Geschmeidig bleiben. Der Film »Eine flexible Frau«

Geschmeidig bleiben

In ihrem Film »Eine flexible Frau« schildert Tatjana Turanskyj den von Floskeln beherrschten Lebensalltag einer prekarisierten ­Freiberuflerin in Berlin.

Zu Beginn sieht man Greta wie einen ramponierten Westernhelden mitten in der Landschaft stehen, auf einem Stoppelfeld, alleine und betrunken. Ihre strapaziöse Tour zwischen Arbeitssuche, Callcenter, Bewerbungscoaching, der aseptischen Architektur des neuen Berlin und den Exzessen zahlreicher Herrengedecke, ihr unentschlossenes Umherdriften zwischen den Anforderungen der neoliberalen Arbeitswelt und den eigenen Ansprüchen haben sichtbare Spuren hinterlassen. Greta sieht angegriffen aus, doch einen spröden Stolz hat sie sich bis zuletzt bewahrt.
Die Berliner Filmemacherin Tatjana Turanskyj erzählt in dem ersten Langfilm, bei dem sie allein Regie geführt hat – zuvor war sie im Filmemacherinnenkollektiv hangover ltd. organisiert – von brüchigen Biographien im Berliner »Kreativmilieu«, von Prekarität und sozialem Ausschluss und von den identitätsstiftenden Effekten der Arbeit. Greta (Mira Partecke), eine 40jährige, verschuldete Architektin, hat ihren Job als Freelancerin in einem Architekturbüro verloren. Ihre Bewerbungen laufen ins Leere, also nimmt sie eine Stelle in einem Callcenter an. Bei ihren Architektenfreunden, die Bauprojekte in Tanger planen oder Townhäuser in Berlin, gilt sie bald als herumpöbelnde, trunksüchtige Unruhestifterin, ihr Sohn Lukas, zu dem sie immer mehr die Verbindung verliert, betrachtet sie als »Loser«. Ihr Verhältnis zu ihm beschreibt sie seiner Grundschullehrerin mit den Worten: »Lukas ist überall da, wo ich nicht bin. Es gibt keine Connection.« Für kurze Zeit entspinnt sich zwischen ihr und der Lehrerin eine Komplizenschaft, doch nach einem falschen Wort stellen sich die Verhältnisse wieder vollkommen neu dar.
Dieses Moment der Unberechenbarkeit ist typisch für den Film und symptomatisch für die Verstrickungen der beschriebenen Lebenswelt, in der es keine klar umrissenen Rollenmuster mehr gibt. Auch Greta schwankt zwischen Affirmation und Kritik. Mit einer Mischung aus Widerborstigkeit und Anpassungswillen versucht sie, sich dem Flexibilitätsimperativ des Arbeitsmarktes zu unterwerfen, und wirkt doch wie ein Alien inmitten der perfekt gepflegten Callcenter-Agentinnen, deren penetrante Verkaufsanrufe wie ein »frischer Sommerwind« klingen sollen. Letztlich ist Greta für eine Welt, in der man ständig »innerlich lächeln« muss, nicht geschmeidig genug, wie ihr die Callcenter-Chefin (Laura Tonke) bei ihrem Rauswurf lächelnd attestiert. Für einen Moment sieht es aus, als könne Greta ausfällig werden, doch dann bedankt sie sich freundlich dafür, dass man sie weiterhin im »Agentpool« behalten will. Mit viel Sinn für Situations- und Sprachkomik beschreibt der Film nicht zuletzt eine von Floskeln und Phrasen beherrschte Arbeitswelt, in der stets »neue Herausforderungen« und »neue Erfahrungen« gesucht werden und man sich eines grotesken Wellness-Jargons bedient. Outbound, on the job, ein Telefonat als rhetorisches Meisterwerk: Ich habe da eine klitzekleine Frage an Sie.
