Das Ende von Schwarz-Grün in Hamburg

Die können leiden

Die schwarz-grüne Koalition in Hamburg ist gescheitert. Das lag vor allem an der CDU.

Der Bruch kam überraschend. Ende November fassten die Bürgerschaftsfraktion und der Landesvorstand der Grün-Alternativen Liste (GAL) in Hamburg einstimmig den Beschluss, das erste schwarz-grüne Regierungsbündnis auf Länder-ebene zu beenden. Die »innere Stabilität« der Koalition sei nicht mehr da, begründete der GAL-Fraktionsvorsitzende Jens Kerstan die Entscheidung. Katharina Fegebank, die GAL-Vorsitzende, sekundierte: »Der gemeinsame Geist und die große Verlässlichkeit, die diese Koalition bis zum Sommer getragen haben, sind verflogen.« Mit solch banalen Statements endet jene Koalition, die noch vor zweieinhalb Jahren als historisches Ereignis gefeiert wurde. Nun werden die Hamburger wohl am 20. Februar das Wahljahr eröffnen.
Keine 100 Tage vor der Aufkündigung der Zusammenarbeit hatte die GAL noch beschlossen, auch unter Christoph Ahlhaus als Erstem Bürgermeister die Koalition fortzusetzen. Das war nur konsequent gewesen: Bis zur Selbstverleugnung hatte die Partei bis dahin alle christdemokratischen Zumutungen stoisch ertragen. Warum dann nicht auch Ole von Beusts stramm rechten Nachfolger? Nicht einmal, dass Ahlhaus, der Mitglied einer schlagenden Verbindungist, mit Ian K. Karan einen Unternehmer zum Wirtschaftssenator ernannte, der sich höchst spendabel gegenüber der rechtspopulistischen Partei Ronald Schills und bei der Unterstützung der Schulreformgegner gezeigt hatte, konnte die Grünen in Hamburg schocken.

Die Gelegenheit scheint günstig: Trotz einer miserablen Regierungsbilanz erreicht die GAL gute Umfragewerte. Die Forschungsgruppe Wahlen hatte in der vergangenen Woche für den schwarz-grünen Senat die schlechteste Beurteilung einer Regierung in einem Bundesland gemessen. Aber gleichzeitig kam die GAL bei der Sonntagsfrage auf 21 Prozent – mehr als das Doppelte ihres Wahlergebnisses von 2008. Die CDU hingegen lag bei 22 Prozent, das ist beinahe eine Halbierung des letzten Wahlergebnisses. Die Zeichen stehen auf Rot-Grün. Außerhalb Hamburgs sorgt das nicht bei allen Grünen für Begeisterung.
Das Scheitern des Hamburger Experiments ist ein Rückschlag für Parteistrategen wie Ralf Fücks. Denn nicht nur das bürgerlich-liberale Feuilleton schwärmte von der »Koalition der Opernbesucher« (Taz). Der desolate Zustand der schwarz-gelben Koalition, die Schwäche der SPD bei gleichzeitiger Stabilität der ungeliebten Linkspartei brachten jene Grüne zum Träumen, die seit Jahren das Bündnis mit der Union als Ausdruck »neuer Bürgerlichkeit« propagieren. Der Leiter der parteinahen Heinrich-Böll-Stiftung sieht in Schwarz-Grün einen Versuch, die traditionellen politischen Lager zu überwinden. Das sei bereits in der grünen Programmatik angelegt. »Sie war schon immer eine Kombination aus linken Werthaltungen, liberalen Elementen und aus konservativen Ansätzen wie der Bewahrung der Schöpfung und der Skepsis gegenüber technischem Machbarkeitswahn«, sagte Fücks in der Welt. Damit liegt er nicht ganz falsch, aber trotzdem nicht richtig. Es ist zwar diese ideologische Gemengelage, die derzeit die Grünen bei den Wählern begünstigt. Doch paradoxerweise sind gerade jene »konser­vativen Ansätze« entscheidende Hindernisse bei der Realisierung der von ihm protegierten Koa­litionsvariante.

