Über »Pinkwashing« und »Homonationalismus«

Ist jihadistisch das neue schwul?

Ihr Buch »Terrorist Assemblages« hat die Queer Theory maßgeblich beeinflusst: Jasbir Puar, US-amerikanische Professorin für ­Gender Studies, vertritt darin die These, dass Homosexuelle in Zeiten des War on Terror als Feindbild ausgedient haben. Die Rolle des Perversen und Unproduktiven werde heute mit den Jihadisten verbunden.

Fundamentalism and Gender« lautet der Titel einer Konferenz, die am vergangenen Wochenende in der Berliner Humboldt-Universität stattfand. Zu den prominenten Rednerinnen zählte auch die Queer-Theoretikerin Jasbir Puar. Die Professorin für Women’s und Gender Studies an der Rutgers University in New Jersey hat den Begriff des »Homonationalismus« geprägt, mit dem sie westliche LGBTQI-Organisationen, die Homophobie unter Muslimen kritisieren, des Rassismus bezichtigt. Dieser Vorwurf ist einer genaueren Betrachtung wert, weil er symptomatisch für aktuelle Tendenzen der akademischen Linken ist.

Assemblage und Affekt
Ausgestattet mit möglichst hippem theoretischen Handwerkszeug, macht sich Puar an die Dekonstruktion von Gewissheiten, beschränkt sich dabei allerdings auf die Kritik des Westens und endet schließlich bei der Verteidigung des Islamismus und der Verurteilung Israels. Bei der Wahl der Referenztheorien für ihr Buch »Terrorist Assemblages« zeigt sie sich mit der Entscheidung für Deleuze/Guattaris »1 000 Plateaus« vergleichsweise kreativ – wer will schon gerne die immergleichen Zitate von Lacan, Foucault und Derrida lesen? Neben dem überbordenden Stil übernimmt sie aus »1 000 Plateaus« vor allem das Konzept der Assemblage. Der Begriff verweist einerseits auf die Künstlichkeit, andererseits auf die Zusammengesetztheit eines Gegenstandes. Wird über eine gesellschaftliche Gruppe und ihre Körper gesprochen, verschränken sich demnach Vorstellungen von Geschlecht, race, Sexualität usw. in immer neuen Arten und Weisen.
Dieser Ansatz ist weitaus komplexer und flexibler als Theorien, die die »Unterdrückungsformen« schlicht nebeneinanderstellen, ihre Überschneidungen unter dem Schlagwort »Intersektionalität« thematisieren oder sie aus dem Wertverhältnis zu erklären versuchen. Problematisch wird es jedoch, wenn Puar den »Affekt« als zentralen Begriff einführt. Sie kritisiert jene Theorien, die auf »naming, visuality, epistemology, representation and meaning« basieren und sieht die Vorteile ihres Ansatzes darin, dass er stattdessen »feeling, tactility, ontology, affect, and information« Priorität einräume. Man könnte nun annehmen, dass die Hinwendung zum Konkreten zu einer differenzierten Betrachtungsweise der Realitäten von Queers führt, die versteckte Ungleichheiten in den Blick nimmt und sich vor Pauschalisierungen hütet. Doch während erstgenanntes noch weitgehend gelingt, kann von letztgenanntem keine Rede sein, wie sich anhand ihrer Kritik des »Homonationalismus« aufzeigen lässt.

Nationale Homos
Mit der Entwicklung des Konzepts »Homonationalismus« reagiert Puar darauf, dass Teile des LGBTQI-Mainstreams sich – nicht erst seit 9/11 – einerseits patriotisch und proamerikanisch, andererseits kritisch zur Situation von Homo­sexuellen in nicht-westlichen und insbesondere in islamischen Gesellschaften äußern. Weil in den USA gleichzeitig eine Verbesserung der rechtlichen Stellung Homosexueller erkämpft wurde und Homophobie in islamischen Staaten während des War on Terror auch von Liberalen oder Konservativen angeprangert wurde, meint sie eine nationale Vereinnahmung und eine homosexuelle Kollaboration entdeckt zu haben.
Die Annahme, dass Nationalismus immer auch eine sexuelle Dimension hat, weil bestimmte Körperlichkeiten und Sexualitäten als akzeptabel und der Nation dienlich, andere als »pervers« und »gefährlich« konstruiert werden müssen, ist zunächst plausibel. Neuerdings seien insbesondere weiße, männliche, monogam lebende und zur Mittelklasse gehörende Homo­sexuelle gesellschaftlich akzeptiert, zur Heteronormativität habe sich somit eine »Homonormativität« (Michael Warner) gesellt. Die nunmehr Akzeptierten liefen dabei jedoch Gefahr, an der Konstruktion und Exklusion »perverser« Sexualitäten und Körper teilzuhaben. Die Rolle der Perversen komme nun insbesondere den Queers of Color zu, die weder in den hetero- noch in den homonormativen Mainstream passten und deren fortgesetzte Diskriminierung unsichtbar bleibe.
Zwar kann Puar anhand von Analysen kultureller Repräsentationen verdeutlichen, dass solche Konstruktionen von akzeptablen und perversen Homosexualitäten existieren und sich dabei Vorstellungen von race, Geschlecht und Sexualität verschränken. Um ihre Kritik des angeblich homonationalen LGBTQI-Mainstreams zu belegen, müsste sie jedoch Statements zitieren, in denen ausgerechnet diese Organisationen oder Aktivisten Promiskuität, Polyamorie, Queers of Color, Inter- oder Transsexuelle als pervers darstellen. Dies unterlässt sie jedoch.
Der Vorwurf der homonationalen Kollaboration beruht letztlich auf einem theoretischen Reduktionismus. Innerhalb ihres theoretischen Konzepts ist es schlicht nicht denkbar, dass das normative Regime von Akzeptanz und Ausschluss im liberal-demokratischen Rahmen des Nationalstaats durch Interventionen Betroffener, durch Kommunikation und Reflexion nicht nur verschoben, sondern auch gelockert werden kann. Ihr Modell unterscheidet letzlich nicht zwischen jenen Staaten, die die Queers verfolgen, und jenen, die deren Bürgerrechte verteidigen.

