Sieg der »Ausschaffungsinitiative« in der Schweiz

Ausgeschafft

Die direkte Demokratie in der Schweiz hat wieder gewonnen. In einem Volksentscheid stimmte die Mehrheit der Bürger für die wohl strengste Abschieberegelung in Europa. Über das Demokratieverständnis der Schweizer Populisten.

Mit rund 53 Prozent der Wählerstimmen wurde am Sonntag die sogenannte Ausschaffungsinitiative der Schweizerischen Volkspartei (SVP) angenommen. Damit sei »ein erster Schritt auf dem Weg zu mehr Sicherheit getan«, lässt sich die SVP vernehmen. Regierung und Parlament stehen nun vor der Aufgabe, ein Ausführungsgesetz auszuarbeiten. Die Initiative sieht vor, dass Ausländer, unabhängig von Strafmaß und Aufenthaltsstatus, aus der Schweiz ausgewiesen werden, wenn sie wegen eines Gewalt-, Sexual-, oder Einbruchsdeliktes, wegen Menschen- oder Drogenhandels oder wegen missbräuchlichen Bezugs von Sozialleistungen verurteilt werden. Ein in der Schweiz geborener 20jähriger mit ausländischem Hintergrund könnte beispielsweise automatisch ausgewiesen werden, wenn er ein paar Gramm Hasch an einen Kollegen verkauft oder einen Zwischenverdienst nicht ordnungsgemäß bei der Arbeitslosenkasse anmeldet.
Am Sonntagabend gab es in mehren Städten Demonstrationen gegen die SVP. In Zürich und Bern kam es dabei zu Ausschreitungen. In Zürich demonstrierten mehrere hundert Menschen »gegen das Konstrukt von Nation und Rasse«. In der Innenstadt gingen in der Nacht mehrere Schaufensterscheiben zu Bruch, darunter auch bei der Neuen Zürcher Zeitung. Die Polizei ging mit Tränengas und Gummischrot gegen die Demonstranten vor. In Bern wurde die Fassade eines SVP-Büros zerstört. Ein »Kommando Nie wieder SVP« bekannte sich auf indymedia.ch zu der Aktion.

Die Unterstützer der Initiative loben dagegen die Härte der neuen Verfassungsartikel und scheinen damit den allgemeinen »Volksgeist« ganz gut widerzuspiegeln. Dadurch konnte sich die SVP im Alleingang mit einer Volksinitiative an der Urne durchsetzen. Die übrigen großen Parteien hatten für eine Ablehnung der Vorlage geworben. Sie unterstützten zum großen Teil den »Gegenvorschlag«, der ebenfalls die Ausweisung verurteilter Ausländer regelt, aber auf das Strafmaß Bezug nimmt und internationales Recht berücksichtigt. Während des Wahlkampfs wiesen Gegner des SVP-Vorschlags meist auf staatsrechtliche Fragen hin: Die Initiative verletze das Völkerrecht, insbesondere das Non-Refoulment-Prinzip, oder sei nicht mit dem Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU kompatibel.
Nur die Sozialdemokraten von der SP, die im nationalen Parlament den Gegenvorschlag unterstützt hatten, konnten sich schließlich zu einem »Nein« durchringen. Sie betonten aber, dass man mit der derzeit geltenden Regelung bereits konsequent gegen kriminelle Ausländer vorgehen könne. Trotzdem setzte sich die Partei einer breiten Kritik aus den eigenen Reihen aus. So scherten einige lokale Ableger der SP aus und es bildete sich aus SP-Kreisen ein namhaftes Komitee, das den Gegenvorschlag unterstützte.

