Neue Spionage-Satelliten für die Bundeswehr

Die Lupe reicht nicht aus

Die Bundeswehr will sich nach Informationen von Wikileaks neue Spionage-Satelliten anschaffen. Die Enthüllungen über die deutsche Militärpolitik und Raumfahrtindustrie haben bereits die Karriere eines Managers beendet.

Deutschland rüstet auf. Nur zwei Jahre nachdem die Bundeswehr ihr erstes Satellitenaufklärungssystem SAR-Lupe in Betrieb genommen hat, wird schon am nächsten gewerkelt. Wikileaks machte der norwegischen Zeitung Aftenposten Informationen der amerikanischen Botschaft in Berlin zugänglich, aus denen hervorgeht, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) und das staatliche Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) an einem weiteren Satellitensystem namens Hiros arbeiten. Ebenso wie die SAR-Lupe soll Hiros aus einem etliche hundert Millionen Euro teuren Verbund mehrerer Satelliten bestehen. Die Kameras des Systems sollen Objekte fotografieren können, die nur wenig größer sind als eine DIN-A3-Seite, um die Bilder verschlüsselt an Bodenstationen zu schicken.

Das DLR ist nicht glücklich darüber, dass diese Informationen bekannt geworden sind. »Wir diskutieren seit rund zwei Jahren über ­Hiros«, sagt Sprecher Andreas Schütze. Das System solle »hoch aufgelöste, optische Daten für staatliche Nutzungsbereiche bereitstellen«. Über den Stand der Entwicklung wolle man »aufgrund des Projektstatus keine Angaben machen«.
Steffen Leuthold, Sprecher des Raumfahrtkonzerns OHB, der die SAR-Lupe entwickelt hat, formuliert es direkter: »Wir könnten das bauen und wir würden das gerne tun, wenn es zur Ausschreibung kommt.« Das DLR sei dazu bereits an das Unternehmen herangetreten. »Es hat definitiv da schon eine Anfrage geben.« Hiros sei »wieder mal ein System, das sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden kann«. Die erzeugten Bilder könnten sowohl der »Erlangung von Umweltinformationen dienen« als auch »in Krisensituationen genutzt werden«, sagt Leuthold. Der vorrangige Zweck der Satelliten ist jedoch offenkundig: Hiros dürfte vor allem bei der Vorbereitung von militärischen Operationen eingesetzt werden.
Dabei hat sich die Bundeswehr erst 2008 mit der SAR-Lupe ein ähnliches System zugelegt. Dessen Leistungsfähigkeit ist beachtlich. Es dauert höchstens sechs Stunden, bis einer der fünf Satelliten jeden beliebigen Punkt der Erde erreicht. Ob es dann Tag oder tiefe Nacht, ob der Himmel klar oder von dicken Wolken verhangen ist, ist unwichtig. Denn die SAR-Lupe benötigt kein Licht, sondern arbeitet mit Radarstrahlen und kann so Bilder unter allen Bedingungen erzeugen. Der einzige Nachteil gegenüber Hiros ist die Auflösung: Die SAR-Lupe kann nur Objekte mit einer Größe von deutlich über einem Meter erspähen.
370 Millionen Euro hat das System gekostet. Warum die Bundeswehr es benötige, erklärte ihr stellvertretender Generalinspekteur, Vizeadmiral Wolfram Kühn, bei der Inbetriebnahme so: »Bereits der Kosovo-Konflikt 1999 hat uns deutlich vor Augen geführt, wie wichtig eine eigene weltweite Aufklärung ist.« Mit »uns« war der deutsche Staat gemeint, die Betonung lag auf »eigene weltweite Aufklärung«. Wenn die Bundeswehr weltweit militärische Einsätze selbständig, also auch ohne die Hilfe befreundeter Staaten, bestreiten will, braucht sie ihre eigenen Spionagesatelliten.

