Italien verlangt die Auslieferung eines ehemaligen Staatsfeindes

Für immer Staatsfeind

Der Streit um die Auslieferung eines ehemaligen Mitglieds der italienischen bewaffneten Linken hat eine diplomatische Krise zwischen Italien und Brasilien ausgelöst. In der italienischen Debatte um die Abrechnung mit dem »linken Terrorismus« spielen juristische Fakten keine Rolle mehr.

In Italien begann das neue Jahr im Zeichen der siebziger Jahre. Mit der Entscheidung, Cesare Battisti, ein ehemaliges Mitglied einer bewaffneten linken Gruppe, nicht an Italien auszuliefern, löste Luiz Inácio Lula da Silva an seinem letzten Tag als brasilianischer Staatspräsident in Rom Entrüstung aus. Sein italienischer Amtskollege Giorgio Napolitano brachte seine »Enttäuschung und Missbilligung« zum Ausdruck. Außenminister Franco Frattini kündigte zunächst eine Unterbrechung der bilateralen Beziehungen an, beeilte sich dann aber zu versichern, dass die vereinbarten Handelsverträge eingehalten würden. Auch seine Aufforderung an die Europäische Union, die Auslieferung zu erzwingen, musste er zurücknehmen, als ihm ein Sprecher der Kommission erklärte, es gebe kein Auslieferungsabkommen zwischen der EU und Brasilien.
Unterstützung erfuhr die italienische Regierung dagegen von den Oppositionsparteien. Diese protestierten vergangene Woche gemeinsam mit dem rechtsextremen Rand des Regierungsspektrums vor der brasilianischen Botschaft. Walter Veltroni von der Demokratischen Partei warf der Regierung vor, sie sei offensichtlich unfähig gewesen, den Brasilianern klar zu machen, dass Battisti kein politisch Verfolgter sei, sondern ein »Mörder«. Die linksliberale Tageszeitung La Repubblica beschuldigte französische Intellektuelle wie Bernard-Henry Lévy oder Fred Vargas, die sich seit Jahren für die Freilassung Battistis einsetzen, der »militanten Ignoranz«. Gleichzeitig berichtete sie ausführlich über ein publikumswirksam inszeniertes Treffen des Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi mit Alberto Torregiani, dem Sohn eines vermeintlichen Opfers Battistis. Im Kampf um die »Ehre« Italiens und für die Verteidigung der »Gefühle« der Opfer des Terrorismus spielen juristische Fakten keine Rolle mehr.

Cesare Battisti war in den siebziger Jahren Mitglied der Gruppe »Bewaffnete Proletarier für den Kommunismus«. Er wurde 1979 bei einer Razzia gegen die Autonomiebewegung in Mailand verhaftet und entsprechend der gegen den Terrorismus erlassenen Notstandsgesetze wegen minderer Vergehen zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. 1981 gelang ihm die Flucht aus dem Gefängnis, er flüchtete bis nach Paris, wo die sogenannte Mitterrand-Doktrin italienischen Linksradikalen politisches Asyl garantierte. Während er in Italien 1987 aufgrund von Kronzeugenaussagen wegen vierfachen Mordes angeklagt und in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, machte er in Paris als Krimiautor Karriere. Als die französische Regierung 2002 plötzlich begann, italienische Linke doch noch auszuliefern, konnte Battisti zunächst untertauchen, ehe er 2007 in Brasilien aufgespürt wurde (Jungle World, 13/07). Seither sitzt er in Haft und kämpft gegen ein Auslieferungsgesuch der italienischen Regierung.
Obwohl die Prozesse gegen Battisti unter äußerst fragwürdigen Bedingungen stattfanden und er nachweislich nicht an der Ermordung des Juweliers Pierluigi Torregiani beteiligt war, für die er bis heute in den Massenmedien verantwortlich gemacht wird, soll bei seiner Rückkehr das Verfahren nicht neu aufgerollt werden. Battisti soll seine lebenslange Haftstrafe absitzen.

Die Sachlage veranlasste 2009 den damaligen brasilianischen Justizminister Tarso Genro, Battisti den Status des politischen Flüchtlings zuzuerkennen, während die Richter des obersten Gerichtshofs mehrheitlich für eine Auslieferung plädierten. Entsprechend der brasilianischen Verfassung lag die letzte Entscheidung damit beim Staatspräsidenten. Lulas Entschluss, Battisti nicht auszuliefern, beruht, anders als der Furor rechter italienischer Politiker glauben machen möchte, nicht auf der Solidarität des linken Präsidenten mit einem »Gesinnungsgenossen«, sondern auf der Einschätzung der brasilianischen Generalstaatsanwaltschaft. Demnach kann die Auslieferung trotz bestehender Abkommen verweigert werden, wenn dem Angeklagten bei ­seiner Repatriierung Verfolgung und Diskriminierung aufgrund seiner politischen Überzeugungen drohen. Die neugewählte Präsidentin Dilma Rousseff bestätigte umgehend die Entscheidung ihres Vorgängers. Dennoch lehnte der Präsident des Verfassungsgericht, Cezar Peluso, ein entschiedener Befürworter der Auslieferung, eine sofortige Entlassung Battistis aus vorgeschobenen bürokratischen Gründen ab. Battisti bleibt deshalb mindestens bis Februar in Haft. Sein Anwalt sprach von einem »Staatsstreich« des Justizapparats. Vertreter der brasilianischen Rechten unterstützen die italienischen Proteste, sie raten Italien sogar zu einer Klage vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag, um die Auslieferung zu erzwingen. Dass Italien diesen Schritt wagt, ist eher unwahrscheinlich, schließlich kämen in einem internationalen Gerichtsverfahren auch die von der brasilianischen Staatsanwaltschaft beklagten italienischen Missstände zur Sprache: die fragwürdigen »Sondergesetze« zur Terrorismusbekämpfung und die Weigerung, das 2002 erlassene Zusatzprotokoll der Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen zu ratifizieren und somit regelmäßige Kontrollen des Strafvollzugsystems durch ein unabhängiges Gremium zu ermöglichen.
Die italienische Hetzkampagne verrät, dass es in Wirklichkeit nicht um eine juristische Aufarbeitung des »Falls Battisti« geht. Der Angeklagte wird zum »Monster« stilisiert, weil er sich weigert, seine militante Vergangenheit zu verleugnen. Die wütende Propaganda gegen Battisti diffamiert nachträglich noch einmal die politisch-sozialen Bewegungen der siebziger Jahre und kriminalisiert vorauseilend jede Form so­zialen Widerstands, insbesondere die derzeit sich radikalisierenden Arbeiter- und Studentenproteste.