideologiekritisch immer die Trennung von »schaffendem« und »raffendem« Kapital angegriffen, aber so richtig gut ausgekannt in Sachen Finanzmärkte haben wir uns nie. Diese Defizite wollen wir jetzt ausräumen. Und auch die Krise der Euro-Zone wollen wir genauer analysieren. Die EU war zu lange Zeit ein eher stiefmütterlich behandeltes Thema in der radikalen Linken, das sich in der – inhaltlich richtigen – Kritik der Festung Europa und der antiamerikanischen Formierung erschöpfte.
Habt ihr zur EU und zum Euro denn neue Positionen?
Das soll Gegenstand der Debatte sein. Die Krise des Euro hat eine Stärkung der deutschen Position in der EU zur Folge gehabt, und es ist offensichtlich, dass sich Deutschland als Exportweltmeister auf Kosten seiner Nachbarn schadlos hält. Wie lange das gutgehen wird, muss man sehen. Aber für uns als Linksradikale ist klar, dass aus der Kritik an der EU keinesfalls eine nationalistische Rückbesinnung resultieren darf. Im zweiten Teil des Kongresses geht es um praktische Fragen: Welche Rolle spielt die Veränderung der Arbeit bei der Organisation von Widerstand, was sind die Forderungen, an die man anknüpfen kann?
Ihr kommt ja eigentlich alle aus der Antifa, im vorigen Jahr habt ihr als Bündnis noch gegen Nationalismus protestiert, wieso geht es jetzt nur noch um Antikapitalismus?
Während des vorigen Jahres lief unsere Kampagne gegen Nationalismus und die Wendefeierlichkeiten. Der Kongress jetzt ist eine notwendige Ergänzung unserer Politik. Wenn wir etwa den deutschen Standortnationalismus und die nationalistischen Reaktionen auf die Krise kritisiert haben, dann muss man analysieren, was die ökonomischen Ursachen sind und welche Folgen die veränderten ökonomische Bedingungen für den Widerstand haben. Antinationalismus ist weiterhin die Grundlage unserer Politik.
Aber Antifaschismus ist gar nicht mehr euer Thema? Diese Tradition habt ihr komplett abgeschüttelt?
Es sind ja auch Gruppen im »…ums Ganze«-Bündnis, die gar nicht aus der Antifa-Bewegung kommen. Andere schon, und manche sehen das auch noch als wesentlichen Bestandteil ihrer Politik an. Aber die bundesweite Organisierung lief, anders als früher bei der AA/BO, von Anfang an nicht über das Thema Antifaschismus. Antifa-Arbeit läuft heutzutage eher regional.
Wenn man sich die postantifaschistische Szene heute so anschaut, sieht man vor allem zwei bundesweite Projekte: einerseits das » … ums Ganze«-Bündnis und andererseits die Interventionistische Linke (IL). Letztgenannte ist immer überall dabei, wo protestiert wird, scheint erheblich erfolgreicher zu sein, und euer Bündnis macht nur einen Kongress.
Im vorigen Jahr haben wir ja auch Proteste gegen die Wendefeierlichkeiten organisiert und wir beteiligen uns auch an Projekten der IL. Wir sehen uns nicht als Konkurrenzprojekt. Wenn es inhaltlich passt, dann machen wir auch gerne etwas mit denen zusammen, und sonst machen wir eben unsere eigenen Sachen. Die Gruppen aus unserem Bündnis haben sich an den Krisen-Protesten beteiligt und selbst Aktionen veranstaltet. Wir haben uns an den Protesten »Wir zahlen nicht für eure Krise« beteiligt und fahren auch nächstes Jahr wieder nach Dresden.
Wie viele Leute erwartet ihr zu dem Kongress?
Zurzeit gehen wir von rund 400 Leuten aus. Wer nicht nach Bochum fahren möchte, kann sich die Mitschnitte später im Internet als MP3 anhören.