Was passiert, wenn man nicht über solche verfügt, hatte die deutsche Armee während des Nato-Angriffs auf Serbien 1999 erfahren dürfen. Damals besaßen nur die USA Aufklärungssatelliten, die so leistungsfähig waren, dass man auf Grundlage ihrer Bilder Bombardements präzise planen konnte. Doch die USA gaben diese Bilder offenbar nur zurückhaltend und strategisch dosiert an die Nato-Verbündeten heraus. Das behinderte und erboste die Militärs im Bundesverteidigungsministerium sowie ihre Kollegen in Paris gleichermaßen. Sie taten sich zusammen, um Abhilfe zu schaffen.
Zu jener Zeit war die allmähliche Remilitarisierung deutscher Außenpolitik vor allem im Rahmen einer europäischen Militärallianz vorgesehen. Der insbesondere von dem grünen Außenminister Josef Fischer favorisierte Plan der »schnellen EU-Eingreiftruppe« wurde diskutiert, in Deutschland gewöhnte die Bevölkerung sich erst langsam an die Vorstellung von »Out of area«-Einsätzen der Bundeswehr. So passte eine enge Kooperation mit Frankreich in die Zeit: Supranationale Friedensbataillone sollten in Europa entstehen, das war die offizielle Darstellung der deutschen Militärpolitik.
Und so baute der damals noch kleine Bremer Satellitenhersteller OHB den Bundeswehr-Generälen die radargestützte SAR-Lupe, das französische EADS-Tochterunternehmen Astrium stellte für Frankreich ein ergänzendes, optisches Weltraumteleskop namens Helios her. Zu Beginn der Arbeiten vereinbarten die beiden Staaten im Sinne nachbarschaftlicher Zusammenarbeit ein wechselseitiges Zugriffsrecht auf die Bilder ihrer Systeme. Die beiden Staaten konnten so erstmals die örtlichen Gegebenheiten für ihre eigenen Militäreinsätze auskundschaften, ohne auf den Nato-Partner USA angewiesen zu sein.
Die Informationsstelle Militarisierung (IMI) aus Tübingen folgert aus den durch Wikileaks bekannt gewordenen Plänen, dass Deutschland mit Hiros die eigenen militärischen Kapazitäten ausbaue. Dies sei »Ausdruck des zunehmenden Wunsches nach nationaler Einsatzfähigkeit«, sagt IMI-Sprecher Malte Lühmann. Der Ausbau der Fähigkeit, weltweite »Aufklärung« betreiben zu können, gehe einher mit einem »Wiedererstarken des militärischen Selbstbilds«. Ein »nationaler Geltungsanspruch« manifestiere sich – nach Lühmanns Ansicht »klar gegen die Franzosen«. Die bisherige Arbeitsteilung der beiden Staaten – Frankreich baut eine optische Spionage-Infrastruktur auf, Deutschland eine radargestützte, und die entstehenden Kapazitäten werden geteilt – werde aufgegeben.
Doch Hiros scheint Deutschland alleine zu teuer zu sein, der BND und das DLR haben deshalb bei der Amerikanern angefragt, ob diese sich nicht an der Finanzierung beteiligen wollen. Wie aus den Informationen von Wikileaks hervorgeht, sind die USA keineswegs abgeneigt. An der Wechselhaftigkeit der militärischen Allianzen nimmt dabei offenbar niemand Anstoß, solange sich die eigenen militärischen Möglichkeiten vergrößern. Die OHB-Eignerfamilie Fuchs habe »alle nötigen politischen Kontakte, um Hiros zu realisieren und das Verteidigungsministerium zu überzeugen«, ist bei Wikileaks zu lesen. Die Überzeugungsarbeit sei nötig, um die Zweifel an dem Vorhaben auszuräumen, das ein eindeutiger Affront gegen Frankreich wäre.

Das erste Opfer der nötigen Beschwichtigungspolitik wurde dabei der OHB-Manager Barry Smutny. Denn dieser hatte Wikileaks zufolge Frankreich als das »Reich des Bösen, was Technologie-Diebstahl angeht«, bezeichnet. Zudem hatte er das unter französischer Mitarbeit geplante, satellitengestützte EU-Navigationssystem Galileo als »dumme Idee«, »Verschwendung von Steuergeldern« und »vor allem den Interessen Frankreichs« dienend bezeichnet. Des weiteren wies Smutny auf die »ironische Note« der deutschen Kofinanzierung des Galileo-Programms hin: Einige der mit diesem neuen System millimetergenau steuerbaren Atomraketen zielten nach wie vor auf Berlin.
Diese von Wikileaks verbreiteten mutmaßlichen Äußerungen Smutnys bedeuteten das Ende seiner Karriere bei OHB: In der vergangenen Woche entzog ihm die Hauptversammlung des Konzerns das Vertrauen, der Aufsichtsrat enthob ihn einstimmig seines Postens als Vorstandsvorsitzender der Gesellschaft. Schließlich ist OHB zu 60 Prozent am Bau von Galileo beteiligt.