MarineMarine Le Pen ist die neue Vorsitzende des französischen Front National 

Es bleibt in der Familie

Am Wochenende hat Jean-Marie Le Pen den Parteivorsitz des Front National ab­gegeben. Jetzt übernimmt Marine Le Pen den Posten.

Die »Übergabe der Fackel« an seine Tochter funktionierte reibungslos. Am Samstag hielt Jean-Marie Le Pen im zentralfranzösischen Tours seine Abschiedsrede als Vorsitzender des rechtsextremen Front National (FN). Am Sonntag legte er sein Amt nieder, um es an seine 42jährige Tochter Marine Le Pen zu übergeben. Er wird sich nicht völlig aus der Parteipolitik zurückziehen, sondern als zukünftiger »Ehrenvorsitzender« der von ihm gegründeten Partei in allen Führungsin­stanzen vertreten bleiben. Aber Jean-Marie Le Pen wird nun nicht mehr ganz vorne auf der Bühne stehen.

Vier Wochen lang hatten die eingeschriebenen Parteimitglieder des FN Zeit, um in einer Urabstimmung über die Nachfolge des Parteivorsitzenden zu entscheiden. Zur Auswahl standen Marine Le Pen und der frühere Juraprofessor Bruno Gollnisch. Die »Tochter des Chefs« trug mit 67,65 Prozent der Stimmen einen guten Zwei-Drittel-Sieg davon.
Aus Anlass der Neuwahl wurde auch publik, über wie viele Parteimitglieder der FN derzeit verfügt. Die Auszählung musste beglaubigt und in Anwesenheit eines Gerichtsbeamten vorgenommen werden, für dieses Procedere mussten auch die Register offengelegt werden. Gut 17 000 Mitglieder nahmen an der Abstimmung teil. Die Mitgliedszahlen des FN liegen damit nach wie vor deutlich unterhalb derer des Jahres 1999, bevor es zu einer ersten Spaltung der Partei kam, die zu einem Gerichtsstreit zwischen zwei Flügeln um den Anspruch auf den Parteinamen führte. Gerichtlich beglaubigt hatte die Partei damals 42 000 Mitglieder.
Allerdings hat der FN im Vergleich zu den Jahren zwischen 2007 und 2009, als er in einer ­tiefen Krise steckte, wieder starken Zuwachs zu verleihen. Auffallend ist auch, dass unter den Delegierten, die sich in Tours versammelt haben, alle Altersgruppen vertreten sind, wobei viele Vertreter der jüngeren Generation im bürgerlichen Sinn durchaus »vorzeigbar« sind. In den vergangenen Jahren dominierten beim Nachwuchs des FN noch Bomberjackenträger mit extremen Kurzhaarschnitten. Offensichtlich ist es dem FN gelungen, erneut Nachwuchs zu rekrutieren. Ansonsten sind die Delegierten zu 80 Prozent männlich. Die wenigen Frauen, die man im Saal antrifft, sind überwiegend auffallend adrett ­gestylt.
Rund 2 000 Anhänger sind zum Parteitag angereist, die Redebeiträge sind an diesem Wochenende jedoch ausschließlich der Parteiprominenz vorbehalten. Am Sonntag früh spricht zunächst der unterlegene Kandidat. Gollnisch verkündet seine Loyalität zur gewählten neuen Vorsitzenden und sagt, dass er sich dem Ergebnis und dem Willen der Mehrheit beugen werde. Es wird also nach diesem Parteitag wohl nicht zu ­einer Abspaltung der – oft als »radikaler« dargestellten – Minderheit kommen, die er repräsentiert.
Inhaltlich betont Gollnisch, dass »die Verteidigung der traditionellen Werte« für seine Partei »keineswegs spießig, sondern sehr modern« sei. Er bezieht sich auf die Ehe, Familie und das Verbot von Abtreibungen. Hinsichtlich dieser »Werte« bestehen Differenzen zu der zweifach geschiedenen und in »Moralfragen« als relativ aufgeschlossenen geltenden neuen Vorsitzenden. Und Gollnisch gedenkt »unserer Toten: der Toten vom Februar 1934, des Indochina- und Algerien-Kriegs«. Am 6. Februar 1934 hat in Paris vor dem Parlament ein Putschversuch von rechts­extremen Kampfverbänden stattgefunden. Da der FN zu dieser Zeit noch nicht existierte, kann man Gollnischs Ausführung als eine deutliche Anknüpfung an die Geschichte der faschistischen Rechten verstehen. Marine Le Pen hält solche historischen Bezüge eher für unklug.
Die neue Vorsitzende spricht in ihrer Rede am Sonntagnachmittag auffallend oft von der Republik. Ein Begriff, der bis zum Herbst 2006 – als die »Republik« durch den Einfluss von Marine Le Pen Einzug in das Vokabular des FN hielt– bei der extremen Rechten tabuisiert war. Denn in Frankreich erinnert er an eine historisch-politische Traditionslinie, die 1789 begründet wurde, gegen die aber Teile der extremen Rechten wie ihr monarchistischer und ihr katholisch-fundamentalistischer Flügel stets opponiert hatten. In ihrer Rede auf dem Parteitag widmet sich Marine Le Pen vor allem wirtschaftlichen und sozialen Themen.
Die strategischen Unterschiede zwischen den beiden bisherigen Kandidaten sind beträchtlich. Dennoch sagt Marine Le Pen, mit der Entscheidung über den Parteivorsitz gebe es »keine Marinisten oder Gollnischianer mehr, sondern nur noch Aktivisten des FN«. Sie bietet ihrem unterlegenen Kandidaten sogar die »erste Vizepräsidentschaft« der Partei an, was dieser jedoch ausschlägt. Gollnisch bleibt aber Mitglied im »Poli­tischen Büro«, dem zweithöchstem Führungsgremium des FN.