Der Sieg der SVP kommt nicht unerwartet. In den vergangenen Jahren hat sich immer wieder gezeigt, dass sich das mobilisierte Ressentiment an den Urnen durchzusetzen vermag. Die Dauer­mobilisierung ist die Geschäftsgrundlage der SVP. Dem verunsicherten Einzelnen wird ein kollek­tives Feindbild geboten: der Asylbewerber, der »Scheininvalide«, der »Sozialschmarotzer«, der Ausländer. Kurz: die Marginalisierten der Gesellschaft. Aber auch der »blutleere Intellektuelle« und der »volksentfremdete Politiker« kommen im Katalog der Feindbilder der SVP vor. Also auch jene, die es sich über den Köpfen der einfachen Bürger in den Chefsesseln bequem gemacht haben. Die SVP ist das materialisierte Ressentiment. Durch die permanente Mobilisierung gegen »die da unten« sowie gegen »die da oben« stiftet die SVP eine exklusive Gemeinschaft der »ehrlich arbeitenden« Schweizer und Schweizerinnen. Der Welt der Politiker und Mächtigen stellt sie ein »natürliches Volk« entgegen, als dessen legitimer Vertreter sie sich begreift. Der genuine Ausdruck dieses Volkes wäre ein allen überflüssigen Ballastes entledigter Gesamtorganisator, der Störungen im gesellschaftlichen Verkehr durch ausgeweitete Repression regelt. War der Sozialstaat die materielle Voraussetzung, um in den goldenen Jahren des Kapitalismus die Klassengesellschaft sozialpartnerschaftlich zu stabilisieren, so bemüht sich die SVP, ihn auf seinen repres­siven Kern zu reduzieren und Desintegrationserscheinungen auszuschaffen oder einzuschließen.
Die Reduktion des Staates auf seine repressive Funktion erweist sich bei näherer Betrachtung als die Ausdehnung des Staates in die Köpfe der Stimmbürger. Wenn diese an der Urne über »unproduktive« Asylbewerber abstimmen, wenn Volksinitiativen Menschen mit Behinderung in den Produktionsprozess zwingen wollen, wenn »Sozialschmarotzer« ausgemacht und ihnen die Leistungen gekürzt werden, so zeigt sich darin, dass der Einzelne an der ökonomischen Auf­gabe des Staates fleißig Anteil nimmt.
Durch den Katalysator des rechten Ressentiments wird ein Anliegen gefördert, das auch von linken Idealisten geteilt wird, nämlich die Teilnahme des Einzelnen am politischen Prozess. Man muss der SVP dabei ein gewisses Maß an Realitätssinn attestieren: Der einzelne Wähler, der nicht nur die Anforderungen des nationalen Standortes verinnerlicht hat, sondern auch sonst ganz so tickt, wie es der SVP genehm ist, dürfte tatsächlich weit häufiger vorkommen als das idealisierte »autonome Individuum« linker Basisdemokraten.

Heute entscheiden die »Atome« der Gesellschaft an der Urne über die repressiven Maßnahmen, die die SVP für richtig befindet. Es erscheint daher konsequent, dass die Partei die »direkte Demokratie stärken« will. Nicht-plebiszitäre Instanzen und Regelungen sind regelmäßigen Angriffen der SVP ausgesetzt, insbesondere juristische Institutionen, die rechtsstaatliche Normen durchsetzen. Über Einbürgerungen sollen die Wähler entscheiden. Die Regierung müsse »direkt vom Volk« gewählt werden. In regelmäßigen Abständen initiiert die Partei Volksinitiativen, um die Verfassung zu ändern. Das System der direkten Demokratie dürfe dem Bürger keine Hindernisse bei der Revision des Verfassungsrechts setzen, meint die SVP. Was in einer repräsentativen Demokratie die Funktion hat, menschen- und bürgerrechtliche Standards bis zu ihrer Dysfunktionalität für die kapitalistische Akkumulation aufrechtzuerhalten, ist in der Schweiz fast beliebig veränderbar. Zwar streiten regelmäßig Rechts­gelehrte über die Konflikte zwischen direkter Demokratie und Menschen- und Völkerrecht, doch letztlich duldet das Prinzip der Mehrheit in der Schweizer Demokratie keine anderen Instanzen neben sich. So bleibt die Kritik von Staatsrechtlern und Ethikprofessoren meist hilflos, weil sie sich immer auf Werte beruft, deren materielle Grundlage der Kapitalismus in seiner prosperierenden Phase war. Mit ihren ideologischen Kampagnen will die SVP genau diese humanistischen Werte bekämpfen.
Diese Entwicklung ist nichts Neues. Die Degradierung des Menschen zum Träger der Ware Arbeitskraft war der kapitalistischen Gesellschaft von Anbeginn eingeschrieben. Die Menschenrechte sind Ausdruck dieser Gesellschaftsformation, doch wenn selbst diese Standards angegriffen werden, zeigt sich das destruktive Potential, das in der kapitalistischen Gesellschaft angelegt ist.