»Eine flexible Frau« ist eine ungewöhnliche Mischung aus Stadt- und Frauenporträt, postdramatischem Diskursfilm und feministischem Drama, Arbeiterinnen-Comedy und Prekariatstragödie. Den Filmtitel hat Tatjana Turanskyj Richard Sennetts 1998 erschienener Studie »Der flexible Mensch« entlehnt, worin der amerikanische Soziologe die Flexibilitätsanforderungen beschreibt, die der postmoderne Kapitalismus an die Individuen stellt. Turanskyj fragt insbesondere nach den Auswirkungen der heutigen Arbeitsverhältnisse auf die emanzipatorischen Forderungen des Feminismus, die im Film durch den feministischen Blogger und Stadtführer Kluge (Bastian Trost) verkörpert werden. Schließlich werden Gretas ehemalige Studienkolleginnen, die anpassungsfähig zwischen verschiedensten Projekten und Arbeitsfeldern, zwischen Karriere und Mutterrolle hin- und herwechseln, als Protagonistinnen eines Konservatismus entlarvt, der sich lediglich für emanzipatorisch hält.
Aber auch die Antiheldin Greta eignet sich kaum als jene Art von vulgärfeministischem Role-Model, wie es Fernsehserien oder Spielfilme gern entwerfen. Trotz analytischer Schärfe und Diskurscleverness verfällt Turanskyj nie in selbstgerechte Empörungsrhetorik, sondern zeigt ihre Protagonistin als eine von Widersprüchen bestimmte Frau in einer von Widersprüchen bestimmten Welt. Denn Greta hat durchaus »gewöhnliche« Sehnsüchte nach Zugehörigkeit und beruflicher Anerkennung und verliert ohne Arbeitsauftrag den Boden unter den Füßen.
»Eine flexible Frau« verbindet Gretas Krise (»I’m an expert in crisis«) mit einer urbanen Topographie des neuen Berlin, dessen neue Bauvorhaben das Stadium der Gentrifizierung schon weit hinter sich gelassen haben. Auf den Streifzügen durch privatisierte und »sicherheitspsychotische« Townhaus-Ghettos, das Humboldt-Forum, das Areal des Finanzministeriums etc. erscheint die Stadt steril und abweisend. Der Künstlichkeit dieser Playmobilwelt entspricht die Künstlichkeit der Sprache, die Turanskyj als Verfremdungseffekt in die Erzählung vom sozialen Absturz ihrer Hauptfigur einbaut. »Eine flexible Frau« verfolgt dabei, dem Thema angemessen, keine einheitliche Narration, sondern wählt eine fragmentarische Form, die mal ziellos umherflaniert und – Gretas Haltlosigkeit entsprechend – zunehmend zerfasert, sich dann aber wieder, wie in den Filmen Godards, modellhaft und theoretisierend verdichtet: Eine polnische Kosmetikerin und ehemalige Studentin der Ökonomie verkündet Marx’sche Theorien, der Stadtführer Kluge doziert über die missglückte Emanzipation, eine arbeitslose Theaterschauspielerin rezitiert Hölderlin. Auch Greta wirkt in manchen Augenblicken wie eine Figur, die ihren Körper einer fremden Sprache leiht. Doch dank des hinreißenden, mitunter tief berührenden Spiels von Mira Partecke wird Greta in keinem Moment als Stellvertreterin für die Beschreibung einer krisenhaften Lebens- und Arbeitswelt instrumentalisiert, sondern erscheint als glaubhafte, lebendige Figur.
»Eine flexible Frau« erinnert in mancher Hinsicht an eine andere Frauenbiographie: Helke Sanders’ »Die allseitig reduzierte Persönlichkeit«. Der 1977 entstandene Film porträtiert auf distanziert-ironische Weise eine alleinerziehende, freiberufliche Pressefotografin im Berlin der siebziger Jahre, die gemeinsam mit einer Frauenfotogruppe die Stadt dokumentiert. Schon bei Sander wird die Stadt zur Protagonistin des Films, auch die tagebuchähnliche Aufzeichnung der prekären Lebenswirklichkeit erinnert an Turanskyjs Film. Allerdings scheint es in »Die allseitig reduzierte Persönlichkeit« trotz aller Abhängigkeit von Systemzwängen noch ein konkretes Gegenüber zu geben, während die Verhältnisse sich in »Eine flexible Frau« noch einmal verlagert haben – Greta ist unauflösbar ein Teil davon. Nur draußen, in der Weite der Natur, wenn sie die Rolle des Outlaws innehat, manifestiert sich ihr rebellisches Unbehagen in einem geradezu ikonischen Bild des Widerstands.

»Eine flexible Frau« (Deutschland 2010). Regie: Tatjana Turnanskyj. Darsteller: Mira Partecke, Laura Tonke, Bastian Trost u.a. Start: 6. Januar