Rassistische Homos
Bereits der Hinweis, dass viele westliche Gesellschaften genderpolitische Fortschritte erzielt haben, während in den nicht-westlichen Gesellschaften Homosexuelle unter ungleich brutaleren Bedingungen leben müssen, erscheint Puar verdächtig, darin wittert sie Rassismus, Orientalismus und Imperialismus. Andere Staaten, insbesondere islamische, würden von einem westlichen Diskurs des »sexual exceptionalism« als »sexually backwards« kons­truiert. Damit werde zugleich über bestehende Homophobie im Westen hinweggetäuscht, ein »imperialistischer« Interventionismus der eigenen Regierungen legitimiert und das »rassistische« Gegenbild eines rückschrittlichen Anderen aufgebaut. Die »rassistischen« Äußerungen über den Islam seien die Bedingung für die lediglich temporäre Akzeptanz von Queerness im nationalen Kollektiv.
Und zweifelsohne: Jemand, der behauptet, der Islam im Allgemeinen und jeder Muslim im Besonderen sei homophob und rückschrittlich, der Westen dagegen ein Hort des Fortschritts, der dem Orient nur noch mit Waffengewalt zeigen muss, was das gute Leben ist, ist mindestens ressentimentgeladen, wohl auch rassistisch und kolonialistisch. Wer Homophobie unter Muslimen kritisiert, darf in solche Plattheiten nicht verfallen. Es mag sein, dass es Aktivisten gibt, die es dennoch tun – warum sollte es unter Homosexuellen auch keinen Rassismus geben?
Puars Hermeneutik des Verdachts jedoch leistet gerade keinen Beitrag dazu, die Grenze zwischen Kritik und Ressentiment herauszu­ar­bei­ten. Für sie es per se rassistisch und imperialistisch, Homophobie unter Muslimen zu kritisieren.
Dies wird beispielsweise in ihrer Kritik an der britischen LGBTQI-Gruppe OutRage! deutlich, eine Kritik, die nicht zufällig an Judith Butlers Vorwürfe an das schwule Berliner Anti-Gewalt-Projekt »Maneo« erinnert. In einem Interview mit der Jungle World (30/10) beruft sich Butler ausdrücklich auf das Konzept des Homonationalismus. Puar nennt als Beispiel für den »islamophoben« Rassismus von OutRage! deren Kampagne gegen die Hetze des bei jungen europäischen Muslimen einflussreichen Predigers Yusuf al-Qaradawi, den sie nur in distanzierenden Anführungszeichen einen »Islamic Fundamentalist« nennen will. Dass er nach jeder vernünftigen Begriffsdefinition tatsächlich als Islamist und Fundamentalist zu bezeichnen ist, dass er die Todesstrafe nicht nur für Apostasie, sondern auch für Homosexualität propagiert und Adolf Hitler als die Strafe Gottes für die Juden bezeichnet, wird dann ebenso nebensächlich wie die Tatsache, dass OutRage! Homophobie nicht nur und auch nicht vorrangig unter Muslimen bekämpft und auch nie behauptet hat, Muslime im Allgemeinen seien homophob. Puar begnügt sich damit, antirassistische Gruppierungen zu zitieren, die OutRage! des antimuslimischen Rassismus bezichtigen. Case closed.
Queere Terroristen
Diese realitätsvergessene Kritik eines vermeintlich islamophoben Rassismus steht in der Tradition Edward Saids, dessen Orienta­lismus-Begriff Puar übernommen hat. Wie Said kommt auch sie gar nicht erst auf die Idee, dass islamische Länder nicht allein in der Phantasie des Westens existieren, sondern reale Orte sind, an denen reale Menschen reale, kritikwürdige Handlungen begehen, und dass die Kritik daran auch aus dem Westen legitim ist.
In diese Falle tappt Puar auch, wenn sie die behaupteten homonormativ-antiqueeren und homonationalistisch-islamophoben Tendenzen zusammenbringt. Ihrer Logik nach bezeichnet das Wort »queer« nicht etwa Homo-, Bi-, Trans- und Intersexuelle. Um mit diesem Begriff geadelt zu werden, ist es vielmehr notwendig, vom herrschenden Diskurs als sexuell unerträglich und pervers dargestellt zu werden. Diese Rolle hätten heute insbesondere islamistische Suicide Bomber – dies ist die Pointe ihres Buches. Die üblichen Zuschreibungen an Queers – »nicht reproduktionsfähig«, »ansteckend«, dem »Tod verbunden«, »pathologisch« – fänden sich heute in den Darstellungen des Selbstmord­attentäters.
Auch wenn sich einige das Selbstmordattentat ästhetisierende Absätze in »Queer Assemblages« so lesen, propagiert Puar dabei freilich nicht das Selbstmordattentat als queere Körperpraxis, aber sie delegitimiert doch die notwendige Kritik am Jihadismus. Indem sie in jeder Qualifizierung eines anderen als »lebensfeindlich«, »todbringend« und »gefährlich« nur eine Projektion von sexuellen und rassistischen Ängsten sieht, tabuisiert sie das Reden über diejenigen, die tatsächlich lebensfeindlich und todbringend handeln und wie die Attentäter von Madrid herausschreien: »Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod!«
Der postmoderne Zweifel an allen vereinheitlichenden rationalistischen Systemen scheint als Zweifel alleine nicht lebensfähig, sondern tritt immer wieder gepaart mit einer unhinterfragbaren Gewissheit und durch sie stabilisiert auf, namentlich die antiimperialistische Gewissheit, die sich mit besonderem Furor gegen Israel äußert.