Das ist das Dilemma der Grünen: Mit ihrem Widerstand gegen das Kohlekraftwerk in Hamburg-Moorburg oder den Tiefbahnhof »Stuttgart 21« können sie zwar in Wahlkämpfen punkten, bekommen jedoch das Problem, mit den Positionen der Union nicht übereinzustimmen. Denn für diese gilt im Zweifel immer noch das Primat der Ökonomie. Die Folge ist, dass die Grünen nach der Wahl vor der Alternative stehen, entweder die Erwartungen ihrer Wähler zu enttäuschen indem sie solche Projekte durchwinken oder sie müssen auf die schwarz-grüne Option verzichten. In Hamburg entschieden sie sich für Ersteres.
»Das Hamburger Beispiel zeigt die Vorteile einer Politik der Differenz«, schwadronierte der Parteienforscher Joachim Raschke nach Abschluss des schwarz-grünen Vertrags im April 2008. Er meinte, »ein gutes Beispiel für ein neues Koalitionsverständnis« ausgemacht zu haben. So stecke »viel Grünes« in der Vereinbarung, »mehr als zu erwarten war«. Das kann man wohl getrost als groben Unfug klassifizieren. Denn das grüne Element beschränkte sich auf Politlyrik ohne weiterreichende Konsequenzen. Einzige Ausnahme war die vereinbarte Schulreform – und die verhinderte die Hamburger Bourgeoisie per Volksentscheid mit tatkräftiger Unterstützung der konservativen CDU-Basis.
So ist Schwarz-Grün in Hamburg denn auch an der Anhängerschaft der Union gescheitert, die dem allzu liberalen von Beust die Gefolgschaft verweigerte. Dabei gab es am Anfang ganz andere Prognosen: Die Grünen müssten fürchten, Wähler an SPD und Linkspartei zu verlieren, wenn sie sich auf das Bündnis mit der Union einließen. Das war ein Trugschluss, die grüne Klientel ist weitaus leidensfähiger als vermutet. Vielleicht liegt das daran, »dass in keiner Parteianhängerschaft die Zahl derjenigen, die sich als ›politisch uninteressiert‹ bezeichnet, so groß ist wie eben bei den Grünen«, wie der Göttinger Politikwissenschaftler Franz Walter konstatiert. Allerdings unterscheidet sich die Länder- in einer entscheidenden Frage von der Bundesebene. Hier gibt es eine Grenze, die die Partei bei Gefahr ihres Absturzes nicht überschreiten darf: die Frage des Ausstiegs aus der Atomkraft. Solange die Union an ihrem Pro-Atom-Kurs festhält, kann auch die geneigteste Grünen-Führung nicht mit ihr in Berlin koalieren. Es geht um die einzige Identitätsfrage, die den Grünen noch geblieben ist. Der Protest gegen den schwarz-gelben Atomdeal hat deshalb nicht nur ihre »Street Credibility« gesteigert, sondern vorerst auch den Traum von Schwarz-Grün auf Bundesebene beendet.
Die Grünen könnten »alles Mögliche sein, aber keine AKW-Partei«, schreibt Stefan Reinecke in der Taz. Sie seien »in der Mitte angekommen, aber auch ein bisschen anders.« Das macht sie nach allen Seiten hin koalitionsfähig. Bei der CDU sieht das anders aus. Ihr fällt es weitaus schwerer, aus den alten reaktionären Schützengräben herauszufinden, als es der Parteispitze lieb ist. Da wird dann sogar das Festhalten an der Atomkraft als vermeintliche »Brückentechnologie« zum ideologischen Kernbestand der Union stilisiert. Auch die CDU-Vorsitzende Angela Merkel grenzt sich inzwischen stärker von der »Dagegen-Partei« ab. Auf dem CDU-Bundesparteitag bezeichnete sie Schwarz-Grün als »Hirngespinst«. Gegenwärtig herrscht Eiszeit zwischen CDU und Grünen.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus hat einer solchen Koalition nun eine Absage erteilt. Mit so jemandem könne man im Ländle nicht regieren. So leicht will es ihm sein grüner Herausforderer Winfried Kretschmann nicht machen – »Stuttgart 21« hin oder her. Über ein Vierteljahrhundert hat er in seiner Partei für diese Option gekämpft. Der »Oberrealo« gibt sich kämpferisch: »Er kann ausschließen, was er will. Ich bleibe gesprächsbereit.« Wenn’s soweit ist, kommt ja vielleicht wieder Heiner Geißler als Schlichter vorbei. Der hat bereits verkündet, er halte ein Bündnis zwischen CDU und Grünen nach der Wahl in Baden-Württemberg für »eine reelle Option«. An den Grünen dürfte es nicht scheitern, trotz Hamburg. An der CDU vielleicht schon.