Marc, weitere Freunde warten

Wer im wirklichen Leben nicht viele Freunde hat, kann leicht der Versuchung erliegen, dies durch das Sammeln von Facebook-Freunden zu kompensieren. Wer zur Wall Street gezählt wird, hat nicht viele Freunde. Das war aber wohl nicht der Grund für die Entscheidung der Investmentbank Goldman Sachs, 450 Millionen Dollar bei Facebook zu investieren. Das Online-Netzwerk hat Google bei den Klickzahlen überholt und zählt nunmehr 500 Millionen Nutzer. Sein Wert wird auf 50 Milliarden Dollar geschätzt. Womöglich macht Facebook mittlerweile sogar Gewinn. Genau weiß man das nicht, denn die meisten Geschäftsdaten sind geheim. Aber von irgendetwas muss der Gründer Marc Zuckerberg ja leben.
Die US-Satirezeitung The Onion nannte ihn einen »aufgeblasenen kleinen Scheißer«, das Magazin Forbes kürte ihn zum »jüngsten Selfmade-Milliardär aller Zeiten«. Man muss in diesen beiden Bewertungen keinen Widerspruch sehen. Das Internet-Geschäft gehört zu den geheimnisvollsten Branchen im Spätkapitalismus. Schließlich ist im Internet fast alles umsonst. Geschäfte lassen sich erstaunlicherweise nicht mit den Inhalten machen, die auf den ersten Blick am profitabelsten erscheinen. Die Betreiber US-amerikanischer Pornoseiten geben an, nur 20 000 Dollar im Jahr zu verdienen. In einer Branche, die auf Dramaturgie und geistreiche Dialoge wenig Wert legt, begnügen sich die meisten mit den kostenlos abrufbaren Videos von Amateuren. Der iPad hätte das Geschäft vielleicht ankurbeln können, denn er hat den für Pornokonsumenten nicht unerheblichen Vorteil, dass er in einer Hand gehalten werden kann. Doch Steve Jobs verspricht »freedom from porn«. Für andere Inhalte wollen die Nutzer ohnehin nichts zahlen. Folglich muss man sich ein wenig aufplustern, wenn man Investoren einreden will, man werde im Internet-Geschäft schon bald überaus hohe Gewinne erzielen, auch wenn man momentan gar nichts verdient. Vor unvordenklich langer Zeit, im Jahr 2000, stellte sich heraus, dass allzu viele jüngste Selfmade-Millionäre aller Zeiten so etwas versprochen hatten. Man nannte das die Dotcom-Blase, mehr als 200 Milliarden Dollar gingen verloren. Doch die Anleger haben natürlich aus ihren Fehlern gelernt. Damals überhäuften sie viele kleine Firmen mit Millionen, nun überhäufen sie einige große Firmen mit hunderten Millionen. Damals investierten sie in E-Commerce, nun investieren sie in personalized advertising, auf den Nutzer zugeschnittene Werbung. Es soll Menschen geben, die diese Werbung anklicken. Ich kenne keinen von ihnen, aber ihnen gebührt Dank. Denn gäbe es nicht die Hoffnung, mit Internet-Werbung Unmengen von Geld verdienen zu können, würden die Zuckerbergs dieser Welt uns auf andere Weise zur Kasse bitten.