Pinkgewaschenes Israel
Während Puars Kritik am »Homonationalismus« hyperbolisch und ihr »Reading« der Suicide Bomber als die neuen Queers realitätsvergessen ist, ist ihr Verhältnis zu Israel schlicht feindlich. Werden Darstellungen von Sikhs, Muslimen oder Suicide Bombern immer als hochkomplexe Assemblagen von Projektionen verstanden, wird die Politik Israels schlicht als »imperialistisch«, »rassistisch« und sogar »totalitär« verurteilt. Belege für ihre Einschätzung bleibt die Theoretikerin indes schuldig. Vielmehr wird vorausgesetzt, dass es sich um unproblematisch geteiltes »Wissen« handelt, und die positive Rezeption des Buches spricht dafür, dass dies bei ihrem Publikum tatsächlich der Fall ist. Während eine Kritik oder Ablehnung des Islam oder der islamischen Staaten ein Beleg für den Rassismus derer ist, die die Kritik üben, gilt eine negative Einstellung gegenüber Israel als Beleg dafür, wie bösartig der israelische Staat ist: Der Hass auf den Judenstaat beweist, dass er hassenswert ist und umso hassenswerter wird, weil er sich diesem Urteil nicht unterwirft. Während Puar eine Wahrnehmung von Rassismus unter Queers of Color als Beweis für Rassismus genügt, spricht sie Israelis das Recht ab, sich bedroht zu fühlen. Vielmehr befinde sich Israel nur »in a cycle of perceived exceptional threats of violence«. Über 500 durch palästinensische Suicide Bomber getötete israelische Zivilisten reichen offenkundig nicht aus, um von einer realen Bedrohung zu sprechen. Fühlen sich die Israelis dennoch bedroht, sind sie paranoid.
All ihre Leidenschaften – die Kritik des »Homonationalismus«, die Kritik der »Islamophobie« und die Gegnerschaft zu Israel – kommen zusammen, wenn sie über die internationale PR-Kampagne schreibt, mit der der jüdische Staat seine Vorzüge unter anderem in Hinblick auf LGBTQI-Rechte anpreist. Darin kann sie nicht etwa die übliche Standort-Reklame erkennen, wie sie beispielsweise auch die deutsche Hauptstadt betreibt. Nein, es sei »Israel’s gay propaganda war«. Israel versuche auf diese Art, die homosexuelle Community für seine »rassistischen«, »imperialistischen« und »islamophoben« Zwecke zu instrumentalisieren, die eigenen »Verbrechen« nicht weiß-, sondern pinkzuwaschen. Verbunden damit sei die Darstellung einer palästinensischen »sexual backwardness«. Dass es sich in Tel Aviv für Homosexuelle – auch für arabische und muslimische – besser leben lässt als in Gaza oder Teheran, ist eine »rassistische« Realität, die die queere Theoretikerin nicht zu interessieren scheint.
Zu diesem Thema hatte die Humboldt-Universität Jasbir Puar als Referentin eingeladen. Der Titel ihres Vortrags, »Beware Israeli Pinkwashing«, ist dabei ebenso vielsagend wie der des Beitrags von Gabriele Dietze: »Criticism of Fundamentalism as Fundamentalism«. Die eigent­lichen Totalitären sind eben immer die Antitotalitären.