Einen kleinen Eklat hat der Parteitag auch noch zu bieten. Sonntagmittags sind aus dem Pressezentrum plötzlich Schreie zu hören und man vernimmt das klirrende Geräusch zerbrechender Gläser. Kurz darauf betritt Farid Smahi den Saal. Der algerischstämmige Franzose war bislang Mitglied im »Politischen Büro« des FN. Die Partei hatte immer schon einzelne arabischstämmige Mitglieder, die meistens aus der Gruppe der Harkis stammen, jener Nordafrikaner, die zwischen 1954 und 1962 in der Kolonialarmee für den Erhalt der französischen Herrschaft kämpften. Im innerparteilichen Wahlkampf um den Vorsitz hielt Smahi zu Gollnisch. In der neuen Besetzung des »Politischen Büros« taucht sein Name nicht mehr auf.
Deswegen schreit Smahi nun: »Zwölf Jahre lang war ich der Kanake vom Dienst. Und jetzt werde ich aus rassistischen Gründen herausgesäubert!« Andere Führungsmitglieder versuchen ihn zu beruhigen. Smahi zieht jedoch, begleitet von Journalisten und Kameras, quer durch die Kongresshalle bis vor die Tür. Er will eine politische Affäre aus seinem Abgang machen: »Marine Le Pen gehört zu jenen Teilen der nationalen Rechten, die von einer Lobby bezahlt werden, um Front gegen die Muslime zu machen und einen Angriff auf den Iran vorzubereiten.« Kurz, sie ist – ihm zufolge – durch »die zionistische Lobby« eingekauft worden. Umstehende Kongressteilnehmer reden auf ihn ein, manche beruhigend, andere drohend: »Du beschimpfst den FN als rassistisch? Du wirst schon sehen!« Daraufhin verabschiedet sich Smahi mit den Worten: »Ich gehe wie ein Kanake, mit meinen Koffern!«