Über den Krieg gegen die Drogenkartelle

Legalize it!

Wenn sich Polizisten und Militärs in den Favelas von Rio de Janeiro mit bewaffneten Banden Schlachten liefern, geht es um ­eines ganz sicher nicht: um die Eindämmung des Drogenhandels.

In der nordmexikanischen Grenzstadt Ciudad Juarez ist es nicht anders als in Brasilien. Wenn mexikanische Soldaten dort gegen die Killertruppen der Drogenkartelle in den Krieg ziehen, spielt der Kampf gegen Kokain, Heroin oder Marihuana keine Rolle. Es geht um die Show. Auch Brasiliens Präsident Lula da Silva will vor allem eines: beweisen, dass man die Armutszonen im Griff hat und reif ist für das internationale Sportspektakel. Sein mexikanischer Kollege Felipe Calderón musste Stärke zeigen, nachdem er nur durch eine wahrscheinlich mit Wahlbetrug erlangte Mehrheit ins Präsidentenamt gehievt worden war. Der fragwürdige Erfolg von Calderóns Offensive ist bekannt: Über 30 000 Menschen starben seit seinem Amtsantritt vor vier Jahren im »Drogenkrieg«, die Gewalt eskaliert weiter, einige Regionen sind vollkommen außer Kontrolle geraten. Nicht viel anders sieht es in Guatemala aus.
Die militärischen Mobilmachungen in Lateinamerika haben zu einem Krieg geführt, der nicht zu gewinnen ist, weil es ein Krieg gegen soziale Verhältnisse ist. Sie simulieren eine Dualität, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat. Demnach kämpfen demokratisch legitimierte Sicherheitskräfte gegen soziale Outsider, die in geheimnisvollen Unterwelten ihr übles Geschäft betreiben. Tatsächlich sind es aber die Militärpolizisten und Politiker selbst, die den Drogenhandel in den Favelas von Rio kontrollieren. Und auch in Mexiko sitzen die Vertreter der Capos an höchster Stelle in den Regierungen, der Justiz, der Armee und der Polizei. Von »Korruption« zu reden, greift zu kurz. Die Kartelle sind Teil des Staatsapparats, sie entscheiden mit, wer wann gegen wen vorgeht.
Nicht anders sieht es auf wirtschaftlicher Ebene aus. Die Gewinne der Mafia stecken in Baufirmen, Agrarbetrieben oder Bergbauunternehmen, fast vier Fünftel der ökonomischen Sektoren Mexikos arbeiten mit diesem Geld. Von den 100 Milliarden US-Dollar, die in den USA jährlich mit Kokain umgesetzt werden, beleben etwa 90 Prozent das US-Finanzsystem. Ähnliche Wege gehen die Erlöse des Kokains, das über Brasilien nach Europa geschmuggelt wird. Kartelle sind moderne Unternehmen: Sie agieren weltweit, lagern zentrale Bereiche – Produktion, Transport, Schutz – an Subunternehmen aus und bieten Kleinbauern sowie verarmten Jugendlichen Arbeit und Auskommen. In einigen Regionen Lateinamerikas sorgen sie für Straßen, Kindergärten oder soziale Sicherheit.
Die Kartelle agieren also nicht jenseits der Gesellschaft. Sie sind vielmehr der radikalste Sektor des liberalisierten Marktes und haben den Vorteil, sich nicht um rechtsstaatliche Garantien, Menschenrechte oder gewerkschaftliche Errungenschaften scheren zu müssen. Ohne die legal agierende Wirtschaft können sie nicht existieren – und umgekehrt. Der Mafia-Experte Edgardo Buscaglia zieht daraus einen wenig hoffnungsvollen Schluss: Erst wenn die Unternehmer zum Beispiel einem Anschlag, einer Entführung oder Erpressung zum Opfer fallen, kümmere sich die wirtschaftliche Elite darum, »das Monster, das sie ja selbst geschaffen hat, in den Griff zu bekommen, damit es sie nicht auffrisst«.
Sollte man also auf den Selbsterhaltungstrieb des Kapitals setzen? Kritische Geister empfehlen als Alternative die Entkriminalisierung des Drogenkonsums. Würden Heroin, Koks oder Marihuana als legale Waren angeboten, würden die Preise immens sinken und die Blase des Drogengeschäfts platzen. Die blutigen Kämpfe um Schmuggelrouten und Absatzmärkte hätten ein Ende. Auch in Mexiko und Brasilien machen sich Experten für eine solche Lösung stark, stoßen aber bei Sicherheitspolitikern und Wirtschaftsvertretern auf taube Ohren. Was nicht verwundert. Denn wer von ihnen sollte derzeit ein Interesse daran haben, dass das kriminalisierte Gewerbe beendet wird?