Hadert!

Der letzte linke Student weiß: Der Aufstand kom­mt. Der letzte linke Student weiß ebenso: Der Kommunismus steht vor der Tür. Und der Sozialismus? Auch der steht vor der Tür. Und der Anarchosyndikalismus? Selbst der Anarchosyndikalismus steht vor der Tür. Selbst der Stalinismus: darf in der Schmuddelecke Platz nehmen. Der Trotzkismus allerdings, dieser widerliche Teufels-Ismus: der muss draußen bleiben. Dennoch: Die Revolution wird quasi bereits stattgefunden haben!
Allerdings: Den letzten linken Studenten verunsichert es sehr, dass bereits alles gelaufen ist. Bekanntlich: hat der letzte linke Student lange dafür gekämpft, dass seine Ziele verwirklicht werden. Und nun? Nun ändern sich die Verhältnisse gewissermaßen über Nacht. In den Feuilletons: wird bereits heftig über den Kommunismus diskutiert. Und in Lateinamerika: ist Marx quasi schon Alleinherrscher. Und die Sozialdemokratie? Kennt kein Mensch mehr. Dennoch: der letzte linke Student traut dem Braten nicht.
»Wir werden siegen, haben wir immer gerufen auf den Demos. Doch nun, da der Sieg bereits unabwendbar bevorsteht, muss man sich genau überlegen, was man will. Will man einen Sieg ohne große Revolution? Ändern sich die Verhältnisse ohne eine ordentliche Blutwäsche?« Diese Fragen schreibt der letzte linke Student in sein besonderes Notizbuch. Und hält inne. Will er wirklich eine Blutwäsche? Ist das nicht zu brutal? Kann aber eine Revolution nicht brutal sein? Ist die Geschichte tatsächlich so grausam? Das sind große Fragen. Der letzte linke Student wird heute Nacht nicht gut schlafen können. Und auch wir sollten nicht immer schlafen, sondern ruhig einmal todmüde an die Decke starren!