Enisa Salcinovic im Gespräch über Angelina Jolies Regiedebüt und Vergewaltigungen im Bosnien-Krieg

»Angelina Jolie ist eine liebenswürdige Frau«

Hollywood-Star Angelina Jolie hat sich für ihr Regiedebüt heiklen Stoff ausgesucht: den Bosnien-Krieg der neunziger Jahre. Für großen Protest in Bosnien-Herzegowina sorgte das Gerücht, dass sich im Drehbuch zu Jolies Film eine bosnische Muslimin, die in einem Internierungslager gefangen ist, in ihren serbischen Vergewaltiger verliebt. Vor allem Bakira Hasecic, Vorsitzende der Organisation »Žene žrtve rata« (»Weibliche Kriegsopfer«), die sich den Opfern systematischer Vergewaltigungen widmet, hatte heftig gegen Jolies Filmprojekt protestiert. Doch nicht alle Opferorganisationen lehnen den Film ab. Enisa Salcinovic von der Organisation »Savez Udruženja Logoraša« (»Vereinigung der Internierten«) widerspricht Hasecic und wirft ihr nationalistische Stimmungsmache vor.

Das Filmprojekt von Angelina Jolie hat in Bosnien für große Aufregung gesorgt. Die Vorsitzende der Organisation »Žene žrtve rata« (»Weibliche Kriegsopfer«), Bakira Hasecic, hat Jolie vorgeworfen, ihr Film würde die Vergewaltigungsopfer beleidigen. Sie wiederum kritisieren Bakira Hasecic. Warum?
Bakira Hasecic kann nicht entscheiden, ob der Film gedreht wird oder nicht. Sie kann keinesfalls für alle Frauen sprechen. Sie hat versucht zu zensieren. Das darf nicht sein. Und genau dagegen hat unsere Organisation protestiert. Es gibt viele Frauen, für die Bakira Hasecic nicht sprechen kann. Wir denken nicht, dass Angelina Jolie die Opfer in irgendeiner Form brüskieren will. Sie ist eine sensible und liebenswürdige Frau.
Immerhin hatte auch der bosnische Kultusminister Gavrilo Grahovac zwischenzeitlich verfügt, dass Jolie keine Drehgenehmigung in Bosnien-Herzegowina bekommt.
Der Kultusminister stand klar unter dem Einfluss von Bakira Hasecic. Die Entscheidung, nicht drehen zu lassen, stand innerhalb von drei Tagen fest, nachdem sie ihre Stimme öffentlich erhoben hatte. Bakira Hasecics Einfluss auf Regierungskreise darf man nicht unterschätzen.
Das Sujet des Filmes berührt aber ja angeblich ein mehr als heikles Thema: dass eine Internierte sich in ihren Vergewaltiger verliebt. Sind die Einwände nicht berechtigt? Viele Opfer könnten das wirklich als unerträglichen Versöhnungskitsch auffassen, der ihre Leiden verharmlost.
Der Punkt ist: Eine Liebesgeschichte zwischen einem muslimischen Opfer und einem serbischen Vergewaltiger ist gar nicht das Thema des Filmes. Die Kritiker, die so lauthals dagegenhalten, haben das Skript gar nicht gelesen, bevor sie dagegen protestierten. Tatsache ist, dass im Film die Muslimin und der Serbe schon lange vor dem Krieg ineinander verliebt sind. Diese Liebesgeschichte zieht sich wie ein roter Faden durch den Film. Soweit ich weiß, vergewaltigt er sie gar nicht. Deswegen hat sich unsere Organisation für eine Verf­ilmung ausgesprochen, und zwar in Bosnien an den Originalschauplätzen. Im Grunde handelt es sich um einen Liebesfilm. Vergewaltigungen als systematische Strategie in einem schmutzigen Krieg sind nicht das zentrale Thema.
Kritiker des Films sagen auch, dass bei der Behandlung des Themas stets eine Menge Nationalismus mit im Spiel sei.
