Zwei Frauenhäuser in Schleswig-Holstein sollen geschlossen werden

Im Notfall wird gespart

In der kommenden Woche stimmt das Land Schleswig-Holstein über seinen Sparhaushalt ab. Auch zwei Frauenhäuser sollen geschlossen werden.

»Schleswig-Holstein ist auf Dauer nicht in der Lage, reichere Bundesländer zu entlasten.« Mit diesen Worten begründete das Ministerium für Justiz, Gleichstellung und Integration in Schleswig-Holstein die geplante Schließung von Frau­enhäusern. Der Vorwurf des Kieler Ministeriums bezieht sich vor allem auf Hamburg. Das autonome Frauenhaus in Wedel, einer Kleinstadt, die am Rand des Hamburger S-Bahnnetzes liegt und zum Landkreis Pinneberg gehört, nimmt viele bedrohte Frauen aus Hamburg auf. Finanziert wird das Frauenhaus vom Land Schleswig-Holstein. Ende 2011 soll nicht nur das Frauenhaus in Wedel geschlossen werden, sondern auch ein von der Arbeiterwohlfahrt (AWO) betriebenes Frauenhaus in Lübeck. Außerdem möchte die schwarz-gelbe Landesregierung kleinere Beratungsstellen für Frauen zusammenlegen.
Der parteilose Gleichstellungsminister Emil Schmalfuß spricht nicht gerne von Sparmaßnahmen, sondern bevorzugt den Begriff der »Umstrukturierung«. Sein Ministerium plant ab 2012 Einsparungen in Höhe von 563 000 Euro bei den Maßnahmen gegen Gewalt gegen Frauen. Sie sind Teil des »Sparpakets«, das Schleswig-Holsteins Regierung im Mai beschlossen hat. Im September folgte Schmalfuß den Empfehlungen ­eines Prüfberichts des Landesrechnungshofes und kündigte die Schließung der beiden Frauenhäuser an. Das zuständige Ministerium recht­fertigt diesen Schritt damit, dass es in Schleswig-Holstein eine gute Versorgung mit Beratungsstellen und Plätzen in Frauenhäusern gebe, die im Bundesdurchschnitt sogar überproportional sei.
»Wir erfahren viel Solidarität«, sagt Astrid Otto vom autonomen Frauenhaus in Wedel. Nachdem die Schließung der beiden Frauenhäuser angekündigt worden war, gab es Protestaktionen und die Opposition stellte den Antrag für eine Rücknahme der Einsparungen. Am 15. Dezember soll in Schleswig-Holstein der Doppelhaushalt für 2011 und 2012 verabschiedet werden, mit ihm soll ein Defizit von 1,25 Milliarden Euro ausgeglichen werden.
Astrid Otto sagt, dass sie und ihre Kolleginnen weiterhin Gespräche führten, um die drohende Schließung zu verhindern. Im autonomen Frauenhaus in Wedel arbeiten fünf Mitarbeiterinnen, die sich zweieinhalb Stellen teilen. Sie betreuen nicht nur die 15 Plätze, die als Notunterkunft im Frauenhaus bereitstehen, sondern leisten auch Präventions- und Öffentlichkeitsarbeit gegen Gewalt gegen Frauen. Seit 1986 existiert das Haus, es ist Teil des autonomen Frauenhausvereins »Frauen helfen Frauen« und immer vollständig belegt.

