Die Uno und die Cholera in Haiti

Wir haben euch was mitgebracht

Der Verdacht, dass nepalesische UN-Soldaten die Cholera in Haiti verbreitet haben, hat sich erhärtet. Die Sterberate unter den geschwächten Haitianern ist hoch.

»Das Unbehagen in der Kultur ist dem blanken Horror gewichen.« Als Hubert Fichte diesen Satz in seinem 1976 erschienen Buch »Xango« an den Anfang seiner Haiti-Studien stellte, gehörte die Cholera noch nicht zu den Horrorszenarien des Landes. Damals war Jean-Claude Duvalier, der Sohn des Diktators »Papa Doc«, im Alter von 21 Jahren zum »Präsidenten auf Lebenszeit« ernannt worden.
»Mein Vater hat die politische Revolution vollbracht. Ich werde die wirtschaftliche vollbringen«, hatte Baby Doc – wie man ihn fortan nannte – behauptet und eines der finstersten Folterregimes seiner Zeit errichtet. Baby Doc floh 1986 ins Exil, doch auch seine Nachfolger haben die Lage der Bevölkerung nicht nennenswert verbessert. Seit dem 19. Oktober dieses Jahres gehört auch noch die Cholera zum blanken Horror Haitis, wo es wahrscheinlich seit mehr als 100 Jahren keine Cholera-Epidemie mehr gegeben hat.
Das macht die derzeitige Epidemie gefährlicher. Weil keine Resistenzen ausgebildet werden konnten, kann der Erreger der Cholera, das Bakterium Vibrio cholerae, sich frei und ungebremst unter den Menschen verbreiten. Es ist zu vermuten, dass das Ausmaß der Epidemie die Katastrophenmeldungen, denen zufolge sich die Zahl Krankheitsfälle täglich immens erhöht, noch weit übertrifft.
Denn es gehört zu den Eigenheiten der Cholera, dass die meisten Fälle – über 80 Prozent der Erkrankungen – ohne Symptome verlaufen, aber der Erreger trotzdem weitergegeben werden kann. Überdies trifft das Bakterium auf eine nicht erst seit dem verheerenden Erdbeben vor elf Monaten in jeder Beziehung geschwächte Bevölkerung. Hunger und Mangelernährung sind weit verbreitet, viele Menschen sind bereits durch andere Krankheiten geschwächt. Wenn nach Erkrankungen Symptome auftreten, erhöht sich die Sterberate schon deshalb, weil kaum noch Abwehrkräfte vorhanden sind.
Etwa 2 000 Menschen sind nach offiziellen Angaben seit Oktober der Cholera erlegen und um die 20 000 wurden in Krankenhäuser eingeliefert. Man kann, auch ohne dass man dem Aberglauben der landestypischen Religionen und ihrer Kulte anhängt, wegen der Häufung der Katastrophen in dem von tektonischen Erschütterungen und Wirbelstürmen heimgesuchten Land tatsächlich zu der Überzeugung kommen, auf Haiti laste ein Fluch.

Ein Fluch allerdings, der einer rationalen Betrachtung nicht unzugänglich ist. Im Unterschied zum Erdbeben ist nämlich die Cholera keine Folge höherer Gewalt. Ihre Ausbreitung folgt einem sehr alten Muster. In gewisser Weise wiederholt die Epidemie die erfolgreiche Kolonisierung Amerikas durch die Europäer. Mehr als alle Waffen trug die Ausbreitung von unbekannten Krankheitserregern zur massenhaften Vernichtung der indigenen Bevölkerung bei.
Nach sich erhärtenden Erkenntnissen einer von der haitianischen und französischen Regierung eingesetzten wissenschaftlichen Untersuchungskommission um Renaud Piarroux waren es nepalesische Blauhelmsoldaten, die den Erreger nach Haiti gebracht haben. Damit wiederholt diese Epidemie auch die Ausbreitungsgeschichte der Cholera in Europa. Die Entstehungs- und Verbreitungsgeschichte von Vibrio cholera ist genetisch sehr gut untersucht. Deshalb lässt sich die lokale Herkunft der Bakterien bestimmen, ihr möglicher Ausbreitungsweg kann beschrieben werden.
In diesem Fall glichen die in Haiti aufgetretenen Bakterien jenem Stamm, der Mitte des Jahres in Nepal zu einem Cholera-Ausbruch geführt hatte. Das war geschehen, bevor die nepalesischen Soldaten in Haiti eintrafen. Auch das ist ein bekanntes Ausbreitungsschema. Das Bakterium hat seinen Ursprungsort im Gangestal in Indien. Von dort ist es seit dem 18. Jahrhundert langsam nach Westen vorgedrungen, verbreitet in der Regel von Soldaten. So waren es russische Truppen, die an der indischen Grenze stationiert und um 1830 zur Niederschlagung eines Aufstands nach Polen verlegt worden waren, die die Cholera auch nach Berlin brachten, wo neben anderen auch der Philososph Georg Wilhelm Friedrich Hegel der Krankheit erlag. Jener Philosoph also, der der Ansicht war, dass Geschichte sich wiederholt.
In Haiti wiederholt sie sich als vorhersehbare Katastrophe. Die ersten Krankheitsfälle traten in der Umgebung des Stützpunkts der nepalesischen Blauhelme im Department Artbonite in Zentralhaiti auf. Was mittlerweile wissenschaftlich als sehr wahrscheinlich gilt, hatten viele Haitianer schon früher vermutet. Es kursieren im Internet Fotos und Videoaufnahmen, die einen Lastwagen zeigen, der ungereinigte Abwässer aus dem Lager der nepalesischen Blauhelme in einen Zufluss des Artibonite kippt. Aus diesem Fluss schöpfen viele Haitianer in dem chronisch an Wassermangel leidenden Land ihr Trinkwasser.

Wer sich um die Verbreitung von Bakterien verdient machen will, kann nichts Besseres tun, als Abwässer in Flüsse zu kippen. Schrecklich an diesem Fall ist auch, dass die Regierung den Protesten aus der Bevölkerung weder Glauben schenkte noch dem Vorfall nachging. Auch dafür lassen sich rationale Gründe finden. Das für die Abwässer zuständige Unternehmen soll »angeblich der Frau des scheidenden Präsidenten René Préval« gehören, berichtete die FAZ.
Verunreinigtes Wasser ist die wichtigste Verbreitungsquelle des Cholera-Erregers. Wer also etwas gegen die jüngste Katastrophe Haitis tun will, kann sich nur um sauberes Wasser und die Aufklärung der Bevölkerung über die Verbreitungswege der Cholera bemühen. Ein Bemühen, zu dem NGO, die in den Zeltlagern temporäre Bibliotheken einrichten, wie es die haitianische Schriftstellerin Emmilie Prophète gerade in der NZZ beschrieben hat, nichts beitragen. Das dürfte auch für den zukünftigen Präsidenten gelten.