Man darf es eben nicht durch die nationalistische Brille betrachten. Im Sinne der Opfer ist es völlig falsch, mit dem Thema die Stimmung aufzuheizen und Nationalismus zu schüren. Und genau das tut Bakira Hasecic. Man muss aber auch einräumen, dass es schlimmere Nationalisten als Bakira Hasecic gibt. Dennoch. Sie hat Einfluss.
Zeigt die Kontroverse um den Film von Angelina Jolie, dass der Nationalismus in Bosnien immer noch sehr dominant ist und die Spannungen noch längst nicht überwunden sind?
Was meinen Sie damit konkret? Stellen Sie mir eine konkrete Frage und ich antworte konkret. Vieles funktioniert hier ganz hervorragend. In unserer Organisation beispielsweise sind verschiedene Bevölkerungsgruppen vertreten.
Aber die hitzige Diskussion um den Film zeigt doch, dass Bosnien-Herzegowina weit von einem geeinten Staat entfernt ist und die ethnische Zugehörigkeit dort immer noch eine gewichtige Rolle spielt.
Wir, das heißt unsere Organisation, betrachten das Thema jedenfalls nicht nationalistisch. Wir setzen uns für die Kriegsopfer, deren Behandlung und deren weiteres Leben ein. Beispielsweise geht es uns darum, dass Opfer eine monatliche Rente vom Staat bekommen, um leben zu können. Viele muslimische Familien haben die Opfer nämlich verstoßen, weil sie in ihren Augen als entehrt gelten. Die Opfer leben daher oft in äußerster Armut. Wir haben es beispielsweise geschafft, in Sarajevo einige Parzellen Land zu kaufen, wo sich sechs Betroffene ein Häuschen errichten konnten. Das ist ein sehr kleiner Erfolg, aber immerhin. Und wir engagieren uns für Qualifizierungs- und Weiterbildungsangebote, um den Kriegsopfern Perspektiven zu geben. Aber viele Betroffene wurden aufgrund der Traumatisierung als schwerbehindert eingestuft und können keiner geregelten Arbeit nachgehen. Ihre Familien wollen sie nicht, Geld haben sie auch nicht. Was ist schlimmer: die Einsamkeit oder die Armut? Und beides zusammen? Auch das weitere Umfeld lehnt die vergewaltigten Frauen oft ab. Sie sind stigmatisiert, sie sind Außenseiterinnen. Viele schweigen deswegen auch darüber, was ihnen widerfahren ist. Für muslimische Frauen ist Scham das Schlimmste. Deswegen würden wir auch nicht irgendeinem Film über das Thema unsere Zustimmung geben. Wir sind sehr mit der Materie vertraut und kennen die Problematiken. Sie werden verstehen, dass wir Angelina Jolies Film nicht einfach so unterstützen, sondern ­berechtigte Gründe für unser Einverständnis haben. Und dass wir uns verständlicherweise da­gegen wehren, wenn vermeintliche Sprecher angeblich in unserem Namen reden.
Wie geht Ihre Organisation damit um, wenn die Familien von den eigenen Frauen und Töchtern nichts mehr wissen wollen, weil sie vergewaltigt wurden?
Wir sind ein traditionelles, immer noch ländlich geprägtes Land mit jahrhundertealten Strukturen. Die kann man nicht von heute auf morgen ändern. Wir stehen den Opfern bei, mehr können wir im Moment nicht für sie tun.
Das klingt nach Resignation – bei allem Respekt für Ihre Arbeit.
Das ist Ihre Interpretation.
Wird Ihre Organisation vom Staat mit Geld unterstützt?
Nein.
Der bosnische Staat tut nichts dafür, um diesen Frauen und Mädchen zu helfen?
Hören Sie, wir haben unsere Meinung zu diesem Thema schon mehrmals kundgetan. Dazu habe ich nichts mehr zu sagen.