Die Debatte in den USA nach dem Massaker von Tucson

Der souveräne Bürger liebt große Waffen

Der Attentäter von Tucson war ein Anhänger rechtsextremer Ideologien. Statt die möglichen politischen Hintergründe seiner Tat genauer zu beleuchten, wird in der US-amerikanischen Debatte über den politischen Umgangston gestritten.

In den Tagen nach dem versuchten Mord von Jared Lee Loughner an der demokratischen Abgeordneten des Repräsentantenhauses, Gabrielle Giffords, erlebten die USA eine der heftigsten politischen Debatten seit Jahren. Schon am Tag des Attentats, das in Tucson, Arizona, sechs Menschen in den Tod gerissen und 13 Verletzte hinterlassen hatte, gerieten vor allem die Republikaner, die Tea-Party-Bewegung und rechte Hass­prediger wie Rush Limbaugh und Glenn Beck für ihre aggressive Rhetorik in die Kritik, insbesondere für ihren Gebrauch von Schusswaffensymbolen zur Darstellung ihres »Widerstands«. Einige, wie Limbaugh, versuchten daraufhin, wie bei vergangenen Gewaltakten mit rechtsextremem Hintergrund, den Täter zum Linken zu erklären und die Atmosphäre der Gewalt den Demokraten anzulasten. Die meisten konservativen Politiker wiesen jedoch jegliche Verantwortung von sich und stilisierten sich zu Opfern eines »medialen Pogroms«, wie die konservative Washington Times schrieb. Erst nach der Trauerfeier für die Verstorbenen in der vorigen Woche, bei der Präsident Barack Obama in einer bewegenden Rede die politische Klasse zur Ordnung und zu einem zivileren Umgangston aufrief, kühlte die Stimmung etwas ab.

Loughner selbst schweigt zu den Motiven seiner Tat. Noch ist es unklar, ob die rechte Gewaltrhetorik ihn tatsächlich beeinflusste. Nach Zeitungsberichten erwägt sein Rechtsbeistand, auf Unzurechnungsfähigkeit des insgesamt psychisch labil wirkenden 22jährigen zu plädieren, unter anderem, damit er der Todesstrafe entgeht, die auf die mehrfache Ermordung von Regierungsbeamten angesetzt ist. Der Täter erschoss neben einem Bundesrichter auch einen Mitarbeiter der Abgeordneten. Damit scheint es zunächst ausgeschlossen, aus erster Hand die Motive hinter dem Attentat zu erfahren. Nach Angaben von Ermittlern und Aussagen von persönlichen Bekannten des Täters hat Loughner seit Jahren einen »irrationalen Hass« gegen die demokratische Abgeordnete Giffords gehegt.
Einen Hinweis auf die politischen Hintergründe des Attentats lieferte Loughner bereits vor der Tat durch zwei auf Youtube hochgeladenen Videobotschaften, wie eine Analyse von Justine Sharrock in der Zeitschrift Mother Jones belegt. In diesen Videos sind neben wirren, noch unerklärlichen Passagen auch Elemente der Ideologie der sovereign citizens-Bewegung erkennbar. Die Anhänger dieser rechtsextremen Gruppierung erkennen die Rechtmäßigkeit der US-Verfassung in ihrer nach Ende des Bürgerkriegs 1865 geänderten Fassung nicht an. Sie betrachten sich daher als »souveräne Bürger« in einem von der Bundesregierung besetzten Land. Viele Anhänger dieser Bewegung zahlen keine Steuern, sprechen der Polizei und den Gerichten die Legitimität ab, verweigern ihren Kindern den Schulbesuch und versuchen generell, den staatlichen Eingriff in ihre Eigenständigkeit zu verhindern. Diese Ideologie hat dem Southern Poverty Law Center zufolge bis zu 300 000 Anhänger im ganzen Land, die in unterschiedlicher Form eine Verweigerungshaltung gegenüber dem Staat praktizieren. Bisweilen gibt es Überschneidungen mit den rechtsmilitanten White-Power-Bewegungen und Bürgermilizen, jedoch wenige offensichtliche Berührungspunkte mit der vergleichsweise gemäßigten rechtspopulistischen Tea-Party-Bewegung. Seit den neunziger Jahren, als die Ideologie der sovereign citizens zuletzt an Zulauf gewann, wird vor allem die Steuerverweigerung seitens des US-Finanzamts IRS und der Justizbehörden strafrechtlich verfolgt. Selten kommt es zur bewaffneten Auseinandersetzung zwischen einzelnen Anhängern und den Ordnungskräften. Zuletzt ereignete sich im Mai vorigen Jahres bei einer Verkehrskontrolle eine Schießerei, bei der zwei Polizisten starben.