Die schwarz-gelbe Landesregierung betreibt derzeit Rechenspiele. Dabei werden Versuche unternommen, die Auslastung anhand vorhandener Betten zu berechnen. Für Notunterkünfte, die oft schwer traumatisierte Opfer aufnehmen, funk­tionieren solche Berechnungsschemata nicht. Die Einrichtungen, die Frauen Schutz vor Gewalt bieten, werden in Schleswig-Holstein und in Hamburg über das Finanzausgleichsgesetz bezahlt, das den Bedarf der Kommunen anhand der Zahlen der Einwohner und Einwohnerinnen und der Fläche ermittelt. Dieses Modell sichert den Einrichtungen einen festen Betrag zu, statt wie in anderen Bundesländern pro Kopf zu berechnen. Die Hilfsangebote sollen nun an den Ländergrenzen enden, obwohl es zum Konzept von Frauenhäusern gehört, dass sie bundesweit Schutz bieten. Schließlich fliehen viele Frauen in andere Bundesländer, weil die Täter ihnen nachstellen.
Marret Bohn, sozialpolitische Sprecherin der Grünen im Kieler Landtag, hofft, dass die Regierungsfraktionen bei der Sitzung zur Verabschiedung des Doppelhaushalts am Mittwoch kommender Woche ihre Entscheidung, die beiden Frauenhäuser zu schließen, doch noch zurücknehmen. Ihre Partei gehörte zu den Antragstellern gegen die geplanten Kürzungen. Allerdings fürchtet Bohn, dass die schwarz-gelbe Koalition, die nur über eine Mehrheit von einer Stimme verfügt, eher andere umstrittene Kürzungen, wie die Schließung von Gefängnissen, revidieren wird. Bohn kritisiert die betriebswirtschaftlichen Berechnungen des für die Frauenhäuser zuständigen Justizministeriums, da sich für Kriseneinrichtungen, die sich um Notfälle kümmern, kaum hundertprozentige Auslastungsquoten prognostizieren lassen. Problematisch findet Bohn auch, dass Schleswig-Holsteins Landesregierung sich nicht um eine mögliche länderübergrei­fende Zusammenarbeit mit der Hamburger Regierung bemüht hat, um gemeinsam gegen die Gewalt gegen Frauen vorzugehen. Schließlich existiert bereits ein entsprechendes Papier vom Bundesfamilienministerium mit dem Titel »Ak­tionsplan 2« zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen.

»Einen desaströsen Zustand nimmt sich die Landesregierung zum Vorbild«, sagt Birgit Pfennig, Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft autonomer Frauenhäuser in Schleswig-Holstein. Es gab mehrere Gespräche mit dem Justizminister, bei denen Schmalfuß sich ausschließlich auf die Zahlen eines bedarfsgerechten Angebots stützte. Nach diesen kommt auf 9 871 Einwohner Schleswig-Holsteins ein Frauenhausplatz. Damit liegt das Land über dem Bundesdurchschnitt, dort liegt die Zahl bei 12 291 Einwohnern. Die EU strebt ein Verhältnis von 1 : 7 500 an.
»Ohne Rasenmähermethode« sei hier vorgegangen wurden, zudem »bemisst sich die besondere Gewichtung, die häuslicher und sexueller Gewalt zukommt, nicht allein an der Zahl der Frauenhäuser«, sagt Jan Backmann, der Büroleiter von Schmalenfuß. Er betont, dass es ein Netz von Beratungsstellen und staatlichen Maßnahmen gebe, und verweist auf die Möglichkeit der »polizeilichen Wegweisung«, mit der der Täter der gemeinsamen Wohnung verwiesen werden kann. Besonders gefährdete Frauen aus anderen Bundesländern sollen zwar weiterhin in Schleswig-Holstein Schutz finden, jedoch nicht mehr auf einem Niveau wie in Wedel, wo die Plätze zu 75 Prozent mit Frauen aus Hamburg und anderen Bundesländern belegt waren.

Birgit Pfennig befürchtet die Einführung einer Quote für bedrohte Frauen von »außerhalb«: »Statt am Telefon zu erfragen, was ihr passiert ist, muss ich dann zuerst fragen: Wo kommst du her?«
Einig sind sich alle darüber, dass die Zahl der Frauen und Kinder, die von Gewalt betroffen sind, nicht gesunken ist. Die Antwort aber, wohin die 300 Frauen und Kinder gehen sollen, die ab 2012 keine Zuflucht mehr in Wedel oder Lübeck finden, bleibt Schmalfuß schuldig.