Obwohl immer mehr Hinweise auf die politischen Motive der Tat ans Licht kommen, scheint die US-amerikanische Öffentlichkeit dem rechtsextremen Gedankengut des Täters wenig Beachtung zu schenken. Gestützt durch die Aussagen ehemaliger Professoren von Loughner, der bis vor wenigen Wochen an einer lokalen Universität immatrikuliert war, stürzten sich viele Journalisten auf das Erklärungsmuster des geistig verwirrten Einzeltäters. Für die Republikaner und die konservative Propagandamaschine ist das ein politisch bequemer Ansatz, der jegliche Kritik an ­ihrer politischen Rhetorik in Zusammenhang mit dem Attentat als nichtig erscheinen lässt.
Aller Voraussicht nach wird in wenigen Tagen wieder business as usual im politischen Geschäft herrschen. Die Rufe nach einer strikteren Waffenkontrolle, zum Beispiel durch die Wiedereinführung des Verbotes von Schusswaffenmagazinen mit mehr als zehn Kugeln, finden keine besondere Resonanz. Das von Loughner verwendete Magazin hatte mehr als 30 Kugeln, unter anderem darauf wird die hohe Anzahl der Verletzten und Ermordeten zurückgeführt.
Seit dem Attentat setzen sich zudem verantwortliche Politiker beider Parteien eindringlich für eine Reform der seit Jahrzehnten desolaten Gesundheitspolitik im Hinblick auf psychische Krankheiten ein. Selbst wenn dazu eine überparteiliche Bereitschaft besteht, dauern solche Fachdiskussionen in Washington oft Jahre oder gar Jahrzehnte, bevor sie zu konkreten Ergebnissen führen. Obamas Plädoyer für Mäßigung dürfte wegen des wachsenden Einflusses der Tea-Party-Bewegung wenig Wirkung im rechten Spektrum haben. Selbst wenn einige Republikaner ähnlich dächten, haben sie in der Tea Party eine Bewegung, die dem amtierenden Präsidenten die Legitimität längst abgesprochen hat und zumindest ein rhetorisches Ventil braucht.

Die Demokraten mussten unter tragischen Umständen auf die Dienste einer fähigen Abgeordneten verzichten, doch einen langfristigen politischen Schaden infolge des Attentats wird vermutlich die ehemalige Vizepräsidentschaftskandidatin von 2008 und mittlerweile Tea-Party-Frontfrau Sarah Palin davontragen. Vor den Herbstwahlen im vergangenen Jahr veröffentlichte Palin auf ihrer Facebook-Seite eine Landkarte, die 20 Demokraten im Kongress und deren Wahlkreise mit Fadenkreuzen markiert, unter anderem auch den Dis­trikt von Giffords in Tucson. Für linke Journalisten und Blogger waren die Karte und der aggressive Text, der sie begleitete, bereits ein Beleg für die intellektuelle Mitschuld der ehemaligen Gouverneurin von Alaska am Attentat von Tucson. Doch trotz heftiger Kritik schien Palins Ruf nicht sonderlich gefährdet zu sein. Bis sie am Tag der Trauerfeier in Tucson Mitte vergangener Woche noch eins draufsetzte. In einer Videobotschaft stilisierte sie sich als Opfer der Linken, griff ihre Kritiker derb an und stellte sich somit wieder einmal selbst ins Rampenlicht. Wegen dieses Missgriffs am Tag der Trauerfeier für die Ermordeten sei ihre politische Kariere vorüber, urteilte der ehemalige republikanische Abgeordnete und einflussreiche Kommentator Joe Scarborough.
Die Republikaner müssen nicht nur ihr Image gegen die Verbindung ihrer hetzerischen Rhetorik mit dem Attentat auf Giffords verteidigen. Die Tat wird auch für ihre politische Agenda nicht ohne Folgen bleiben.
Gerade in der Woche vor dem Attentat hatten die Republikaner feierlich die Macht im Repräsentantenhaus übernommen. Die Mehrheitsführung um den neuen Sprecher John Boehner hatte zwei Wochen intensiver Abstimmungen über verschiedene Gesetzesvorlagen angekündigt, die sich direkt gegen die Politik der Obama-Administration richten. Boehner wollte nicht weniger als die Rücknahme von Obamas Gesundheitsreform. Wegen der demokratischen Mehrheit im Senat hätte der Beschluss über diese Vorlage lediglich einen symbolischen Charakter, aber Boehners Strategie zu Beginn der Legislaturperiode ist es nicht, Gesetze tatsächlich zu erlassen, sondern vielmehr Obama vor seiner Rede zur Lage der Nation am 25. Januar direkt anzugreifen. Zu Ehren der schwer verletzten Kollegin unterbrach das Repräsentantenhaus jedoch die Tagesordnung. Damit wurde das politische Timing für Boehner erheblich gestört. Spätestens nach Obamas Rede zur Lage der Nation wird neben der Auseinandersetzung um die Gesundheitsreform auch der Streit über die Haushaltspolitik im Vordergrund stehen. Schon jetzt wird in Hinblick auf die in nächster Zukunft erforderliche Anpassung der Schuldenobergrenze durch den Kongress hoch gepokert.